Tichys Einblick
Aus dem Land der Verordnungen:

Neues Lieferketten-Gesetz setzt Unternehmen unter Druck

DAX-Konzerne und mittelständische Zulieferer ächzen unter dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Aber nicht nur sie leiden unter staatlicher Regulierung: Zusätzlich lähmt die Bürokratie in Deutschland Innovationen und erstickt die Expansion von Start-ups schon im Kern.

picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Seit Anfang 2023 zwingt das LkSG Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern dazu, die Arbeits- und Umweltschutzstandards ihrer Lieferanten streng zu kontrollieren. Seit diesem Jahr gilt die Verpflichtung schon für Firmen mit über 1000 Beschäftigten. Begleitet wird das Gesetz von umfassenden Dokumentationsauflagen.

Dazu zählen zum Beispiel die Durchführung umfangreicher Risikoanalysen und Meldungen sowie die Einrichtung von Beschwerdesystemen. Diese Maßnahmen erweisen sich oft als äußerst zeitintensiv und führen zu erheblichen Mehrkosten sowie einem erhöhten Personalbedarf. In einigen Fällen ist es sogar notwendig, eine eigene Arbeitskraft ausschließlich für die Koordination von bürokratischen Anforderungen einzusetzen.

Eine grundlegende Hürde ist zudem die Beschaffung zuverlässiger Informationen über Zulieferer. Laut einer Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) kämpfen rund 60 Prozent der deutschen Unternehmen mit der Erfassung valider Daten zu ihren Lieferketten. Dies verdeutlicht, wie anspruchsvoll es für Firmen ist, den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.

Verwirrung macht sich breit: Einhaltung der Vorschriften ist Interpretationssache

Ein weiteres Problem besteht in der inkonsistenten Auslegung der Berichtspflichten bei unterschiedlichen Unternehmen. Dies wird in einer Analyse der Anwaltskanzlei Graf von Westphalen deutlich. Der Untersuchung zufolge meldete Bayer innerhalb eines Jahres 1.345 Beschwerden aus seinen Zulieferbetrieben, während Siemens lediglich drei Fälle dokumentierte. Ein ähnliches Ungleichgewicht zeigt sich in der Bekleidungsbranche: Adidas verzeichnete 207 Vorfälle, während Zalando nur vier Verstöße meldete.

Lothar Harings, Anwalt der Kanzlei Graf von Westphalen, kritisiert gegenüber dem Handelsblatt: „Der Vergleich zeigt vor allem, dass die Unternehmen bei ihren Berichten völlig unterschiedliche Maßstäbe anlegen.“ Diese Diskrepanzen werfen Fragen auf. Harings merkt an: „Die Anzahl der berichteten Risiken sagt nicht zwangsläufig etwas über die Situation der Menschenrechte in der Lieferkette eines Unternehmens aus.“ Dies liegt vor allem daran, dass Unternehmen Begriffe wie „menschenrechtliches Risiko“ unterschiedlich auslegen und von der Regierung keine klaren und genauen Angaben zur Einschätzung vorliegen.

Gerade bei der Einführung solcher einschränkenden Gesetze ist es allerdings von entscheidender Bedeutung, den Gesetzeszweck eindeutig zu definieren und klar einzugrenzen, um den betroffenen Unternehmen keinen unnötigen Schaden zuzufügen.

Es darf nicht dazu kommen, dass selbst geringfügige Verstöße oder kleine Arbeitsunfälle automatisch berichtspflichtig werden. Andernfalls riskieren Entscheidungsträger, dass Unternehmen von der Flut bürokratischer Anforderungen erdrückt werden. Es ist daher dringend notwendig, dass die EU und die Bundesregierung eingreifen, um die Pflichten präzise zu formulieren und spürbar zu entschärfen. – Optimal wäre natürlich ein vollständiger Abbau der Bürokratieanforderung.

Bei Nichteinhaltung drohen horrende Strafsummen

Durch eine Aussetzung des LkSG könnten Unternehmen spürbar entlastet werden. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) könnten so ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder steigern. Laut einer Umfrage der IHK gaben etwa 50 Prozent der KMU an, dass eine Aussetzung vorteilhaft wäre, während ein Drittel der Befragten keine Einschätzung abgeben konnte. Auch Unternehmen in stark internationalisierten Branchen – wie Maschinenbau, Chemie oder Elektronik, die auf internationale Zulieferer angewiesen sind – könnten von einer Aussetzung des LkSG profitieren. Insbesondere in weltweiten Lieferketten gestaltet sich die vollständige Rückverfolgbarkeit nämlich als äußerst schwierig.

Ein weiteres Problem des LkSG, aber auch anderer Bürokratieanforderungen in der Bundesrepublik, ist die fast autoritäre Ahndung von Verstößen. Fehlerhafte oder unvollständige Angaben können schwerwiegende finanzielle Folgen nach sich ziehen. Laut der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner drohen natürlichen Personen Bußgelder von bis zu 800.000 Euro bei Nichteinhaltung. Unternehmen können in besonders gravierenden Fällen mit Strafen von über 400 Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes belangt werden.

