Tichys Einblick
Individuelle Mobilität und Klimaschutz

E-Fuels oder Elektroautos? – Warum man beide braucht

Mobilität für alle sicherstellen, das geht mit Elektroautos alleine nicht. Deshalb brauchen wir neben Elektroautos auch den Öko-Sprit. Beim Ziel Klimaschutz sind sich alle einig, beim Weg dorthin nicht.

Wieso das?, fragt sich der auf dem Land wohnende Bürger, der heute sein Verbrennerauto als unverzichtbares Mittel beruflich oder für die Fahrt zur Ausbildungsstätte braucht. Doch wie kann man beides gleichzeitig sicherstellen: Klimaschutz und individuelle Mobilität? Und wenn dazu Elektroautos nicht ausreichen und gleichzeitig Verbrennerautos verboten sind, wie kann man beides trotzdem erreichen?

Um die Pariser Klimaziele 2030 einzuhalten, sind schnell wirksame und global umsetzbare Maßnahmen erforderlich. Aber inzwischen wissen wir: Effektiver Klimaschutz in einer hochentwickelten Gesellschaft ist Luxus, den muss man sich leisten können. Da bedarf es hoher staatlicher Finanzmittel, und das setzt eine leistungsfähige Wirtschaft und vor allem Technologien voraus, die in einer Marktwirtschaft Bestand haben. Technische Lösungen also, die dauerhaft vom Markt, das heißt von den Verbrauchern als sinnvoll und als notwendige Bedarfe akzeptiert werden. Keine Lösungen, die vom Staat den Verbrauchern entweder par ordre de mufti per Gesetz aufoktroyiert oder über temporäre Kaufprämien schmackhaft gemacht werden müssen.

Der richtige Weg zum Klimaschutz im Verkehr ist in der Öffentlichkeit höchst umstritten. In Wissenschaft, Politik und Wirtschaft tobt auf allen Ebenen ein erbitterter Glaubenskrieg, wie denn der Autoverkehr in Zukunft CO2-ärmer und damit klimafreundlicher gestaltet werden kann. Immerhin tragen die klimaschädlichen CO2-Emissionen des Verkehrs zu Land, zu Luft und zu Wasser rund ein Fünftel der anthropogenen fossilen Emissionen bei, der reine Pkw-Verkehr global davon 12 Prozentpunkte.

Alle wollen Klimaschutz, aber wie?

Die Spanne der Klimapostulate reicht von völliger CO2-Freiheit mit Null-Emissionen automobilen Antriebs bis hin zur bloßen CO2-Klimaneutralität. Nur darüber, dass es „ein weiter so wie bisher“ im Verkehr aus Klimagründen und anderen Gründen nicht geben kann, sind sich alle einig, selbst in der Autoindustrie. Es muss in Zukunft weniger CO2-haltigen Autoverkehr geben, nicht immer mehr. Dazwischen aber liegt ein breites Spektrum an dissonanten technischen Lösungen.

Die Wissenschaft streitet darüber, ob Elektroautos auf Batteriebasis (BEV oder PHEV) mit fossilfreiem „grünem“ Strom angetrieben, from craddle to grave klimafreundlicher betrieben werden können als vergleichbare Verbrennerautos. Wobei im Extremfall die gesamte globale Verbrennerflotte von 1,6 Milliarden Pkw durch neue Elektroautos – inklusive deren 300 kg schwere Speicherbatterien als Zusatzgewicht – 1:1 ersetzt werden müsste (nebst Aufbau der notwendigen Tankinfrastruktur in Tundra und Taiga). Ist das realistisch?

Oder ob nicht doch besser die global vorhandenen Verbrennerautos durch CO2-freie oder zumindest CO2-neutrale Antriebstoffe (E-Fuels oder HVO100) weiterbetrieben werden sollten.

Hergestellt als Liquidität wie Benzin und Diesel heute, zusammendestilliert aus Wasserstoff und Kohlestoff oder mit Strom und biologischen Abfallstoffen (Müll) zu

Beide Kraftstoffe stehen dafür heute schon zur Verfügung, E-Fuels allerdings bis dato nur im „Reagenzglas“, HVO100-Diesel immerhin bereits an 8500 Tankpunkten in ganz Europa zum Literpreis von 2 Euro – als wettbewerbsfähig. Dennoch sind beide erst im Anfangsstadium ihrer Marktdurchdringung – es fehlt die staatliche Anerkennung als Klima- bzw. Öko-Sprit.

