Am Sonntag wird es ernst. Dann entscheidet ein kleines Dorf in Niederbayern darüber, ob BMW eine Giga-Fabrik für Elektrobatterien bauen darf – oder nicht. 100 Hektar unbebauter Gäuboden stehen dafür in Straßkirchen bei Straubing zur Verfügung. Von hier aus sollen ab 2025 die bayerischen BMW-Produktionswerke Dingolfing, München und Regensburg mit Batterien versorgt werden. Der Landkreis hatte sich als Favorit herauskristallisiert, da alle drei Werke gleichermaßen gut beliefert werden können.
Die Dächer des Werkes sollen begrünt, fossile Energie nicht eingesetzt werden. Auf Fotos ähneln die Modelle der neuen Fabrik eher einem Fertigungssanatorium denn einer riesigen Industrieanlage. Ähnlich hat BMW seinerzeit sein neues Werk in Regensburg hochgezogen – und bis heute im Einklang mit der Nachbarschaft erfolgreich betrieben.
Exakt 2.828 Bewohner von Straßkirchen sind wahlberechtigt. Die Briefwahl läuft bereits, die offizielle Abstimmung findet am Sonntag statt. Gegen 22 Uhr soll spätestens feststehen, ob der Bürgerentscheid zum Bau einer neuen Batteriefabrik von BMW erfolgreich verlaufen ist – oder eine kleine Bürgerinitiative das geplante weitere Produktionsnetzwerk für Jahrzehnte empfindlich sabotieren konnte.
Der Ausgang des Bürgerentscheids ist offen, die Stimmung im Ort angespannt, die Fronten verhärtet. Seit Wochen kämpfen Befürworter und Gegner des Werks mit allen Mitteln um Wähler. Eine Gruppe sieht die Vorteile höherer Gewerbesteuereinnahmen und steht dem Bekenntnis von BMW zur bayerischen Heimat positiv gegenüber.
Die Kritiker wollen eine Ansiedlung des Premium-Herstellers um jeden Preis verhindern. In Facebook-Gruppen, in denen sich Unterstützer und Gegner organisieren, kursieren sogar Fotos von mutwillig beschädigten Plakaten, die für ein Ja beim Bürgerentscheid werben. Es wird geschimpft, gedroht und gestänkert, von einem Riss durch das Dorf ist bereits seit Monaten die Rede.
Was bei der Automobilwoche zu der nicht ganz unbegründeten Schlagzeile führt, „Warum ein kleines Dorf BMW verrückt macht“. Ja, warum eigentlich? Nachfolgend die wichtigsten Argumente zu dieser richtungsweisenden Entscheidung für BMW, den Standort Niederbayern, aber auch für die deutsche Automobilindustrie und den Industriestandort Deutschland.
Was wiegt in der politischen Gesamtbewertung schwerer: wertvolles unbebautes Ackerland und Bewahrung ländlicher Idylle? Oder eine saubere, hohe industrielle Wertschöpfung, 1.000 neue Arbeitsplätze und Wohlstand und Wachstum in der Region? Hier steht das Gemeinwohl gegen Partikularinteressen.
Dazu die wichtigsten Aspekte im Überblick (Automobilwoche):
Vorteile für BMW: Kurze Logistikwege, niedrige Transportkosten, weniger Umweltbelastung durch den Werkverkehr. Letztlich geht es um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zudem unterhält das Unternehmen im zwölf Kilometer entfernten Wackersdorf bereits ein Logistikzentrum. Die Batteriezellen für die neue Fabrik sollen von CATL unter anderem aus dem Werk in Arnstadt in Thüringen kommen. 1000 Arbeitsplätze würden so in Straßkirchen neu entstehen.
Argumente der Bürgerinitiative gegen das Werk: Für den Protest gegen das Werk wurde eigens die Initiative „Lebenswerter Gäuboden“ gegründet. Sie führt lediglich magere zwei Argumente ins Feld: die Vernichtung von Ackerboden, auf dem frisches Gemüse für ganz Bayern gepflanzt wird, und die zusätzliche Verkehrsbelastung des Ortes durch den drohenden Lieferverkehr zum und vom neuen BMW-Werk.
Wie reagiert BMW? Was passiert noch bis zur Wahl?
Zumindest nichts mehr auf großer Bühne. BMW schickt keine Vorstände oder gar CEO Oliver Zipse nach Niederbayern, um die Bevölkerung zu überzeugen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens besetzen aber wie bereits seit Monaten einen Infostand im Ort. Auch Testfahrten mit Elektroautos von BMW werden hier seit längerem angeboten. Auch am Wahlsonntag werden Beschäftigte des Autobauers vor Ort sein. Zentraler Aspekt beim Bürgerentscheid ist die Wahlbeteiligung. Sowohl BMW als auch die Werks-Gegner wünschen sich eine hohe Zahl an abgegebenen Stimmen und ein möglichst klares Votum.
Offizielle Äußerungen gibt es nicht. Klar ist aber: Kippt ausgerechnet in der Heimat Bayern ein Prestigeprojekt von BMW am Widerwillen der Bevölkerung, dürfte der Fokus für weitere Investitionen nicht mehr in Deutschland liegen (Automobilwoche). Das Leitwerk für die neue Klasse entsteht bereits im ungarischen Debrecen. Auch im Wachstumsmarkt China will BMW priorisiert Marktanteile gewinnen, durch mehr Produktion vor Ort. Denkbar wäre statt Straßkirchen eine Batteriefabrik in Tschechien, nur rund 100 Kilometer östlich davon.
Eine konkrete Prognose zum Wahlausgang wagt niemand. Nach jüngsten Zahlen von Unterstützern und Kritikern aus den letzten Tagen könnte es am Ende für eine knappe Mehrheit für die neue Fabrik reichen. Ob damit endgültig Ruhe im Ort einkehrt, ist aber mehr als fraglich. Dorffriede, Harmonie und Idylle dürften zumindest für längere Zeit gestört sein. Und vielleicht findet BMW in Niederbayern ja auch noch eine second-best Grundstück – die Unterstützung der Politik, auch der Grünen, dürfte sicher sein.