Überfüllte Abfertigungshallen, lange Warteschlangen, verärgerte und verzweifelte Reisende: Das Chaos zum Ferienstart in Nordrhein-Westfalen auf dem Düsseldorfer Flughafen ist kaum mit Worten zu beschreiben. Viele Urlauber verpassten ihre Flüge, obwohl sie zum Check-in sogar bis zu fünf Stunden vorher am Airport waren. Die Gründe: Sicherheitsmitarbeiter sind hoffnungslos überfordert, weil unterbesetzt. Airlines streichen Verbindungen, weil das Personal für den Neustart nach der Corona-Epidemie fehlt. Und Koffer sind nicht schnell genug transportiert worden, weil Mitarbeiter in der Abfertigung fehlen. Was vielfach zur schönsten Zeit des Jahres bleibt, ist Frust statt Urlaubsfreuden.
Und das wird sich wohl auch nicht so schnell ändern. Egal ob in Düsseldorf, Berlin oder Hamburg. Denn nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) fehlen bundesweit an den deutschen Flughäfen mehr als 7000 Fachkräfte. Zudem sagte die Lufthansa für die Haupturlaubszeit 3000 Flüge ab, die Low-Cost-Airline Easyjet allein in Berlin 1000 Flüge. Um schnell Entlastung zu schaffen, hat die Luftfahrtbranche deshalb Bund und Länder um Hilfe gebeten. Über Arbeitsvermittler sollen wie in den 60er Jahren zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders nun im Eilverfahren 2000 Aushilfen im Ausland angeworben werden.
Eine realistische Einschätzung dazu gibt Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „In den nächsten Wochen mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern. Zu viele Mitarbeitende und Ressourcen fehlen noch, nicht nur bei unseren Partnern, sondern auch in einigen Bereichen bei uns“, schreibt der CEO in einem Brief an seine Kunden. Trotz Neueinstellungen, so Spohr weiter, werde sich der Kapazitätsaufbau „erst im kommenden Winter stabilisierend auswirken können“. Mit anderen Worten: Trotz der versprochenen Ankündigungen der Minister ist weiteres Chaos zu den anstehenden Schulferienstarts programmiert.
Dabei war die Krise zum Urlaubsstart nach Einschätzung von Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg vorherzusehen und ist größtenteils hausgemacht. Die Arbeitskräfte, sagt Forscher Weber, seien in den kontaktintensiven Dienstleistungsbranchen wie der Gastronomie, dem Veranstaltungswesen oder bei den Airlines in der Pandemie nicht weggelaufen. „Aber es gab eine lange Flaute bei Neueinstellungen und deshalb jetzt einen Nachholbedarf.“ Zudem sieht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor allem bei den Sicherheitskontrollen ein strukturelles Problem: Mit Ausnahme Bayerns, wo das große Tohuwabohu bislang ausgeblieben ist, werden die Kontrollen nämlich von privaten Unternehmen durchgeführt, die wiederum laut der Arbeitnehmervertretung beim Personal sparen und schlechter bezahlten, was wiederum zu einem hohen Krankenstand führen würde.
Überhaupt ist es unwahrscheinlich, dass sich das Problem über befristete Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte lösen lässt. Zum einen gehen in Deutschland laut Weber jetzt die sogenannten Babyboomer aus den geburtenstarken Jahrgängen der 60er Jahre sukzessive in die Rente, das den Kampf um die Arbeitskräfte generell verschärfe. Zum anderen müsse das Tourismus- und Freizeitgewerbe auch noch mit der Industrie, dem Handel oder dem Bau um das immer knapper werdende Arbeitskräftereservoir konkurrieren. Und zwar in einer Zeit, in der die Republik mit einer bundesweiten Arbeitslosenquote um die fünf Prozent schon jetzt trotz aller Corona-Effekte Vollbeschäftigung verzeichnet.
Wie angespannt die Lage ist, zeigen die regelmäßigen Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Selbst nach Ausbruch des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Sorge um die Energiesicherheit sowie der Preissprünge wegen der Lieferkettenstörungen bleibt der Fachkräftemangel die größte Sorge der Unternehmen. So spüren etwa auch bei den Maschinen- und Anlagenbauern, einer der deutschen Vorzeigebranchen, nach der aktuellen Mitgliederbefragung des Branchenverbandes VDMA fast alle Unternehmen Personalengpässe. 90 Prozent der Firmen geben an, dass Fachkräfte knapp sind, und 81 Prozent der Betriebe haben auch mehr oder weniger große Schwierigkeiten Stellen im akademischen Bereich zu besetzen. Diese Lage, so der VDMA in seiner Einschätzung, werde sich kurzfristig sogar noch verschärfen, da 61 Prozent der Betriebe in den nächsten sechs Monaten ihr Personal aufstocken wollen.
Wie also könnte die Lösung des Problems aussehen? Der VDMA und auch Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sehen sie angesichts der negativen demographischen Entwicklung in Deutschland in einer nachhaltigen Zuwanderungspolitik. Doch die müsse, sagt Enzo Weber, einhergehen mit einer besseren Integration und einem längeren Bleiberecht der ausländischen Fachkräfte, die ihr Potenzial dann besser in die deutsche Wirtschaft einbringen könnten.
Aus diesen Überlegungen leitet sich die Frage ab: Wo blieben die rund 2 Millionen junger, männlicher Einwanderer der letzten Jahre? Zwei von drei Flüchtlingen sind arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen; rund 900.000 Personen. Dem stehen nur 460.326 Menschen gegenüber, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und aus den Top-8-Asylherkunftsländern stammen. Ist es unmöglich, sie für die Flughäfen statt neuer Gastarbeiter anzuwerben?
In der Debatte um die Krisenbewältigung an den deutschen Airports spielt das allerdings für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unverständlicher Weise bislang offenbar keine Rolle, zumal es hier nicht nur um Arbeitskräfte geht. Denn der Arbeitsmarkt ist und war der größte Integrationsmotor. Hubertus Heil und Innenministerin Nancy Faeser müssen daher eine Antwort darauf geben, warum sie diese Chance der Integration jetzt nicht ergreifen.