Tichys Einblick
Probleme mit Fahrassistenzsystemen

Ein Datenleck entzaubert Tesla: Mehr als 1000 Unfälle mit Autopilot

Ein massives Datenleck bei Tesla offenbart, dass der Autohersteller beim autonomen Fahren größere technische Probleme hat als bislang gedacht. Und vor allem, als er bislang kommuniziert hat. Seit 2015 gab es danach über 1000 Crashs durch Teslas Autopilot.

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Man kann zu Tesla-Gründer Elon Musk stehen, wie man will, aber eines muss man ihm lassen: Er ist nicht nur ein findiger IT-Freak und Technik-Visionär, sondern auch ein genialer PR-Manager – seines Unternehmens wie seiner selbst. Und als solcher weiß er ganz genau: „Angriff ist die beste Verteidigung“, und: „Die eigenen Fehler und Schwächen kaschiert man am besten durch Ablenkung der Öffentlichkeit auf Nebenkriegsschauplätze.“

Die aktuelle Entwicklung rund um Tesla ist ein Spiegelbild der Muskschen Camouflage, gleich ob so im Einzelnen von ihm gewollt oder durch des Zufalls Fügung. Und Ablenkung hat Musk auch nötig, denn Tesla ist in seinem Kerngeschäft mit autonom fahrenden Elektroautos durch ein massives Datenleck in seinen IT-Systemen heftig unter Beschuss geraten.

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Insider haben dem Handelsblatt 100 Gigabyte vertrauliche Daten zugespielt, die aus Teslas internem IT-System stammen. Dem Blatt zufolge zeigten die Daten „das Bild eines Elektroauto-Pioniers, der weit größere Probleme zu haben scheint als bislang bekannt. Mit seinem Autopiloten zum Beispiel“. Ausgewertet worden seien Dateien von einem „zwölfköpfigen Team“, in monatelanger Arbeit. Sie sollen sensible Personal- und vor allem Kundendaten enthalten, was nicht nur die Behörden für Verkehrssicherheit, sondern auch Datenschützer und Gewerkschaften in Alarm versetzt hat.

Darunter seien sensible Informationen zu Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Laut Bericht liegen der Zeitung auch vertrauliche Informationen über mehr als hunderttausend Beschäftigte vor, unter anderem auch deren Privatanschriften und Gehälter. In anderen der als vertraulich gekennzeichneten Dokumenten gehe es um Projekte wie dem „Autopilot“ genannten Fahrassistenzsystem, die Entwicklung neuer Batteriezellen oder den geplanten Elektro-Pickup des US-Herstellers (Welt).

Die vertraulichen Daten lassen erkennen, dass der texanische Autohersteller beim autonomen Fahren größere technische Probleme hat als bislang gedacht. Und vor allem, als er bislang kommuniziert hat. Behörden und Gewerkschaften haben ob des Datenlecks zwischenzeitlich Untersuchungen eingeleitet. Tesla selbst bestätigte das Leck, spricht von Datenklau und kündigte rechtliche Schritte gegen den Verdächtigen an – angeblich ein „verärgerter“ Ex-Mitarbeiter. Zu den technischen Problemen, die vor allem den oftmals angekündigten „Autopiloten“ und das autonome Fahren betreffen, hat sich der Elektroautobauer bislang nicht geäußert.

Qualitätsmängel bei Tesla sind seit langem bekannt, Qualitätsmängel haben Tesla bislang nie gestört. Und die Kunden offensichtlich auch nicht, denn sie haben den quirligen IT-Unternehmer in der Vergangenheit nicht nur regelmäßig mit frischem Kapital ausgestattet, sondern ihn innerhalb von gut 10 Jahren zum Absatzmillionär gemacht und zeitweise zum profitabelsten Unternehmen der Welt. Und Musk selber zum reichsten Mann. Wenn man den jüngsten Meldungen glauben darf (Welt), dürfte Teslas SUV Model Y im ersten Quartal 2023 mit 263.000 Einheiten erstmals zum meistverkauften Automodell auf dem Globus geworden sein – und das Modell Corolla des Absatz-Weltmeisters Toyota damit vom Thron gestoßen haben.

