Tichys Einblick
Dieselchaos

Luftmessstellen auf den Prüfstand

Die EU fordert ausdrücklich, dass alle Ergebnisse in der gesamten Europäischen Union vergleichbar sein müssen. Das ist offenkundig nicht der Fall.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Bald keine größere Stadt mehr ohne Fahrverbote? Ab 2019 sollen auch in Aachen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge gelten. Es seien angeblich zu viele Stickstoffoxide in der Luft, dafür seien Dieselmotoren verantwortlich – also weg damit, beschloss das Aachener Verwaltungsgericht. Geklagt hatte wieder der Abmahnverein deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Stadt hat Widerspruch eingelegt.

Ein Jahresmittelwert von 46 µg/m3 Luft wurde für Aachen errechnet. Das sind ganze 6 µg/m3 mehr als der von der EU-vorgesehene Grenzwert von 40 µg/m3. Praktisch ein Nichts, allein die Messgenauigkeit liegt in der Regel bei 2 µg/m3. Die stark schwankende natürliche Hintergrundkonzentration übrigens bei etwa 10 µg/m3. Das zeigt, in welch niedrigen Bereichen sich die Auseinandersetzung bewegt.

Damit setzt sich das Fahrzeug-Chaos fort. In Aachen gibt es auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Messungen. Eine Messstation soll nicht den Mindestabstand von 25 Meter zur nächsten Kreuzung einhalten und damit falsch stehen. Das ergab eine Überprüfung des Deutschen Wetterdienstes. Damit dürften diese Messwerte nicht als Begründung für Fahrverbote herhalten.

Aus Köln hören wir, dass die sieben Messpunkte, an denen die höchsten Grenzwertüberschreitungen bei Stickstoffdioxid in NRW festgestellt werden, rechtskonform aufgestellt wurden. So fasst jedenfalls der »Kölner Stadt-Anzeiger« eine Untersuchung zusammen, die der TÜV Rheinland und der Deutsche Wetterdienst für das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz erstellt hatten. In dem Gutachten heißt es, es hätten sich »keine Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben« ergeben.

In Hamburg, der ersten Stadt mit Fahrverboten, quälen sich die Fahrzeuge jetzt über längere Umleitungsstrecken und belasten dort die Luft. Dabei zeigen die Messwerte zum Beispiel in der vom Fahrverbot betroffenen Max-Brauer-Allee seit Jahren eine deutliche Kurve nach unten. Sie liegen im Bereich von wenigen Mikrogramm über den Grenzwerten, teilweise am Rande der Messgenauigkeit der Geräte. Wobei die Messungen in Hamburg merkwürdig anmuten. Weht in der Stadt am Wasser doch fast immer ein beständiger Wind, der die Abgase eigentlich gründlich verwehen sollte.

Für den verkehrspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, ist es unverständlich, warum Fahrverbote und zu hohe Schadstoffwerte in der Luft ein rein deutsches Problem sind: »Nirgendwo wird so nah am Auspuff gemessen wie bei uns.«

In einer von der AfD-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde »Diesel-Fahrverbote in deutschen Großstädten – Hohe Stickoxid-Grenzwerte, Regierungshandeln und die Folgen für die Autofahrer« am vergangenen Donnerstag sprach er von einem »irrationalen grünen Kulturkampf gegen das Auto«.

Fahrverbote führten lediglich zu einer Verlagerung des Verkehrs. Zudem stelle in Berlin die grüne Umweltsenatorin »ohne Not« den Euro-6-Diesel an den Pranger. Wie die den Verboten zugrunde liegenden Messwerte ermittelt werden, ist nach Aussage des FDP-Abgeordneten »ein Witz«. So gebe es eine mobile Messung in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Luksic sprach von »Messidiotie« und warf den Grünen vor: »Sie messen so lange, bis es zu Fahrverboten kommt.« Daher müssten die Messstellen auf den Prüfstand gestellt werden.

Für Luksic misst Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Staaten besonders präzise. Dabei würden in deren Städten genau die gleichen Autos fahren: »Wir sind hier ein Stück weit die Mess-Idioten in Europa.« Die Folge seien wahnsinnig hohe Kosten für die Bürger und die Industrie.

Der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Dirk Spaniel sagte: »Es ist vollkommen unverständlich, mit Deutschlands Anteil von gerade einmal zwei Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß das Weltklima retten zu wollen. Es ist daher eine Gefahr für die Stabilität unseres Staates, unsere Schlüsselindustrie und letztlich auch unseren Sozialstaat durch ideologisch getriebene Politik aufs Spiel zu setzen. Der Angriff auf den Verbrennungsmotor ist ein Angriff auf die Arbeitsplätze.« Er forderte von der Regierung erneut, die Standorte der Messstellen zu überprüfen, um repräsentative Werte zu erhalten. Während sich die Regierungskoalition zu einer vermeintlichen Lösung der Diesel- und Fahrverbots-Krise selbst beglückwünsche, würden in den Städten Fakten geschaffen. Viele Pendler seien allerdings auf ihr Auto angewiesen.

Bundesverkehrsminister Scheuer warf in der Debatte den Grünen vor, sie wollten den Diesel und dazu Hunderttausende von Arbeitsplätzen kaputtmachen. Dabei werde die Koalition aber nicht mitmachen. Was die geforderten Bußgelder angeht, so sagte der Minister, bei VW habe es ein Bußgeldvolumen von 12,5 Milliarden Euro gegeben: »Ich möchte aber nicht die Bußgelder für die Vergangenheit haben, sondern möchte, dass die deutsche Automobilindustrie diese 12,5 Milliarden Euro nimmt, um in die Zukunft zu investieren.«

Scheuer hatte bereits im April seine Zweifel geäußert, ob »in Madrid, Brüssel, Marseilles oder Rom die Schadstoffbelastung genauso exakt gemessen wird wie in deutschen Städten.«

Juristisch ist die Situation ungeklärt. Die EU fordert ausdrücklich, dass alle Ergebnisse in der gesamten Europäischen Union vergleichbar sein müssen. Das ist offenkundig nicht der Fall, wenn in Griechenland zum Beispiel Messtationen deutich weiter vom Fahrbahnrand entfernt aufgestellt werden als hierzulande, wo sie teilweise direkt am Fahrbahnrand stehen und dementsprechend höhere Werte liefern.


In einer großen Leseraktion im März und April 2018 haben TE-Leser uns Bilder der Messstationen in ihren Städten geschickt.
Hier noch einmal die Übersicht und zu den einzelnen Artikeln:

Teil 1: Messtationen in Stuttgart, Leipzig, Fulda, Magdeburg, Rostock, Marburg und Tübingen

Teil 2: Messstationen in Ludwigsburg, Hannover, München und Siegen:

Teil 3: Messstationen in Hamburg, Wiesbaden, Cottbus, Dortmund und München

Teil 4: Messstationen in Berlin, Hannover, Halle an der Saale, Wuppertal und Göttingen

Teil 5: Messstationen in Darmstadt, Leonberg, Kiel und Gelsenkirchen

Teil 6: Messstationen in München, Plauen/Vogtland, Osnabrück und Norderstedt

Teil 7: Messstationen in Oldenburg, Köln, Leipzig, Nürnberg, Kassel und Essen

Teil 8: Messstationen in Potsdam, Berlin, Duisburg und Stralsund

Teil 9: Messstationen in Reutlingen. Ludwigshafen, Dortmund, Dresden, Würzburg, München,


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