Der Knackpunkt im Streit der Ingenieure und Naturwissenschaftler ist die „mangelnde Verfügbarkeit“. Und zwar von beidem: fossilfreiem Strom wie tankfähigem E-Fuel.

Mangelnde Verfügbarkeit von Treibstoffen: fossilfreien und synthetischen

Zum einen fehlt es an „grünem“, nachhaltigem Strom, mit dem die Elektroautos CO2-frei betrieben werden müssen, sonst hätte man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. „Grünen“ Strom gibt es nicht in ausreichenden Mengen in Deutschland, weder heute noch morgen noch übermorgen. Solange Atomstrom als „grüner Strom“ verpönt ist, ist die – so das Wunschdenken der Politik – bis 2030 auf 10 Millionen anwachsende Flotte von Batterie-Elektroautos auf nachhaltig erzeugten Strom aus Wind- und Sonnenenergie angewiesen. Der soll zwar in den nächsten 10 Jahren in Deutschland schleichend kommen, er ist aber heute erst nur zur Hälfte da, der Rest des deutschen Stromverbrauchs wird fossil mit Kohle, Erdgas und Erdöl hergestellt – oder als Atomstrom aus Frankreich importiert.

Folge: Jedes vorhandene bzw. zusätzliche neue Elektroauto auf Deutschlands Straßen wird mit fossilem Strom betrieben und hat eine schlechtere Klimabilanz als moderne Verbrenner, egal ob Diesel oder Benziner. Denn bereits in der ersten Physikstunde lernt man, dass ein Elektromotor Strom benötigt. Ebenso wird ein Getriebe mit Achsantrieb gebraucht, um das Drehmoment an die Räder zu bringen.

Ganz gleich, ob die Antriebsenergie vom Verbrennerauto oder vom E-Auto kommt, über die gesamte Entstehungskette gerechnet kommen in Summe der eingesetzten Energie nach Meinung von Experten letztlich nur 8 bis 20 Prozent am Rad an (Prof. Willner). Von Praktikern auf die Kurzformel gebracht: „Entweder befindet sich das Kraftwerk unter der Motorhaube oder am Stadtrand“ (Moritz Dhom, Werkstattleiter).

Zum anderen fehlen ausreichende Mengen klima-neutralen synthetischen Treibstoffs, nicht nur für Deutschland und Europa, geschweige denn für die gesamte Welt-Verkehrsflotte. Und zwar für Verbrenner-Vehikel auf der Straße, zu Wasser und in der Luft.

Vorteile von E-Fuels für Verbrennerautos gegenüber Elektroautos

Die Herstelltechnik für E-Fuels aus H2 und CO2 ist zwar altbekannt, aber es mangelt bisher nahezu an allem:

Zur Herstellung von E-Fuels auf Strombasis durch Elektrolyse von Kohlestoff und Wasserstoff (CO2 und H2) werden noch wesentlich größere Mengen an kostengünstigem „grünen“ Strom benötigt als zur Betankung der geplanten E-Autoflotte. Nachhaltiger Strom in den benötigten Mengen ist nicht im Abendland, sondern nur im Morgenland vorhanden, oder dort, wo es wind- oder sonnenreiche Gegenden gibt, zum Beispiel in Chile. Kostet die Produktion von 1 kWh in der Wüste 1 Cent, sind es in Deutschland 7 Cent + 21 Cent Netzabgabe (Prof. Indra) – dazwischen liegen Welten.

Der Vorteil von E-Fuels für Verbrennerautos gegenüber Elektroautos (BEVs) liegt auf der Hand. BEVs benötigen Speicherbatterien, zu deren Herstellung eine Vielzahl von knappen Rohstoffen gehört, die entweder in politisch instabilen Regionen geschürft werden, in jedem Fall sich aber inzwischen bereits drastisch verteuert haben (teilweise um den Faktor 6) – und sich weiter verteuern werden.

