Vorab zum besseren Verständnis: In der Automobilindustrie unterscheidet man zwischen Komponentenwerken (K) – hier werden nur Teile hergestellt – und Fahrzeugwerken (F): Hier werden aus Zulieferteilen/Komponenten Ganzfahrzeuge zusammengebaut. Das deutsche Automobilnetzwerk des Volkswagen-Konzerns ist groß. Insgesamt betreibt VW in Deutschland
- 4 Komponentenwerke (Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Chemnitz)
- 6 Fahrzeugwerke (Emden, Osnabrück, Hannover, Wolfsburg, Zwickau (Mosel), Dresden)
Sechs Werke entfallen auf Niedersachsen (!), ein Werk auf Hessen und drei auf Sachsen.
Welchen Standort trifft die geplante Werksschließung nun? Hier ein Überblick auf Basis von Recherchen der Automobilwoche (VW-Werke: Wo schlägt der Spar-Hammer zu? | Automobilwoche.de). Im Einzelnen haben die Werke folgendes Profil inclusive Bewertung der Schließungswahrscheinlichkeiten, teilweise durch die Automobilwoche oder durch den TE-Autoexperten Dr. Helmut Becker.
Stammwerk Wolfsburg
1,6 Quadratkilometer bebaute Hallenfläche
Mitarbeiter: ca. 60.000
Gegründet: 1938
Gefertigte Fahrzeuge: Golf, Golf Variant, Tiguan, Touran, ID.4.
Aktuelle Situation: 2023 kam das Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg auf rund 490.000 Einheiten, was einer Auslastung von nur 56,32 Prozent entspricht. Wolfsburg baut unter anderem den Golf, Golf Variant, Touran und Tiguan – eigentlich alles wichtige Volumenbringer der Kernmarke.
Das Werk Wolfsburg als Stammsitz des Konzerns ist nicht von einer Schließung bedroht. Eine dauerhafte Reduzierung der enormen Produktionskapazitäten (ca. 870.000 Fahrzeuge) scheint der Automobilwoche am Ende der Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat aber wahrscheinlich. Ebenso der Rücktritt der Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo: „Mit mir wird es keine Werkschließung geben.“ Bei VW hat der Betriebsrat eine besonders starke Stellung. Das ursprüngliche Werk wurde mit Mitteln der früheren Gewerkschaften finanziert, die von Hitler enteignet worden waren. Seit Kriegsende regieren IGMetall und Betriebsrat mit. Wenn sich jetzt die Betriebsratsvorsitzende von den Maßnahmen distanziert bedeutet das nichts als ein übles Spiel: Sie ist sowohl über die Lage des Konzerns wie auch die Pläne komplett informiert und kann jetzt alles spielen, aber nicht die überraschte Betriebsrätin. Das Co-Management zwingt auch die Gewerkschaften in eine besondere Verantwortung.
Volkswagenwerk Emden
Mitarbeiter: ca. 8000
Gegründet: 1964
Gefertigte Fahrzeuge: ID.4, ID.7
Aktuelle Situation: In Emden wurde einst der VW Käfer gebaut und in die USA exportiert. Emden ist immer wieder mal wegen Werksschließung im Gespräch, zumal der einstige Vorteil direkter Exportmöglichkeiten von der Produktionsfabrik direkt auf die großen Autofrachter im Emdener Hafen in der heutigen, globalisierten Produktionswelt des VW-Konzerns weit weniger wichtig ist als noch in den sechziger Jahren bei Gründung des Werkes. VW verfügt weltweit über rund 100 Werke, die standardisiert arbeiten. Das schafft hohe wirtschaftliche Effizienz – und Austauschbarkeit rund um den Globus. Was in Deutschland nicht mehr läuft, wird eben aus Brasilien oder China geholt.
2019 kündigte Ex-CEO Diess den Umbau des Standorts zu einem reinen Elektrowerk an. Seit März dieses Jahres werden direkt am Ufer der Ems ID.4 und das neue Top-Modell ID.7 gebaut. Mittlerweile gilt diese gefeierte Entscheidung als mögliches Todesurteil für den Standort.
