Der VDV ist der Branchenverband des Verkehrswesens. Da die einzelnen Betriebe eng mit der Politik verwoben sind, neigt der VDV in seiner Kritik zur Zurückhaltung. Doch seine Zahlen zum Haushalt sind vernichtend: 45 Milliarden Euro sollte der Bund in den nächsten vier Jahren zusätzlich für Schienen ausgeben. Das hatte der Koalitionsausschuss im März beschlossen. Tusch. Schlagzeile. Das werde den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel massiv befördern. Wohlwollender Kommentar. Die Verkehrswende schien bereits geglückt zu sein. Utopie.
Doch davon ist nicht viel übriggeblieben, wie der VDV feststellt. Von den versprochenen 45 Milliarden Euro bleiben nicht einmal 12 Milliarden Euro übrig. Nur etwas mehr als ein Viertel von dem, für das sich die Ampel im März als Verkehrswende-Helden hat feiern lassen. „Das ist nicht zielführend für die bis 2030 angestrebten und im Koalitionsvertrag festgelegten Wachstumsziele der Branche“, konstatiert der VDV.
Was bedeutet das für den Ausbau der Schiene? Was für den Deutschlandtakt? Zur Erinnerung: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte den „Deutschland-Takt“ versprochen. Mit einem ähnlichen Angebot hat in Wissings Heimatland Rheinland-Pfalz einst der junge Rainer Brüderle (FDP) Punkte gesammelt: Die Züge verkehren zwischen den großen Städten in einem kurzen Takt, der den Fahrgästen ein Umsteigen mit kurzen Wartezeiten ermöglicht. Doch die erste Ernüchterung hat Wissing schon hinter sich. Bis die Züge im Deutschland-Takt fahren, wird es noch fast 50 Jahre dauern.
Das musste Wissing schon eingestehen, bevor Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Etat seines Parteifreundes zusammengestrichen hat. Lässt sich der Deutschlandtakt nun überhaupt noch halten, wollte TE vom Ministerium wissen? Das antwortete zuerst gar nicht. Als wir nachhakten, vertröstete uns die Pressestelle mit einer Pressemitteilung. Weder auf die Frage nach dem Deutschlandtakt noch auf die nach dem Schienenausbau ging das Ministerium ein.
Stattdessen die übliche Erfolgspoesie: „Wir investieren mehr als je zuvor in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.“ Danke. Applaus. Aber was heißt denn das? Reicht das Geld für den Ausbau des maroden Netzes oder nur für seine Sanierung? „Wir wirtschaften solide und legen einen klaren Schwerpunkt auf Investitionen.“ Danke. Ist gut. Von der Seite sind keine Antworten zu erwarten. Wenn das Verkehrsministerium schon keine Streckeneröffnungen feiern kann, soll es sich wenigstens selbst feiern.
Damit das Verkehrsministerium mehr Geld für die Bahn bekommt, hat die Regierung Scholz (SPD) die LKW-Maut erhöht – mit allen zu erwarteten Folgen für die ohnehin im zweistelligen Bereich steigenden Lebensmittelpreise. Doch wie der VDV nun vorrechnet, kommt nur knapp die Hälfte dieses Geldes an: 5,4 Milliarden Euro Mehreinnahmen aus der LKW-Maut sind zu erwarten, weniger als 3 Milliarden Euro gehen davon jährlich ans Schienennetz. Der Rest versickert zwischen Wumms und Doppelwumms im Haushalt, sodass sich nicht nur der VDV fragt: „Wo sind dann die restlichen Mittel aus der LKW-Maut?“.
So ein bisschen räumt Wissing ein, dass Lindner ihn über den Tisch gezogen hat. Zwischen den Zeilen. Man muss genau hinschauen: „Wir bekräftigen auch den Beschluss des Koalitionsausschusses vom 28. März 2023, bis zu 45 Milliarden Euro des Investitionsbedarfs der Deutschen Bahn unter anderem aus dem CO2-Zuschlag der LKW-Maut zu decken.“
Aha. „Wir bekräftigen.“ Was heißt denn das? Bekommt Wissing das Geld? Fordert er es nur? Stellt der Minister sich mit einer Kerze in der Hand in die Berliner Wilhelmstraße, um an das gebrochene Versprechen zu erinnern? Oder klebt er sich sogar vor dem Finanzministerium fest? Wissings Haus informiert gezielt am Thema vorbei. Dafür ist es in Sachen Poesie unschlagbar. Stilrichtung rot-grüner Irrealismus: „Im Verkehrsbereich ist der Haushalt vor allem ein klares Bekenntnis zur klimafreundlichen Schiene.“