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Ob dauerhaft, ist allerdings sehr fraglich. Denn zur gleichen Zeit meldeten die Medien, Tesla müsse in China seine 1,1 Millionen Fahrzeuge – das entspricht einer zweifachen Jahresproduktion der Gigafactory Shanghai – wegen elektronischen Störungen an den Bremssystemen zurückrufen. Die chinesische Behörde für Marktregulierung sprach von einem Produktrückruf, der am 29. Mai beginnen sollte. Betroffen sind insgesamt drei importierte und zwei in China hergestellte Tesla-Modelle, die von Januar 2019 bis April 2023 produziert wurden. Bei dem Problem handelt es sich laut Angaben der chinesischen Behörde um einen Bremsdefekt, den Tesla mit einem Software-Update beheben werde. Experten gehen davon aus, dass die Aktualisierung der Software über eine Mobilfunkverbindung realisiert wird und die Fahrzeuge dafür nicht in eine Werkstatt gebracht werden müssen.

Bremsdeffekte bei fahrerlos, sprich autonom fahrenden Autos sind für Insassen in der Regel nicht vergnüglich. Auch in China nicht. Im November 2022 machte ein tödlicher Unfall in der südchinesischen Provinz Guangdong Schlagzeilen. Dabei sind zwei Menschen gestorben, nachdem ein Tesla Model Y mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge gerast war. Chinesische Staatsmedien spekulierten darüber, dass die Bremsen des Fahrzeugs versagt haben könnten. Vor diesem Hintergrund ist die hohe Sensibilität der Sicherheitsbehörden verständlich: sowohl in China, den USA wie jetzt auch als Folge des Datenlecks in Europa.

Bereits am 16. Mai 2023 aus Anlass der Hauptversammlung der Tesla-Anteilseigner in der Tesla-Gigafactory in Texas sprach Musk offen eine Reihe von Problemen an, die Tesla aktuell beschäftigen oder in Zukunft erhebliche Probleme bereiten könnten. Schon im Vorfeld des Aktionärstreffens hat der E-Autobauer bei der US-Börsenaufsicht SEC ein Dokument eingereicht, aus dem hervorging, welche Themen den Tesla-Chef umtreiben.

So will Tesla aufgrund sich abzeichnender Absatzschwierigkeiten erstmals Werbung schalten, die Musk bis dahin strikt abgelehnt hatte. „Wir werden ein bisschen Werbung ausprobieren und schauen, wie es läuft.“ Bisher hat Musk das nicht nötig, er nutzte seine eigene Popularität und vor allem die von ihm übernommene Online-Plattform Twitter. Offensichtlich hat das als Wachstumsbeschleuniger nicht ausgereicht, Tesla hat seit Ende 2022 mehrfach die Preise drastisch gesenkt – auch in Deutschland. Und Musk hat eine Werbeexpertin, Linda Yaccarino, zu seiner Nachfolgerin als CEO bei Twitter gemacht.

Bei nämlicher Tesla-Hauptversammlung hat Elon Musk auch zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) behauptet, Tesla sei allen überlegen: „Ich bin nicht einmal sicher, wer die Nummer Zwei ist.“ Musk war einer der Gründer des ChatGPT-Entwicklers OpenAI. „Ich bin der Grund, warum OpenAI existiert.“ Inzwischen gründete Musk das neue eigene KI-Unternehmen X.AI, über das er noch nicht reden wollte. Vielleicht macht auch das Schwierigkeiten. Denn gleichzeitig beginnt er, öffentlich vor den Folgen von KI für die Menschheit zu warnen, und hat eine Entwicklungspause von einem halben Jahr verlangt.

Im Hinblick auf das jüngste Tesla-Datenleck besonders aufschlussreich waren auf der Eigentümerversammlung die Ausführungen von CEO Musk zum autonomen Fahren, für das Handelsblatt Dreh- und Angelpunkt des Tesla-Lecks.

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Musk selber ist sich der Bedeutung des autonomen Fahrens für sein Unternehmen wohl bewusst. Er wiederholte nach der Hauptversammlung in einem Interview, Tesla stehe kurz davor, seine Fahrzeuge komplett zu autonom fahrenden Autos zu machen. Tesla sei der einzige Autohersteller, bei dem man glaube, volle Autonomie mit einem Software-Update erreichen zu können, betonte er. Es sehe danach aus, als würde es noch in diesem Jahr so weit sein, räumte er auf Nachfrage vorsichtig ein, bezeichnete sich aber vorsichtshalber selber als „pathologischer Optimist“. Es stimme ihn aber zuversichtlich, dass er mehrere Tage durch San Francisco gefahren sei, ohne viel in die Kontrolle über das Fahrzeug von der Software übernehmen zu müssen. Wie bereits schon vor Jahren stellte er erneut in Aussicht, dass Tesla-Besitzer dann ihre Autos zum Geldverdienen als Robotaxis losschicken könnten. – Über technisches Versagen in der Fahrzeug-IT wurde bei dem Interview nicht gesprochen.