Wenn es um den Abbau von Produktionskapazitäten und überflüssige Werke im VW-Konzern geht, wurde hinter vorgehaltener Hand in der Vergangenheit immer wieder vom Werk Emden gesprochen.
VW-Werk Osnabrück
Mitarbeiter: ca. 2300
Gegründet: 1935 (Übernahme durch VW 2009)
Gefertigte Fahrzeuge: T-Roc Cabrio
Aktuelle Situation: Der kleinste aller Standorte wurde von Karmann (dort wurde der Klassiker „Karmann-Ghia“ auf Käferbasis gebaut, ein überaus elegantes Modell) übernommen und ist der Joker im VW-Produktionsnetzwerk und zudem Experte für die (ebenfalls bald aussterbende) Cabrio-Produktion. Jetzt rächt sich, dass VW seine Varianten-Vielfalt einschränkt – aus Kostengründen. Im vergangenen Jahr fertigte Osnabrück etwas über 18.000 Fahrzeuge, bei einer theoretischen Kapazität von bis zu 100.000 Modellen. Das aktuell vom Band laufende T-Roc Cabrio soll laut VW-Angaben im kommenden Jahr eingestellt werden.
Gerüchte um eine Schließung des kleinen Osnabrücker Werks oder einen Weiterverkauf gibt es schon länger. Selten allerdings mit konkreten Plänen. Dazu kommt: Wenn Volkswagen wirklich massiv einsparen will, dürfte das ehemalige Karmann-Werk kaum ausreichen, um Milliarden zu erlösen, eher um die Portokasse aufzufüllen. – Aber Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Allerdings: Das Werk liegt in Niedersachsen – und Niedersachsen beherrscht VW.
Volkswagen-Komponentenwerk Braunschweig
Mitarbeiter: ca. 7000
Gegründet: 1938
Gefertigte Komponenten: Achsen, Lenkungen, Batteriesysteme
Aktuelle Situation: Hier werden Vorder- und Hinterachsen, Lenkungen und seit Beginn der Transformation Batteriesysteme hergestellt. Seit 2019 entstehen in Braunschweig die Hochvoltspeicher für die aktuelle MEB-Generation des Konzerns. 2022 waren es fast 300.000 Stück. Braunschweig beliefert auch andere Konzernmarken und gehört wegen seiner Nähe zum Stammsitz in Wolfsburg mit zur Herzkammer des Unternehmens.
Das Werk ist vor einer Schließung durch diese Verflechtung weitgehend sicher, es sei denn, VW stellt die Produktion ganz ein.
Volkswagenwerk Hannover (gehört zu Volkswagen Nutzfahrzeuge)
Mitarbeiter: ca. 13.500
Gegründet: 1956
Gefertigte Fahrzeuge: T7 Multivan, ID.Buzz
Aktuelle Situation: Formell gehört das VW-Werk in der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht zur Kernmarke Volkswagen, sondern zur Nutzfahrzeugsparte. Aber: Mit dem ID.Buzz läuft auch ein MEB-Modell des Konzerns in Hannover vom Band, das eng mit dem Pkw-Vertrieb bei VW verknüpft ist. Hannover kämpft bereits seit längerem mit zu geringer Auslastung.
Zum ID.BUZZ äußert sich Motor-Papst und Auto-Experte Fritz Indra wie folgt:
„Wenn VW glaubt, dass man mit einem E-Bulli jemals Geschäfte machen kann, gehört man bestraft. Verlust pro Auto ca. 30.000 Euro (etwa die Kosten für die Batterie), die Entwicklungskosten umgelegt gut über 100.000 Euro !!!!!!! Und jetzt wurden noch 2 neue Varianten vorgestellt.
