Tichys Einblick
Der wahre Hitzeterror in Zügen

ICE bleibt auf offener Strecke auf Brücke liegen

Karl Lauterbach verkündete gerade seinen großen Plan für die nächste „Hitzekatastrophe“: Wasser trinken, Kühlräume schaffen. Doch einen Ort berücksichtigt er nicht – jenen, wo reale Hitzekatastrophen stattfinden: in den ICEs der Deutschen Bahn.

Symbolbild

IMAGO / Harry Koerber

Immer wieder fallen Klimaanlagen aus, bei Hitzewellen häufen sich Zugausfälle und kritische Zustände bei überhitzenden Reisenden. Das ist keine Bagatelle, vor allem, wenn die Züge auf offener Strecke stehenbleiben und die Fahrgäste nicht herausgelassen werden, weil Gegenverkehr droht und aus dem Grund auch keine Türen geöffnet werden können, während die Sonneneinstrahlung die Waggons kontinuierlich weiter erhitzt. Unmittelbare gesundheitliche Auswirkungen sind real.

Wie gerade wieder: Dieses Mal waren 800 Fahrgäste betroffen, die aus einem ICE evakuiert werden mussten. Der war auf der Fahrt von Berlin nach Zürich südlich von Halle liegengeblieben. Wegen einer technischen Störung, so eine Bahnsprecherin. Der Strom im Zug war ausgefallen. Haben die Erneuerbaren nicht genügend Strom für die »grüne« Bahn geliefert?

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Bei einem Stromausfall geben auch die Klimaanlagen ihren Geist auf. Man benötigt nicht allzu viel Phantasie, wie schnell sich das Wageninnere unter der sengenden Sonne aufheizte. Das ist bei der Bahn leider auch keine Seltenheit: Im Mai vergangenen Jahres blieb ein ICE von Lübeck nach München stundenlang am Beginn der Norderelbbrücke stehen, weil die Oberleitung auf den Zug gekracht war. Hier waren bereits nach zwei Stunden die Fahrgäste »befreit«.

Im Juni dann waren Hunderte Fahrgäste im ICE von Nürnberg nach Berlin gefangen, der bei Forchheim liegengeblieben war. Grund: Oberleitungsschaden. Bei Außentemperaturen von 30 Grad heizte sich das Innere auf über 40 Grad auf. Über drei Stunden, so berichteten Fahrgäste, wurden sie im Inneren gegrillt. Keiner kam auf die Idee, die Fenster einzuschlagen, um Luft hineinzulassen. Früher konnte man die Fenster wenigstens öffnen.

Immer wenn es heiß wird, häufen sich die Zwischenfälle mit der Bahn. In anderen Ländern wie in Spanien oder Israel, in denen es regelmäßig heißer ist als im von der rhetorischen Klimakatastrophe bedrohten Deutschland, funktionieren die Klimaanlagen erstaunlicherweise zuverlässig. Im Juli 2019 traf eine Hitzewelle im Sommer die Bahn wieder einmal völlig unvorbereitet. Ein ICE mit ausgefallener Klimaanlage musste in Bielefeld geräumt werden.

Zu dramatischen Szenen kam es am Samstag, 10. Juli 2010 ebenfalls in Bielefeld. Rettungsdienste und Technisches Hilfswerk mussten an den Hauptbahnhof ausrücken, als Schüler und andere Reisende in einem ICE mit defekten Klimaanlagen festsaßen. Viele kollabierten. Mehrere Klassen eines Gymnasiums aus Willich wollten an diesem Tag von einer Klassenfahrt nach Berlin zurückfahren. Kurz nach der Abfahrt aus Berlin fiel die Klimaanlage aus. In Hannover stiegen die Fahrgäste in einen anderen ICE um. Auch hier war die Klimaanlage – defekt.