Im Gegensatz dazu kann der „Rohstoff“ Wasserstoff in unendlichen Mengen grün erzeugt und universal eingesetzt werden. Denn an Wind- und Sonnenenergie herrscht kein Mangel, nur in den nördlichen Industriestaaten, nicht aber im Süden. Wasserstoff für die Welt-Verkehrsflotte klimafreundlich in nördlichen Regionen statt im Süden zu produzieren, und dafür im Norden Nordsee und Landschaften mit Windrädern vollzupflastern, wäre ökologischer, politischer und wirtschaftlicher Unsinn. Schreckens-Bilder mit Windrädern, wie vom Umweltbundesamt verbreitet, sind unrealistisch, da niemand strombasierte E-Fuels in Deutschland herstellen will. “Es würde auch niemand Orangen in Lappland [oder Ananas in Kanada, F. S. Strauß] anbauen, aber sehr wohl in Südamerika. So ist das auch bei E-Fuels. Man muss realistische Vergleiche machen“ (Prof. Willner).

„Wasserstoff-Importe sind unumgänglich“

Die Zahlen pro E-Fuels können sich jedenfalls sehen lassen. Eine E-Fuel-Produktionsanlage arbeitet heute mit 60 Prozent Wirkungsgrad. Neue Elektrolyseure kommen auf 95 Prozent. Entscheidend ist, wo die Anlage steht und wie effizient der Betriebsstrom erzeugt wird. In Deutschland erreicht man 11 bis 20 Prozent Effizienz mit Wind und Photovoltaik, in sonnen- und windreichen Ländern kommt man auf 60 bis 85 Prozent – und das bei nur 2,5 Prozent des deutschen Strompreises (Prof. Willner).

Bereits heute sind für Experten Kraftstoff-Preise für E-Fuels von 80 ct/Liter (Prof. Koch). Notwendig sind also in jedem Fall Importe von kostengünstigem Wasserstoff. Aber warum nicht? Schon heute importiert Deutschland über alle Energieträger gerechnet 70 Prozent der Energie. „Wir können uns nicht ansatzweise selbst versorgen. Wasserstoff-Importe sind unumgänglich“(Prof. Willner). Und dieser grüne Wasserstoff wird als transport- und lagerfertiges E-Fuel nach Deutschland importiert und über die bestehende Pipeline- und Tankstellenstruktur direkt zu den Verbrauchern geleitet und dort wie gewohnt ohne Zeitverluste vertankt, so wie heute bei Benzin und Diesel üblich.

Ein Punkt ist wichtig: Einigkeit in Wissenschaft besteht darüber, dass die direkte Verwendung von Wasserstoff als synthetischer Treibstoff in Verbrennern deutlich effizienter ist als ein verlustreicher Umweg über die Rückverstromung. Also aus Wüsten-Wasserstoff in Europa wieder Strom zu machen, um damit Elektroautos zu betanken, macht keinen Sinn!

Fasst man zusammen, so ergibt sich für Deutschland folgendes Bild: Wäre hier – wie in den Industriestaaten – „grüner“ Strom im Überfluss vorhanden, und ließe man die gesamte Rohstoffproblematik bei der Produktion der Speicherbatterien außer Acht, dann wären BEVs eine gute Alternative zu E-Fuel-Verbrenner-Autos. Solange aber Deutschland auf Importe von „schmutzigem“ Strom angewiesen ist und solange deshalb BEVs nur mit Kohlestrom betrieben werden können, ist die E-Fuel-Lösung für Verbrenner die klimafreundlichere Lösung. Sie ist klimaneutral: Bei der E-Fuel-Nutzung im Verbrennermotor kommt so viel CO2 aus dem Auspuff, wie zuvor in die Herstellung von E-Fuels eingeflossen ist. Der CO2-Saldo ist ausgeglichen, kein neues CO2 wird aus dem Verbennermotor ausgestoßen.

Grüner Strom, zu Wasserstoff und E-Fuels im Süden des Globus hergestellt, kann als Liquidität leichter importiert werden als Strom wegen der hohen Leitungsverluste. „Am Import von grünem Wasserstoff kommen wir ohnehin nicht vorbei, weil wir in Deutschland trotz aller Ausbau-Anstrengungen auf Dauer nicht genug grüne Energie ernten können“ (Prof. Willner). Frag’ nach bei Robert Habeck …

Technologieoffenheit im federführenden Umweltministerium: ein Fremdwort

Die Wissenschaftler denken noch weiter. Durch eine „Elektro-Only-Strategie“ steigt das Klima-CO2-Volumen sogar, statt zu sinken, wie angestrebt. Ohne AKWs können nur Kohle- und Gaskraftwerke den steigenden Strombedarf für Elektroautos abdecken. Wind und PV-Anlagen sind nicht nach Bedarf regelbar. – Die EU hat den Verbrenner trotzdem ab 2035 quasi verboten, mit einem nur kleinen Notausgang für synthetische Kraftstoffe.