Nicht Tesla, wohl aber die General-Motors-Tochter Cruise und die Google-Schwesterfirma Waymo lassen derweil Robotaxis ohne einen Fahrer am Steuer durch San Francisco fahren. Musk hält dagegen, die Waymo-Technologie funktioniere nur auf präzise vermessenen Straßen und werde durch Veränderungen wie Unfälle oder Bauarbeiten verwirrt. Tesla sei dagegen weiter und habe „praktisch“ eine Lösung entwickelt, die überall funktioniere, behauptet er. In Wirklichkeit zeigen Videos von US-Nutzern über Tests der neuen Tesla „Autopilot“-Version aus den vergangenen Monaten zum Teil erratisches Verhalten der Software, wie abrupte Bremsvorgänge. Das „Autopilot“-System steht nach mehreren Unfällen zurzeit im Visier von Ermittlungen von US-Behörden.

Das jetzige Tesla-Datenleck bringt es an den Tag: Die Probleme mit Teslas Fahrassistenzsystemen sind weit größer als bisher bekannt. Das zeigen die internen Daten des Unternehmens, die dem Handelsblatt zugespielt wurden, sehr deutlich. Seit 2015 gab es danach über 1000 Crashs durch Teslas Autopilot.

Das Handelsblatt hat bei der Berichterstattung über das Tesla-Leck den Vogel abgeschossen. Die Headline der Titelseite war: „Mein Autopilot hat mich fast umgebracht.“ Untertitel: „Tesla-Files nähren Zweifel an Elon Musks Versprechen. Ein Datenleak mit rund 100 Gigabyte an internen Informationen aus dem Unternehmen bringt Tesla in Bedrängnis.“ Dem Handelsblatt wurden rund 23.000 Dateien aus dem Innersten des Elektro-Pioniers zugespielt. Darunter vertrauliche Dokumente zu Unfällen mit Teslas Autopilot.

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Das Unternehmen kommentiert das Datenleak nicht und forderte die Zeitung auf, die Datensätze zu löschen. Die in den Datensätzen geschilderten Probleme mit den Fahrassistenzsystemen sind alarmierend. Das Handelsblatt beziffert die Einträge über Sicherheitsbedenken von Kunden auf mehr als 3000; davon 2400 Beschwerden über Selbstbeschleunigungen, mehr als 1500 Probleme mit Bremsfunktionen, 139 Fälle von Notbremsungen und 383 gemeldete Phantombremsungen durch falsche Kollisionswarnungen. Ergebnis: Für deutsche Autoexperten bestehen erheblich Zweifel an Level 3 bei Tesla.

Laut Handelsblatt soll es mehr als 1000 Unfälle infolge der Fehlfunktionen von Teslas erweiterten Fahrassistenzsystemen gegeben haben. Der Zeitraum der Beschwerden von Kunden liegt zwischen 2015 und März 2022. Es gibt auch Vorfälle aus Europa und bei deutschen Tesla-Fahrern, doch die meisten Probleme traten in den USA . Dort sieht sich das Unternehmen auch in zahlreichen Gerichtsprozessen zu seinen Fahrassistenzsystemen konfrontiert. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA ermittelt. Nun sind erstmals – mutmaßlich riesige Mengen – interne Informationen aus dem Unternehmen gelangt. Sie deuten darauf hin, dass Teslas Probleme mit dem Autopiloten noch größer sein könnten als bislang angenommen.

Das Tesla-Leck mehrt die Zweifel an den vollmundigen Versprechungen von Tesla-Chef Elon Musk zum autonomen Fahren. Offenbar hat das Unternehmen weit mehr Probleme mit seinen Assistenzsystemen als bisher eingeräumt. Dazu passt, dass ein großer Report der Automobilwoche zuletzt zeigte, dass Tesla technisch noch sehr weit von autonomen Fahrfunktionen nach Level 3 entfernt ist. Dieser Level ist der letzte von fünf, ab dem dann das völlig autonome Fahren – Level vier noch mit Mensch hinter dem Steuerrad, Level 5 völlig fahrerlos – beginnt. Die deutschen Behörden haben für Mercedes den Level 3+ zwischenzeitlich freigegeben.

