Tichys Einblick
Neue Schuldenregeln der EU:

Die EU will Schuldenmachen belohnen und Sparsamkeit bestrafen

Kleine, von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkte Änderungen in der "Gesetzgebung" der EU haben nicht selten größte Auswirkungen. Aktuell will die EU-Kommission bis Ende des Jahres den Stabilitäts- und Wachstumspakt reformieren. Demnach könnten sich Länder, die hochverschuldet sind, noch höher verschulden, während die sparsameren Länder noch mehr sparen sollen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner beim Treffen mit dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire in Berlin, 31.03.2022

IMAGO

Wenn drei Dinge fast naturgesetzlichen Charakter besitzen, dann, dass eine Reform aus Brüssel erstens die Bürger der EU benachteiligt, während sie zweitens häufig unmittelbar oder mittelbar die Finanzindustrie und die großen Beraterfirmen auf Kosten der Bürger der EU bevorteilt und drittens zu Deutschlands Lasten geht. Auch wenn an der „Reform“ des Stabilitäts- und Wachstumspakt schon seit längerem gearbeitet wird, dürfte die neue deutsche Liebe zum Schuldenmachen, im Jargon der Regierung zur Bildung von Sondervermögen in Brüssel, in Paris, in Rom, in Athen, Lissabon den Angstschweiß auf die Stirn treiben.

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Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde 1997 mir Blick auf die Schaffung des Euros als Grundlage der Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen. Zum Inhalt des Paktes gehören die 1992 im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien für den Beitritt zur Währungsunion, die für ein stabiles Preisniveau, für stabile langfristige Zinssätze und Wechselkurse und für Obergrenzen der Gesamt- und Neuverschuldung der Mitgliedstaaten der EU sorgen sollten. Die no bail out-Regel, die einst Herzstück der Maastricht Vereinbarungen war und die bestimmte, dass kein Land der Euro-Zone für die Schulden eines anderen Landes der Euro-Zone haften soll, ist so gründlich in Vergessenheit geraten, dass es fast schon als „Verschwörungstheorie“ gebrandmarkt wird, wenn man daran erinnert.

Im Stabilitäts- und Wachstumspakt wurden die Obergrenze des Schuldenstands mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ein maximales Defizit von 3 Prozent des BIP festgeschrieben. Da aber diese Festlegungen nicht durchgesetzt werden konnten, da letztlich kein effektives Sanktionssystem zur Verfügung stand und von der EU-Kommission mindestens das Schummeln Griechenlands, um in den Euro aufgenommen zu werden, „großzügig“ übersehen wurde, sah man sich gezwungen, das System 2011 zu überarbeiten. Erstmals wurde „ein Abbaupfad der Schuldenstandsquote auf 60 Prozent des BIP vorgeschrieben. EU-Länder, deren Schuldenstandsquote höher liegt, müssen jährlich ein Zwanzigstel der Differenz zwischen ihrer Schuldenstandsquote und der 60 Prozent-Marke abbauen.“ Zudem wurde ein abgestuftes und zum großen Teil automatisiertes Verfahren zur Rückführung der Defizit- als auch der Schuldenquote eingeführt.

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Doch niemand im Club Mediterrane hat Interesse an diesen Schuldregeln. Die Staatausgaben explodieren. Gleichzeitig benötigt die deutsche Ampel für die „Klimaneutralität“ genannte Deindustrialisierung und die Schaffung der Subventionswirtschaft, für die Massenmigration in die deutschen Sozialsysteme, für den exzessiven Staatsausbau und der Förderung woker NGOs als Hilfsorganisationen, für eine absurde Embargo-Politik, die bspw. dennoch weiter Erdöl aus Russland, nur über Umwege und zu deutlich höheren Preisen kauft, und für die „reaktionäre“ Anti-AKW Politik weit mehr Geld, als die üppig fließenden Steuereinnahmen bereitstellen können. Klar ist auch, dass 2028 Deutschlands finanzieller Crash bis hin zum Staatsbankrott als reale Gefahr mit jedem Ampel-Tag wahrscheinlicher wird, weil die Ampel Kurs auf den von ihrem eigenen Finanzminister prognostizierten „Eisberg“ hält.