Auch in der deutschen Politik nimmt die Dissonanz zwischen Gegnern und Befürwortern von Elektroautos bzw. Klima-Sprit (E-Fuels) an Heftigkeit zu, je näher der Winter und damit die Gefahren von einschneidendem Mangel an Strom und vor allem an Erdgas aus russischen Lieferungen rücken und der Bevölkerung das bewusst wird. Schon sinkt die Kauflaune drastisch, im Einzelhandel wie bei den Auto-Shops steigt die Sparneigung deutlich an.

Die politische Dissonanz erreichte einen Höhepunkt im Mai 2022, als die europäischen Umweltminister auf Vorschlag des EU-Parlaments ein Ende des Verbrennermotors bis zum Jahr 2035 formal beschlossen. Die „grünen“ Vertreter der Bundesregierung stimmten dem zu, mussten allerdings E-Fuels als klimafreundliche Alternative mit in das Paket aufnehmen. Was sich noch auf längere Sicht als Segen herausstellen dürfte.

Am Anfang der E(u)-Phorie war noch alles eitel Sonnenschein, als 2010 die Bundesregierung aus Umweltgründen anfing, Verbrennerautos zu bannen und Elektroautos als alleiniges Mittel zur Vermeidung klimaschädlicher CO2-Emissionen zu deklarieren und mit Milliarden an Kaufsubventionen zu fördern. Technologieoffenheit im federführenden Umweltministerium: ein Fremdwort. Kanzlerin Merkel gab als Ziel 1 Million Elektroautos (BEV) auf deutschen Straßen bis zum Jahr 2020 vor. In Kombination mit Plug-In-Hybriden (PHEV), die nur bis 50 km, inzwischen 80 km Reichweite elektrisch, der Rest mit normalem Verbrenner gefahren werden können, wurde dieses Ziel zur Jahresmitte 2021 formal erreicht. Bereits hier deutete sich an, dass der Markt im Grunde keine Elektroautos will.

Preiswerte Alternativen für die Verbraucher wird es nicht mehr geben

Technikoffenheit, wie von der Automobilindustrie immer wieder angemahnt, vor allem von BMW, wurde vom federführenden Bundesumweltministerium stets ohne Begründung abgelehnt. Klimafreundliche Alternativen zum Elektroauto in Form von fossilfreien oder -neutralen synthetischen Treibstoffen aus Bio-Abfällen (HVO100) oder aus Wasserstoff (E-Fuels) wurden als unverändert klimaschädlich abgetan.

Diese politische Haltung fasste der Focus (10.09.2021) unter der Headline: „Wie die Bundesregierung Klima-Sprit als Elektro-Alternative verhindert“ so zusammen: „Deutsche Autobauer setzen alles aufs Batterie-Auto – vor allem Volkswagen. Dabei wären synthetische Kraftstoffe eine Alternative und könnten Millionen existierender Benzinfahrzeuge emissionsärmer machen. Doch Deutschland steht auf der Klima-Bremse.“

Rational nicht nachvollziehbar ist, dass die deutsche Klimapolitik im Pkw-Verkehr bisher alles auf Elektromobilität gesetzt hat, Alternativen waren bis zuletzt nicht vorgesehen. Sie verhinderte somit zum einen die Wahlfreiheit der Kunden, ob sie künftig ein emissionsarmes Auto lieber mit Elektroantrieb oder mit nicht-fossilen Kraftstoffen fahren würden. Möglich ist beides – jeweils in Abhängigkeit vom Strommix und von der Treibstoff-Quelle.