Habeck beharrt auf Umsetzung des LkSGs

Parallel zum LkSG hat die EU die Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Lieferketten (CSDDD) verabschiedet, die ähnliche Ziele verfolgt. Im Vergleich zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zeigt sich die neue EU-Richtlinie jedoch deutlich großzügiger und gewährt Übergangsfristen. Die Berichtspflichten gelten bei der CSDDD-Verordnung erst ab 2027 und betreffen zunächst nur Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro. Kleinere Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern und einem Umsatz ab 450 Millionen Euro werden erst ab 2029 in die Pflicht genommen.

Während andere EU-Staaten die moderatere und stetigere Umsetzung annehmen, setzt Deutschland, trotzdem, unbeirrt auf seine strikten Vorgaben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte zwar an, die strengen deutschen Regeln zugunsten der europäischen Vorgaben auszusetzen, eine konkrete Verordnung blieb jedoch bislang aus.

Diese Untätigkeit belastet insbesondere mittelständische Unternehmen, die auf Entlastung in Form von Übergangsfristen angewiesen wären. Habeck hätte die Chance gehabt, ein klares Signal für wirtschaftliche Vernunft zu setzen – eine Gelegenheit, die er ungenutzt ließ.

Verdi: Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz ein „Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt“

Erstaunlich ist zudem, dass aus einigen Lagern sogar Forderungen nach einer weiteren Verschärfung des Gesetzes laut werden, statt die bestehenden Regelungen zu entschärfen. Diese Stimmen argumentieren, dass die aktuellen Vorschriften nicht ausreichen würden, um die angestrebten Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen und im Umweltschutz zu erreichen. Insbesondere die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) vertritt diese Ansicht. Ein Verdi-Artikel bezeichnet das Lieferkettengesetz als „Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt“.

Wie stark diese Vorgaben unternehmerische Freiheiten einschränken und die Betriebe unter der Last von Mehrkosten und Dokumentationspflichten begraben, scheint bei der Dienstleistungsgewerkschaft kaum Beachtung zu finden.

Wer aber glaubt, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) markiere das Ende bürokratischer Hürden, der täuscht sich gewaltig. Eine Vielzahl weiterer Vorschriften belastet die deutsche Wirtschaft zunehmend und erschwert die Geschäftsprozesse vieler Unternehmen. Zu den prominentesten Regelwerken gehören die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die Chemikalienverordnung REACH.

Laut MDR beläuft sich die Zahl der bürokratischen Belastungen in Deutschland seit diesem Jahr auf rund 1.797, darunter 52.401 Einzelnormen. Eine der Deutschen Presse-Agentur vorliegende Aufstellung zeigt, dass es am 1. Januar 2014 noch 1.671 Gesetze waren – innerhalb der letzten zehn Jahre kamen also mehr als 120 neue bürokratische Anforderungen hinzu.

Papierkram erstickt gute Ideen: Bürokratie stoppt Innovationsmotor

Die wachsenden bürokratischen Anforderungen belasten jedoch nicht nur große DAX-Konzerne und KMUs, sondern auch Start-ups und potenzielle Gründer, die noch in der Planungsphase stehen. Bereits in der Ideenfindung dämpfen die Hürden die Innovationskraft und machen den Standort Deutschland immer weniger attraktiv.

Ein eindrückliches Beispiel ist Markus Weidmanns Start-up Inventied, das Lösungen für den Katastrophenschutz entwickelt und sich mittlerweile zwar am Markt etabliert hat, aber auf eine holprige Vergangenheit zurückblickt. An die Herausforderungen der Gründungsphase denkt der 30-Jährige ungern zurück: „Es war zu viel Bürokratie“, erklärt Weidmann gegenüber der Tagesschau. Ohne eine eigene Abteilung für Verwaltungsaufgaben scheitern viele junge Unternehmen schon in der Anfangsphase – oft schlicht am „Papierkram“, so der Gründer.

Selbst staatliche Fördermittel wie Gründungsstipendien, Darlehen oder Risikokapital erfordern einen so hohen bürokratischen Aufwand, dass 36 Prozent der Gründer laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom auf entsprechende Anträge verzichten. Nur knapp jeder zweite Start-up-Gründer (47 Prozent) nutzt staatliche Unterstützung.

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die mangelnde Digitalisierung in Deutschland. Während andere EU-Länder zunehmend auf digitale Prozesse setzen, verlangt die deutsche Gesetzgebung häufig noch papierbasierte Dokumentationen, was zu einem klaren Wettbewerbsnachteil führt.

Selbst wenn es jungen Unternehmern gelingt, sich durch den undurchdringlichen Bürokratie-Dschungel zu manövrieren, erwarten sie schon die nächsten bitteren Überraschungen: unerschwinglich teure Energiekosten und eine Steuerlast, die weltweit mit zu den höchsten gehört.

Die erdrückenden Belastungen des deutschen Standorts bergen eine ernsthafte Gefahr: Neben den großen Konzernen und mittelständischen Unternehmen werden immer mehr innovative Gründer Deutschland den Rücken kehren. Ohne spürbare Entlastungen wird dieser Exodus unaufhaltsam zunehmen und die Innovationskraft des Landes dauerhaft lähmen.

Die Leistungsträger, die kreativen Köpfe und die Motoren des Fortschritts fliehen aus einem Land, das ihnen keine Perspektive mehr bietet. Was bleibt, ist eine erstarrte Wirtschaft, die im globalen Wettbewerb zunehmend zurückfällt.

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