Den California (Campingversion) konnte man wegen brutalem Übergewicht gerade noch stoppen.“
Momentan ist das VWN-Werk auf 200.000 Einheiten pro Jahr ausgelegt, 154.372 wurden im vergangenen Jahr gefertigt. Was aber zusätzlich hilft: Niedersachsens Ministerpräsident und Volkswagen-Aufsichtsrat Stephan Weil war vor seinem Schritt in die Landespolitik Oberbürgermeister von Hannover und kennt die Situation am und im VW-Werk im Westen der Stadt genau. Dass der Landesvater einem Stellenabbau oder gar einer Neustrukturierung an einem Werk quasi direkt vor der Tür seiner eigenen Staatskanzlei zustimmen würde, gilt als ausgeschlossen.
Volkswagenwerk Zwickau
Mitarbeiter: 10.350
Gegründet: 1990
Gefertigte Fahrzeuge: VW ID.3, I.4, ID.5, Audi Q4 e-tron & Sportback e-tron, Cupra Born, dazu Karosserien für Bentley Bentayga und Lamborghini Urus
Aktuelle Situation: Das erste reine E-Auto-Werk des Konzerns ist aufgrund der geringen Nachfrage nach Elektroautos nur gering ausgelastet. Im vergangenen Jahr sind 247.000 Fahrzeuge und 12.000 Luxuskarosserien gebaut worden, möglich wären bis zu 360.000 Autos.
Zwickau produziert Fahrzeuge für mehrere Luxus-Marken, die von einer möglichen Schließung betroffen wären. Der Markt würde davon kaum Notiz nehmen, eine Teilschließung ist durchaus möglich, für die Region wäre es eine wirtschaftliche Katastrophe. Aber das dürfte die Staatskanzlei in Hannover nicht jucken. Jetzt rächt sich, dass die ostdeutschen Standort eben doch meist nur verlängerte Werkbänke des Westens sind: Sie gelten als entfernte Verwandte, deren man sich schnell entledigen kann. „Vermutlich wird man Zwickau schließen und das der AfD in die Schuhe schieben“, schreibt uns ein Leser.
Standort Chemnitz
Mitarbeiter: rund 1800
Gegründet: 1991
Gefertigte Komponenten: Motoren und Teile wie Kurbelwellen und Zylinderköpfe
Aktuelle Situation: Das Werk Chemnitz ist momentan noch auf Verbrenner fokussiert. Im vergangenen Jahr haben 690.000 Motoren das Werk verlassen. Momentan sind Verbrenner stärker gefragt als Elektroautos, in den kommenden Jahren dürfte sich das kaum ändern. Perspektivisch sollen in Chemnitz auch Komponenten für die E-Mobilität gefertigt werden, zunächst aus dem Bereich Thermomanagement. Das ist die Ironie der Geschichte: Möglicherweise rettet die Verbrenner-Konjunktur das Werk, während die E-Standort sterben.
Volkswagenwerk Kassel
Mitarbeiter: 15.500
Gegründet: 1958
Gefertigte Komponenten: Elektrische Antriebe, Getriebe, Karosserieteile, Abgasanlagen, Ersatzteile, Aufbereitung gebrauchter Motoren und Getriebe
Aktuelle Situation: Das weltweit größte Komponentenwerk des Konzerns gehört zu den ältesten VW-Standorten und produziert Teile für Elektroautos und Verbrenner. Kürzungen sind denkbar, laut Automobilwoche vor allem im Verbrenner-Bereich. Eine komplette Schließung des Werks dürfte aber eher unwahrscheinlich sein, da die Komponenten an anderen Standorten eingesetzt und im Werksverbund verbaut werden – just in time ohne lange Lieferwege.
Werk Salzgitter
Mitarbeiter: 7500
Gegründet: 1970
Gefertigte Komponenten: Motoren, Rotor/Stator, Komponenten
Aktuelle Situation: Das bisherige Motorenwerk Salzgitter soll zum Batteriezentrum für den VW-Konzern werden, dort entsteht auch die erste konzerneigene Fabrik für Batteriezellen. Nach Meinung der Automobilwoche dürfte damit der Standort für die Zukunft gut aufgestellt sein. Kürzungen, vor allem im Verbrenner-Bereich, seien aber durchaus denkbar, falls die natürliche Fluktuation nicht ausreicht.