Zum anderen aber war das ein Freibrief für die Autohersteller. Vor allem der VW-Konzern unter Ex-CEO Herbert Diess, der zeitlebens als Entwicklungsingenieur ein glühender Verbrenner-Fan war, hat sich voll auf diese Linie gesetzt. Und hat damit, da Elektroautos wegen der hohen Batteriekosten im Schnitt um ein Drittel teurer sind als vergleichbare Verbrennerautos, als Weltmarktführer die Tür für eine neue Hochpreisstrategie für alle bei gezielt schrumpfender Modellpalette weit aufgestoßen. Bereits im Jahr 2021 gaben 63 Prozent der Befragten in einer Allensbacher Umfrage an, dass die Kosten für die Anschaffung eines E-Autos zu hoch sind. Auch Verbrennerautos werden künftig wegen der schärferen Euro-7-Abgasbestimmungen nicht mehr unter 20.000 Euro zu haben sein, so der neue VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Preiswerte Alternativen für die Verbraucher wird es nicht mehr geben. Die sozialen Folgen sind absehbar (TE berichtete). Untere Einkommensschichten werden sich keine Neuwagen mehr leisten können, und Gebrauchte werden teurer. Und ein neues Auto vor dem Gartenzaun verortet den Besitzer als stolzen Mittelklasseangehörigen wie in den frühen Wirtschaftswunderjahren des letzten Jahrhunderts. Um dem Enkel zum Abitur ein erstes Auto zu schenken, werden Opa und Oma erheblich tiefer in den Sparstrumpf greifen müssen.

Der Focus berichtet von einem Schreiben des Staatssekretärs Jochen Flasbarth aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, von Michael Günther (Verkehr und digitale Infrastruktur) sowie von Andreas Feicht (Wirtschaft und Energie), mit dem die Bundesregierung schon 2019 erfolgreich verhindert hat, dass sogenannter paraffinischer (Palmöl) Diesel, der eine bis zu 90-prozentige CO2-Einsparung ohne jede bauliche Veränderung beim Fahrzeugbestand bringen könnte, an Tankstellen vertankt werden darf. Die Liste an Beispielen für inkonsistentes, konterproduktives und letztlich klimafeindliches Handeln der Politik lässt sich bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzen. Das war aber auch nie die Absicht, Palmöl zu verdieseln.

Gravierende Veränderungen erfordern gravierende Anpassungen

Teilen der Politik ist offensichtlich noch nicht ganz klargeworden, dass auch in komplexen Gebilden wie Volkswirtschaften Ausnahmesituationen Ausnahmeregelungen nicht nur erlauben, sondern sogar zwingend erfordern. „Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen, die höchste Weisheit ist“ (Carl v. Clausewitz). Gravierende Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfordern auch gravierende Anpassungen des politischen Maßnahmenkatalogs! Als da – in der sich abzeichnenden Energienotlage des Hoch-Industriestaates Deutschland – sind:

Dazu noch ein Nebenaspekt; grundsätzlich kommt in der Politik bei der Diskussion um das Verbrennerverbot ein Aspekt stets zu kurz: Nicht den Verbrauch von fossilem Treibstoff sollte man über Verbrennerverbote eindämmen, sondern dessen „Produktion“, sprich die Förderung von Rohöl eindämmen. Will die Welt zur Klimarettung den CO2 einschränken, muss sie an der Wurzel ansetzen, an der fossilen Förderung. Denn: „Alles was gefördert wird, wird auch verbrannt. Wenn die Ölförderstaaten ein geeignetes Substitutionsprodukt haben, dann können sie es sich wirtschaftlich leisten, die fossile Förderung zu drosseln“ (Prof. Willner). Zu allem Übel kommen neue Exportländer hinzu, die über Erdölföderung so endlich zu Wohlstand kommen wollen. Und Überschussproduktion wird um jeden Preis in den Markt gedrückt.

In Deutschland tobt ungeachtet dessen der politische Streit zwischen ökologisch Wünschbarem und realistisch Machbarem, alles natürlich zum Wohl der Bürger, heftiger denn je. Ausgang: open end! Wobei „end“ aus politischem Blickwinkel im Sommer 2022 vieles beinhaltet!

Streit zwischen Betriebswirten und Volkswirten

In der Wirtschaft stehen ebenfalls Befürworter und Gegner von Wasser- und Abfallstoff-basiertem Treibstoff als klimaneutrale Alternative zum Elektroauto unversöhnlich gegenüber. Im Grunde ist es Streit zwischen Betriebswirten und Volkswirten:

Gegner von E-Fuels heben immer die geringe Effizienz des gesamten Antriebs und die hohen betriebswirtschaftlichen Herstellerkosten hervor, und beziehen sich dabei auf deutsche Stromproduktionskosten. Dabei kommen sie zu Liter-Preisen von 5 Euro und mehr für E-Fuel. Richtig ist auch, dass die Energieeffizienz bei Elektroautos mit 40 bis 60 Prozent am höchsten ist, bei fossilen Verbrennern nur bei maximal 35 bis 40 Prozent, bei Verbrennern mit E-Fuels angetrieben nur bei ca. 15 Prozent liegt. Richtig ist, dass zur Produktion von E-Fuel ca. 7 Einheiten Energie eingesetzt werden müssen, um eine Einheit Energie im Verbrennerauto zum Vortrieb zu nutzen.

