Am Weltmarkt für Elektroautos bahnt sich eine Preisschlacht nicht gekannten Ausmaßes ab. Um das Geschehen richtig einzuordnen, muss man schon zum Lehrbuch greifen und dort das Kapitel „Ruinöser Preiswettbewerb“ aufschlagen. Am heftigsten wird aktuell in China gekämpft, erste Angriffswellen sind aber bereits in USA, Europa und seit Mitte April nachhaltig auch in Deutschland zu spüren. Ausgelöst wurde die „Preisschlacht um Elektroautos“ durch Elon Musk mit seiner singulären Elektromarke Tesla.
Erste Kampfhandlungen kündigten sich bereits Ende 2022 an, als Tesla mit spektakulären Preissenkungen bis zu 9000 US-Dollar in seinen wichtigsten Märkten China und USA krampfhaft versuchte, sein Absatzziel für 2022 von 1,3 Millionen Tesla-Fahrzeugen zu erreichen. Das gelang!
In Deutschland hat CEO Musk Mitte April zu einer neuen, heftigen Rabattrunde angesetzt, motiviert nach Expertenschätzungen auch durch Lagerbestände unverkaufter Teslas im Werk Grünheide. Alt Auto-Ingenieur-Papst Fritz Indra weiß um das Problem, dass Batterie-Elektroautos (BEV) lange Lagerstandzeiten nicht vertragen, sie verrotten. Nach Meldung der Automobilwoche wurden die Grundpreise für Model 3 um bis zu 6000 Euro und für das SUV-Model Y um 4000 Euro gesenkt. Bereits im Januar hatte der Elektroautopionier die Preise seiner vier Modelle teilweise um bis zu 20 Prozent reduziert.
Der Hintergrund für all diese aggressiven Absatz-Anstrengungen von Elon Musk ist zum einen Lagerdruck, vor allem aber das erklärte Ziel des US-Autobauers, im Jahre 2030 rund 20 Millionen Elektroautos am Weltmarkt abzusetzen – jährlich. So viele wie Toyota und der VW-Konzern gemeinsam heute an den Mann* bringen.
Nicht nur Corona auch der Preiskrieg hat seinen Ursprung in China, dem Hauptabsatzmarkt von Tesla. Dort erfolgten die ersten Tesla-Preissenkungen bereits zur Jahreswende 2022/23 und führten sogar zu TV-wirksamen Protesten von Alt-Kunden vor Tesla-Showrooms, die sich von Tesla betrogen sahen. Musk rührte das wenig, und auch die Zunft der sonstigen ausländischen wie heimischen Autobauer in China wie auch in USA und Europa reagierten zunächst einmal nur aufmerksam, aber nicht besorgt. Gegenmaßnehmen blieben aus, China war weit weg.
Das hat sich – zumindest in China – gewaltig geändert, aus dem Rabatt-Lüftchen wurde ein veritabler Rabatt-Sturm, wurde eine „irre Rabattschlacht“ (ntv, Diana Dittmer). Den Stein losgetreten hat Elon Musk mit Tesla. Was als schlichte Preissenkung Ende 2022 und Anfang 2023 auf dem am schnellsten wachsenden E-Automarkt der Welt begann, ist zu einem Massenphänomen geworden und mittlerweile auch jenseits der Grenzen Chinas deutlich zu spüren. Mitte April beispielsweise kündigte der US-Autobauer zum sechsten Mal (!) in Folge neue Rabattaktionen für seine Model 3 und Model Y in den USA an.
Zurzeit tobt ein auf dem chinesischen Automarkt nie dagewesener Preis- und Rabatt-Krieg. Die Preisnachlässe reichen von mehreren Hundert Dollar für billigere Modelle bis zu Zehntausenden von Dollar für höherwertige Modelle. Kaum ein Autobauer – egal, ob Elektroschmiede oder Verbrenner-Hersteller – will offenbar riskieren, als Verlierer aus der Preisschlacht hervorzugehen: Ford bietet kräftige Rabatte und Sonderangebote für E-Autos. GM und der Hersteller von Citroën gehen mit den Preisen für ihre Verbrenner-Autos herunter. Auch die deutschen Premium-Hersteller inklusive Volkswagen haben sich mit drastischen Preissenkungen um die 10.000 Euro und mehr angeschlossen.
Hinzu kommt bei den einstmals erfolgsverwöhnten deutschen Verbrenner-Platzhirschen, dass ihre Elektro-Modelle sich bei chinesischen Premium-Käufern zumeist als Flop erwiesen – auch weil sie den chinesischen Vorlieben für Gimmicks im Auto wie Rasierpinsel, Schminktöpfen und Schlafsitzen in der Regel nicht entsprechen. „Kaum einer will deutsche Elektroautos“ – so die deutschen Fachmedien.
Die Hersteller aus China, aber zunehmend auch aus dem Ausland kämpfen mit harten Bandagen, um Käufer zu ködern: Es wird gelockt, gefeilscht und auch nicht gegeizt. Autobauer und Händler überbieten sich mit immer neuen Angeboten. Rabatte von umgerechnet mehreren Tausend Dollar sind bei einem Autokauf inzwischen keine Seltenheit mehr.