Für die hochverschuldeten Euro-Länder bedeutet es den Fall Rot, wenn Deutschland an Wirtschaftskraft einbüßt und sogar, wie es jetzt geschieht, die Euro-Zone nach unten zieht, wenn Deutschland zum „kranken Mann Europas“ wird, wie der britische Economist schreibt, und wenn Deutschland last baut not least ihnen plötzlich im Schuldenmachen nacheifert. Auch wenn die deutschen Schulden nicht Schulden, sondern Sondervermögen heißen, weiß doch jeder in Europa, was mit Sondervermögen gemeint ist.

Was es für die eigenen Staatsschulden bedeutet, wenn Deutschland das AAA-Ranking verliert, weiß man in Paris und in Rom, in Athen und in Lissabon.

Deshalb wird die von der EU-Kommission geplanten Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wie selbst der EU-nahe Think Tank Bruegel einschätzt, in der Realität sich so auswirken, dass die hochverschuldeten Länder mehr Schulden aufnehmen dürfen als früher, während die niedriger verschuldeten Länder weniger Schulden machen dürfen.

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Das ist wahrlich eine echte Brüssel-Lösung: Länder, die hochverschuldet sind, dürfen sich noch höher verschulden, während die sparsameren Länder noch mehr sparen sollen. Wer einen Schuldenstand von über 100 % des BiP hat, muss noch langsamer den Staatshausalt „konsolidieren“, also noch langsamer Schulden abbauen und darf noch mehr Schulden aufnehmen. Für sie wird der Spar- und Konsolidierungsdruck aufgeweicht, während er für die anderen Ländern erhöht wird.

Das alles wird ins Werk gesetzt durch eine neue „Schuldentragfähigkeitsanalyse“, deren Pointe darin besteht, dass es für den Schuldenabbau keine gemeinsamen, sondern für jedes Euro-Zonen-Land spezifische Regeln gibt. Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien und Belgien müssen weniger, Deutschland hingegen mehr sparen. Wie gesagt, niemand in der Euro-Zone kann es sich leisten, dass Deutschland das Triple A verliert. Statt um -0,2 % wie bisher müsste nach den neuen Regeln die deutsche Staatsverschuldung, die offiziell 64 % des BiPs beträgt, nun jährlich um –1,0 % sinken, während Italien seine Staatsschulden, die offiziell 144,7 % des BiP betragen, nicht wie bisher um –4 %, sondern nur noch um 0,1 % zu reduzieren hat.

Begründet wird diese Reform damit, dass sich von den hochverschuldeten Staaten ohnehin niemand an die Regeln gehalten hat. Die Begründung der EU erinnert an das Diktum des heiligen Augustinus, der im vierten Buch des „Gottesstaates“ schrieb: „Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden.“

Natürlich kann man damit argumentieren, dass jedes Land eine eigene Spezifik, eine andere „Schuldenkultur“ zum Beispiel hat, doch wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, stünde am Ende keine ever close union, sondern das Ende des Euros und das Ende der EU in bisheriger Form – und zwar ein Ende mit Schrecken, ein Ende mit Zittern und Zähneklappern.

Doch wie schon in der Vergangenheit hat auch diesmal die EU in die neuen Regeln keine Handhabe implementiert, um diese Regeln auch durchzusetzen. Die neuen Regeln werden wie die alten Schall und Rauch sein. Vielleicht hält sich Deutschland an die Regeln. Die Frage lautet nur, ob sich Deutschland aufgrund von Habecks Energie- und Wirtschaftspolitik, Baerbocks feministischer Außenpolitik, Faesers Turboeinwanderungspolitik in die deutschen Sozialsysteme, Paus Kindergeldpolitik vor allem für Einwanderer und Eingewanderte, Hubertus Heils Lohn-und Sozialpolitik sich noch an die Regeln wird halten können. Das nächste „Sondervermögen“ als „Sondervermögen“ Migration ist bereits in Sicht – also als Sonderschulden.

Deutschland wird nämlich gerade in Grund und Boden regiert. Nach der Ampel kommt die Sintflut.

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