Rein betriebswirtschaftlich wären die Produktion und der Verkauf von synthetischem Treibstoff auf Wasserstoffbasis völlig unsinnig, ganz im Gegenteil zur Produktion und Verkauf von synthetischem Treibstoff auf Abfallbasis (HVO). Aus diesem Grund denkt kein Investor daran, E-Fuels in großem Stil im Abendland zu produzieren, und wenn, dann unmittelbar an der Küste in der Nähe von ausreichend Windenergie zur H2-Produktion.

Regulierungen verhindern den Ausstieg aus dem fossilen Ölmarkt

Bei abfallbasierten Treibstoffen sieht die Bilanz anders, nämlich heute schon positiv aus. Wir haben ein weltweites Müllproblem. Darauf basierende HVO-Kraftstoffe können aus Altfett, Holzresten oder grünem Plastik hergestellt werden. In Fachzeitschriften wird eine fast 4-fache Steigerung der HVO-Volumen bis 2025 prognostiziert. In Schweden sind heute schon über 30 Prozent des gesamten Dieselverbrauchs Abfall-synthetisch. Bis 2030 sollen es 66 Prozent werden und in Kalifornien gar 95 Prozent.

Ab 2023/24 wird es auch erste strombasierte E-Fuels an deutschen Tankstellen geben. Anfang Juli fand seitens der FDP eine Veranstaltung im Bundestag zum Thema E-Fuel statt. Die Wissenschaft war sich einig, dass für ein Hochfahren der Produktion und die Vermarktung von Klima-Sprit es mehr Abnehmer brauche als Schiff und Flugzeug allein. Man braucht explizit auch den Pkw, um über größere Produktionsmengen die Preise zu senken. Prof. Koch wies darauf hin, dass es kein Versorgungsproblem gebe, und verwies auch auf Saudi Aramco. Das größte Unternehmen der Welt baut aktuell gigantische Wasserstoffanlagen.

Im Ergebnis sind sich alle Experten einig: Nicht die Verfügbarkeit, die Kosten oder die Technik sind bei E-Fuels das Problem. Es sind die fehlenden regulativen Rahmenbedingungen (Anrechnungen), die einen Ausstieg aus dem fossilen Ölmarkt verhindern. Verkehrsminister Wissing hat deshalb im Rahmen des Klimasofortprogramms einen überfälligen Vorschlag unterbreitet, dem das Umweltbundesamt nun zustimmen muss. Wissing will, dass der rein abfallbasierte HVO100-Diesel sofort in die Bundesemissionsschutzverordnung integriert wird, so wie es in der EU längst üblich ist. – Das Umweltbundesamt steht auf der Bremse. Geschieht dies endlich, wäre das der Durchbruch für alternative Antriebsquellen.

Aus volkswirtschaftlicher Pareto-Sicht hat der E-Fuel-Verbrenner die Umwelt-Pole-Position. Die sozialen Kosten der Verschrottung von 1,6 Milliarden Verbrenner-Pkws und deren Ersatz durch den Neubau einer vergleichbar großen E-Auto-Flotte überstiegen nicht nur die Vorstellungskraft, sondern bei weitem auch den sozialen (Umwelt-)Nutzen. Umgekehrt sind die sozialen Kosten für Errichtung von Solar- und Windkraftanlagen sowie der Produktionsanlagen für Wasserstoff und E-Fuels ungleich niedriger als die betriebswirtschaftlichen Kosten. E-Fuel, mit „Wüsten-Strom“ hergestellt, ist bereits heute nach Aussage aller Experten mit den Preisen für die fossilen Brennstoffe voll wettbewerbsfähig. Im Gegenteil: Die Stromkosten an der Tankstelle für E-Betankung nähern sich in raschem Tempo dem Break-even mit den heutigen Preisen für Benzin und Diesel. – Hemmniss ist allein die Politik!

Wie viel Mut hat die Politik?

Und die Politik? Was sollte sie tun in diesem Konflikt?

Ob die deutsche Politik dazu den Mut aufbringt?

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