Die Joint Ventures von Volkswagen sind mit dabei: FAW-Volkswagen bietet den ID.4 Crozz und ID.6 Crozz in China mit umgerechnet rund 5400 Euro Rabatt an. Und SAIC-Volkswagen hat den ID.4 X, ID.6 X und ID.3 um rund 4000 Euro billiger gemacht. Bei BMW sind die Preisnachlässe laut CN EV Post sogar noch höher: Wer eine Elektrolimousine i3 kauft, spart demnach ganze 13.500 Euro (ntv).
Und auch die zahllosen chinesischen E-Autobauer – allen voran BYD, der größte Hersteller des Landes, und Changhan Automobile – kämpfen mit. Mit Rückendeckung der Provinzregierung Hubei bietet Chinas Dongfeng Motor Rabatte von bis zu 13.000 US-Dollar auf einige Autos an. Der benzinbetriebene Citroën C6, der von einem Joint Venture von Dongfeng mit dem Jeep-Hersteller Stellantis gebaut wird, kostet in China nur noch 40 Prozent des Listenpreises (ntv).
Nicht nur die Hersteller selber, auch die Autohändler sind bereit, ganz tief in die Lockvogel-Kiste zu greifen: Für eine Probefahrt gibt es ein Parfüm; beim Kauf dann umsonst Campingzubehör dazu. Auch ein kostenloser Urlaub soll schon mal abgefallen sein. Im Extremfall sogar gratis ein Verbrennerauto. Die Krone hat sich ein Toyota-Händler aufgesetzt: Kauf ein Elektroauto (bz4x)und bekomme einen Verbrenner (Toyota Vio) gratis dazu. (Werbung eines Toyota-Händlers; das Angebot galt bis zum 31. März; ntv).
Ausgelöst hat die Preisschlacht einzig und allein Tesla, zunächst aus firmeninternen Gründen wegen der drohenden Verfehlung seines 2022-Jahresziels. Hinzu kam aber dann, dass die chinesischen Hersteller und die ausländischen Mit-Wettbewerber die Rabatt-Initiative des US-Pioniers willig aufgegriffen – und ausgebaut haben. Der Grund liegt im schrumpfenden chinesischen Automarkt.
Die Autoverkäufe in China sind im Januar und Februar 2023 im Anschluss an die schwachen Vorjahre noch einmal um fast ein Fünftel zurückgegangen. Viele Verbraucher verzichten angesichts der unsicheren Wirtschaftsaussichten auf große Anschaffungen. Dazu sind lukrative Kaufsubventionen für E-Autos im Dezember ausgelaufen, so dass Neuwagen-Käufe Ende 2022 vorgezogen wurden. Inzwischen richten immer mehr Chinesen ihre Käufe nach der Stop-and-Go Politik ihrer Regierung aus. Ganz gleich wie, ob mit oder ohne Kaufanreize, der weltgrößte Absatzmarkt kommt nach 30 Jahren explosionsartigem Wachstum allmählich in die Sättigung, in den Mega-Millionenstädten ist sie schon überschritten.
Trendmäßig abnehmende Wachstumsraten oder Rückgänge hat es bislang im chinesischen Autohandel noch nie gegeben. Die Folge ist einfach aber unbequem: Der Kuchen reicht nicht mehr für alle, der Rabattwettbewerb setzt ein und wird ruinös für viele, der Selektionsprozess packt zu. Und das bei einer Herstellerkulisse, in der jede Provinz autonom über eigene staatliche Automobilmarken verfügt, zusätzlich zu den inzwischen privaten Herstellern und Joint-Venture-Unternehmen. Wer durchhalten will, braucht „finanzielle Feuerkraft“ – die wenigsten chinesischen Hersteller und Händler haben das.
Allmählich scheint es auch den ausländischen Autokonzernen zu dämmern: China ist überall! Die chinesische Entwicklung könnte ein Wetterleuchten sein für die künftige Wettbewerbssituation, wie sie auf den entwickelten Märkten in USA und Europa demnächst zu erwarten ist, wenn das Markt-Wachstum in China ausbliebe, oder der Markt dort sogar schrumpfte. Denn endlose Kaufsubventionen für Elektroautos et al. kann sich auch die chinesische Regierung nicht leisten, Christian Lindner wurde bereits als Berater angefragt. Zumal die demographische Komponente wie ein Damoklesschwert über dem chinesischen Sozial- und Finanzsystem hängt.
Das scheint Zukunftsmusik. Für 2023 ist die Lage noch entspannt, zumindest für Prognostiker. Diese rechnen für 2023 bislang trotz aller konjunktureller Erschwernisse und Baukrisen immer noch mit insgesamt rund 24 Millionen PKW-Verkäufen, rund drei Prozent mehr als im Vorjahr. Damit würden in China etwa so viele Autos verkauft werden wie in EU und USA zusammen. – Für ausländische Autohersteller lohnt es sich also noch, „an der Reistafel“ mit zu kämpfen. Bei Tesla zeigte der Preiskampf in der Bilanz direkte Folgen: Die Umsätze nahmen kräftig zu, die Gewinne kräftig ab, der Aktienkurs brach ein.
Ob Elon Musk den Gewinnrückgang bei Tesla im ersten Quartal 2023 als Folge der Rabattschlacht auch in der Folgezeit noch mit Gelassenheit hinnimmt, ist dann fraglich. Hält die Rabattschlacht an und das angestrebte Mengenwachstum bleibt trotzdem aus, dürfte es dann mit der Gelassenheit vorbei sein.