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Die Überhitzung hatte lebensbedrohliche Ausmaße angenommen. Im Inneren der Wagen herrschten nach Berichten von Reisenden Temperaturen um die 50 Grad. Manche berichteten gar von Temperaturen bis zu 70 Grad. Eine Mutter soll versucht haben, eine Scheibe mit dem Nothammer einzuschlagen. Ihr Sohn war kurz vor dem Kollaps. Ein Bahnsprecher meinte dazu später lediglich, es sei gefährlich, die Scheibe einzuschlagen. In den Wagen herrsche Unterdruck, der Zug könne mit zerstörter Scheibe nicht fahren und bleibe auf der Strecke liegen.

Ältere Menschen brachen zusammen und lagen in den Gängen. Die Zugmannschaft rief Rettungskräfte an den Bahnhof Bielefeld. Ein Großaufgebot von 91 Notärzten und Rettungsdiensten war angerückt, behandelten die Passagiere noch auf dem Bahnsteig und musste sie teilweise als Notfälle in Krankenhäuser fahren. Dort erhielten die Geschwächten und Strapazierten Infusionen. Die erfahrenen Notärzte erkannten sofort die lebensbedrohliche Lage vieler Reisender.

Aus dem ICE-Waggon direkt auf die Krankenbahre ins Krankenhaus – peinliche Bilder für die Bahn, die lange nachhallen. Immerhin entschuldigte sich der damalige Bahnchef Grube telefonisch bei Schülern und Lehrern. Gegen den Zugführer ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Der ICE hätte schon vorher angehalten und evakuiert werden müssen.

An jenem Wochenende fielen bei mindestens zwei weiteren ICEs die Klimaanlagen aus. Zu jener Hitzewelle habe es laut einem Bahnsprecher bei insgesamt 36 ICEs Probleme gegeben.

Im sehr heißen Sommer 2003 war das ICE-Modell 3 noch neu. Die Klimaanlagen fielen bei höheren Temperaturen regelmäßig aus, damals, weil Luftfilter häufig verstopften. Die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen – jedenfalls nicht auf eine zerstörungsfreie Art.

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3.400 Klimaanlagen sind laut Bahn in den Zügen im Einsatz. Die seien auf Außentemperaturen bis zu 45 Grad ausgelegt, im Inneren der Wagen sollten bei hohen Außentemperaturen 27 Grad herrschen. Wenn die ausfallen und der ICE zur Hitzefalle wird, drohen lebensgefährliche Zustände, wie am Beispiel Bielefeld zu sehen war. Der Körper erhitzt, will die Wärme loswerden. Gefäße werden geweitet, doch dann sinkt der Blutdruck; Organe, Gehirn und Herz brauchen Sauerstoff, der dann fehlt. Dann kann es zu einem Kreislaufstillstand kommen.

Hitzewellen gab es immer wieder – früher allerdings ohne laute Potsdamer Klimakatastrophenapostel, die mit lärmigen Zeichen drohenden Unheils davon profitieren konnten. Es gab keinen Lauterbach, der bemerkte, wie sich warme Temperaturen panikpolitisch ausschlachten lassen und von seinem Versagen in der Gesundheitspolitik ablenken können.
Lauterbach sagte übrigens nichts in Sachen Gesundheitsschutz bei Kälte. Erfroren ist der Mensch schneller, als an zu großer Hitze verstorben.

Bleiben die vier Feinde der Bahn: die vier Jahreszeiten. Und vor allem der Befehlsstand im Bahntower zu Berlin, in dem es bisher keine Bahnspitze fertig gebracht hat, an alte Zeiten anzuknüpfen und dafür den Weg zu bereiten, dass alle Bahnmitarbeiter ordentliche Arbeit abliefern können und dass Züge pünktlich sind. Und überhaupt erstmal fahren können.

Im Internet werden der Bahn gute Vorschläge präsentiert: an heißen Tagen den Bahnverkehr zwischen 11 und 20 Uhr vorbeugend einstellen.

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