Unter Fachleuten unbestritten hat die Marktführerschaft beim autonomen Fahren mit Level 3 + Mercedes inne, BMW holt gerade auf. Aber selbst bei Mercedes dürfen die am weitesten entwickelten Modelle nach den behördlichen Auflagen nur auf der Autobahn unterwegs sein, dabei nicht schneller als 60 kmh und ohne Spurwechsel fahren, und nicht an Baustellen und Fahrbahnverengungen. In der Regel autonom fahren also nur beim Stop-and-Go-Verkehr.

Dazu die Automobilwoche: „Elon Musk spricht gerne und viel von Level 4 und 5, aber ist selbst nach wie vor mit seinem ‚Autopiloten‘ nur bei Level 2+“ (Apex-AI-Chef und Software-Experte Jan Becker, zitiert nach Handelsblatt). Nach gängiger Definition und deutschen Messlatten für autonomes Fahren ist also auch die Tesla-Variante „komplett selbstfahrend“ im Kunden-Test nicht mehr als ein Assistenzsystem bestenfalls nach Level 2+. Aber selbst bei Level 2+ macht der Tesla „Autopilot“, folgt man den Informationen des Datenlecks, erhebliche Fehler.

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Das dürfte die ehrgeizigen Wachstumspläne Teslas empfindlich stören – und Elon Musk überhaupt nicht gefallen. Denn selbstfahrende Fahrzeuge zu bauen ist für den PayPal-Erfinder und SpaceX-Raketenbauer eine Frage der Existenz von Tesla. Einen funktionierenden Autopiloten zu entwickeln, bekannte Konzernchef Musk noch im Juni 2022, entscheide darüber, „ob Tesla viel Geld wert ist oder praktisch null“. Nur zur Erinnerung: Es ist nicht lange her, da war Tesla mit weniger als einer Million verkaufter Fahrzeuge mehr wert als BMW, Ford, General Motors, Honda, Mercedes, Toyota und Volkswagen zusammen. Im November 2021 erreichte die Marktkapitalisierung des winzigen, aber weltgrößten Elektroautoherstellers 1,2 Billionen Dollar. Heute ist es weniger als die Hälfte. Niemals zuvor hat ein Unternehmen in so kurzer Zeit so viel an Börsenwert verloren.

Für deutsche Autoexperten/-ingenieure und Haftungsrechtler verwirrend und völlig unverständlich ist der Umstand, dass Tesla es in den USA seinen Kunden mit behördlicher Genehmigung überlassen darf, selber die neue Version der Assistenzsoftware „Autopilot“ mit der Bezeichnung „komplett selbstfahrend“ zu testen. Zugleich aber betont, dass „Autopilot“ die Fahrzeuge nicht zu selbstfahrenden Autos mache und die Menschen am Steuer die Verantwortung behielten. Manchmal aber dabei das Ende der Fahrt nicht mehr erleben konnten, so vereinzelte Medienberichte.

Die Tesla-Datenlecks bestätigen das. Und haben in Europa für Aufregung gesorgt, Datenschutzbehörden aus Deutschland und den Niederlanden ermittelten bereits. Auch die deutschen Gewerkschaften fordern Konsequenzen. Dazu die IG Metall, für das Tesla-Werk in Grünheide de jure zuständig: „Diese Enthüllungen sind beunruhigend und passen gleichzeitig in das Bild, das wir in knapp zwei Jahren aus eigenen Eindrücken und Schilderungen der Kolleginnen und Kollegen bei Tesla gewonnen haben.“ Offenbar lägen „persönlichste Daten der Beschäftigten für jede denkbare Form des Missbrauchs offen“. Die Gewerkschaft forderte eine „umfängliche Aufklärung“ der Beschäftigten über alle Verletzungen der Datenschutzrechte.

Bekannt wurde, dass die Unternehmensleitung von Giga-Grünheide auf ihre Beschäftigten mit weitreichenden Verschwiegenheitspflichten viel Druck ausübt und sogar einen Security Intelligence Investigator – quasi ein Stasi-Imitat – eingestellt hat, der auch abseits des Firmengeländes Verstöße ermitteln soll.

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