Schon jetzt liefert Salzgitter mit Rotoren und Statoren wichtige Komponenten für Elektroautos. Dominiert wird das Werk jedoch noch von der Verbrenner-Technologie: Im vergangenen Jahr wurden dort 806.000 Motoren und 394.000 Rotoren und Statoren gebaut.
Gläserne Manufaktur Dresden
Mitarbeiter: 340
Gegründet: 2002
Gefertigte Fahrzeuge: ID.3
Aktuelle Situation: Wie auch der Standort Osnabrück wartet die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden auf eine nachhaltige Perspektive. Ohnehin nach Berechnungen nur auf eine Stückzahl von 20.000 Fahrzeugen jährlich ausgelegt, wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 6000 ID.3 gebaut. Der prestigeträchtige Standort wurde einst für die Fertigung der Luxuslimousine Phaeton (2002 bis 2016) errichtet. 2021 startete die Produktion des ID.3 in Dresden.
Die Schließung des Standorts als Produktionseinrichtung steht in Aussicht, Volkswagen arbeitet derzeit an einem Nachnutzungskonzept. Wie das aussehen soll, ist noch unklar. Unabhängig davon ist die Gläserne Manufaktur zu klein, als dass ihre Schließung eine wesentliche Verbesserung in der VW-Bilanz bedeuten würde. Aber: siehe Anmerkung zum Werk Osnabrück.
Soweit der Überblick und die Bewertung der Schließungsperspektiven durch die Automobilwoche mit notwendigen Ergänzungen.
Was dabei kaum oder nicht ins Kalkül gezogen wurde, ist die politische Dimension des Problems.
Die größten VW-Fahrzeugwerke mit Ergebniswirkung liegen fast alle in Niedersachsen. Dazu muss man wissen, dass das Land Niedersachsen zu den größten Anteilseignern bei VW gehört und 20 Prozent der Stimmrechte beim Konzern hält. Die Landesregierung kann dadurch bei VW mitreden, hat sogar eine Speerminorität und entsendet auch zwei Vertreter in den 20-köpfigen Aufsichtsrat.
20 Prozent der Aktien liegen beim Land Niedersachsen, dazu kommt eine „Goldene Aktie“, die dem Land beherrschenden Einfluß sichert. Traditionell ist der Ministerpräsident im Aufsichtsrat sowie der Wirtschaftsminister. Auf der Arbeitgeberseite sitzt neuerdings neben Weil die Kultusministerin und erklärte Autogegnerin Julia Willie Hamburg von den Grünen. Statt die Interessen des Unternehmens und der Mitarbeiter zu verfolgen kämpft sie für eine „Mobilitätswende“. Der Präsident Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) Ulrich Hocker bezeichnete Hamburg anlässlich ihrer Berufung als „offensichtliche Fehlbesetzung“ und wollte sogar dagegen klagen. Er habe Zweifel daran, dass die Politikerin ohne Uni-Abschluss und Auto die Transformation eines Weltkonzerns als Aufsichtsrätin kritisch begleiten könne. Hamburgs Berufung war ein Teil des Koalitionsdeals, indem Ministerpräsident Weil (SPD) die Interessen der Beschäftigung den Grünen und ihren autofeindlichen Plänen opferte.
Der Aufsichtsrat hat vor allem die Aufgabe, die Interessen der Aktionäre zu vertreten und den Vorstand des Unternehmens zu kontrollieren.
Mit der Kontrolle hat es, wie jetzt ersichtlich, gehapert, sonst wäre die aktuelle Malaise so nicht eingetreten. Umso mehr will MP Weil die Interessen des Landes Niedersachsen vertreten. Weil hat bereits verlauten lassen, eine Schließung von Werken in Niedersachsen nicht mittragen, zu wollen.
Da stehen harte Gefechte an. No country for old man and little woman!