Tichys Einblick
Oliver Blume hat viel zu tun

Die Irrfahrt des VW-Konzerns

Aus den derzeitigen Schwachstellen im VW-Konzern kann man zu dem Schluss gelangen, dass die „Irrfahrt von VW“ wohl noch etwas länger dauern wird. Mit Ausnahme der XPeng-Partnerschaft hat VW-Chef Oliver Blume alle Baustellen von seinen Vorgängern geerbt. Beseitigt wurde bislang keine. Aber: Die Not treibt’s rein …

Volkswagen in Wolfsburg, 08.11.2023

IMAGO / Rust

Eine beliebte Scherzfrage von Autoexperten an Radio Eriwan lautet: Gibt es Unterschiede zwischen der Entwicklung des VW-Konzerns und der Irrfahrt des Odysseus? Die Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip nein, aber … Die Irrfahrt des Odysseus auf seiner Heimreise nach Ithaka ging nach zehn Jahren zu Ende und ging für seinen Konkurrenten übel aus. Die Irrfahrt des VW-Konzerns begann 2015, ein Ende ist nicht in Sicht und von einer Vernichtung der Konkurrenten kann keine Rede sein. Mehr noch: Homers Troja-Held Odysseus zeichnete sich während seiner Irrfahrt durch außergewöhnlichen Verstand und listige Ideen aus. Davon ist beim VW-Konzern wenig zu erkennen.

Bislang sieht es eher danach aus, dass die „Irrfahrt“ von VW noch viel länger dauert als jene von Odysseus. Deutschlands größter Autohersteller steht unter gewaltigem Druck. Er habe seit seinem Amtsantritt im September 2022 einige „Baustellen“ im Konzern identifiziert, sagte Konzernchef Oliver Blume (SZ Wirtschaftsgipfel, Berlin 2023). Das ist nicht verwunderlich, handelt es sich dabei im Wesentlichen um Dauer-Baustellen, die seit Jahren auch von interessierten Laien erkennbar waren – und von Blume als Porsche-CEO Mitglied im VW-Gesamtvorstand ohnehin seit langem.

Die augenfälligsten Schwachstellen im VW-Konzern sind:

Aus all dem könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die „Irrfahrt von VW“ wohl etwas länger dauern wird als jene von Odysseus. Mit Ausnahme der XPeng-Partnerschaft hat Oliver Blume all diese Baustellen von seinen Vorgängern geerbt. Beseitigt wurde keine.

Nennenswerte Fortschritte bei der Lösung dieser hausinternen Probleme kann Blume, der mit großem Elan im Herbst 2022 vor sämtlichen 500 Führungskräften des VW-Imperiums in Portugal gestartet ist, bislang nicht vorweisen. Seine größte Management-Leistung bestand im erfolg- und ertragreichen Verkauf der Porsche-Tochter an der Börse zugunsten der Kapitaleigner. Ob er bei der Sanierung von Volkswagen – Einklang mit dem mächtigen Betriebsrat vorausgesetzt – je ankommt und sich dann – wie Odysseus – seiner Marktgegner aus China und der internen Kosten-Stolpersteine erfolgreich entledigen kann, ist ungewiss.

Das „Dickschiff“ Volkswagen auf Kurs zu halten ist allerdings eine Never-ending-story. Erweiterungs- und Umbauarbeiten, vor allem aber ein immerwährender Kampf gegen den Betriebsrat und den Kostenmoloch Arbeitskosten haben Tradition in der Geschichte des Autobauers Volkswagen. Viele Vorstandsvorsitzende legten Hand an die Strukturen des riesigen Unternehmens, haben das Schicksal des Konzerns im Guten wie im Schlechten entscheidend bestimmt, gelegentlich dabei auch den Kürzeren gezogen, wie ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt. Betriebsnotwendige Senkungen der Personalkosten gegen den Widerstand des mächtigen Betriebsrates waren und blieben ein Dauerthema.

Elf Männer haben seit 1947 die Geschicke von Volkswagen, am 28. Mai 1937 als „Kraft-durch-Freude“-Unternehmen des deutschen NS-Staates gegründet, an leitender Stelle geprägt.
Den meisten Einfluss auf die Entwicklung von VW hatten folgende Persönlichkeiten:

Nach Winterkorn wurden die Amtsperioden der VW-CEOs zunehmend kürzer:

Das sollte gravierende Folgen auf und für Odysseus’ Irrfahrt haben. Maßgebend dafür war der abrupte Kehrtschwenk – weg vom Verbrenner, hin zur Elektromobilität – durch Herbert Diess. Plänen und Wirken von Herbert Diess muss daher etwas mehr Raum gewidmet werden.

Im Herbst 2021 ließ CEO Diess die „Strategie-Katze“ aus dem VW-Sack. Diess wollte den VW-Konzern tiefgreifend umbauen. Bei der Kernmarke VW hätten dabei je nach Transformations-Szenario bis zu 30.000 Arbeitsplätze wegfallen können, jeder vierte Job bei der Kernmarke VW. Denn weniger Komplexität braucht weniger Werker. Heftiger Protest des Betriebsrates war die Folge. Böse Zungen sprechen in solchen Fällen im neuesten Management-Kauderwelsch von quiet quitting.

Der Zukunftsplan von Herbert Diess drehte sich um das Projekt Trinity

Das Trinity-Projekt zielte auf die Entwicklung einer neuen Generation von Elektrofahrzeugen ab. Mit dem Trinity-Projekt wollte Volkswagen Elektromobilität für Kunden attraktiver und bezahlbarer machen. Dafür sollte die Produktion der Fahrzeuge effizienter gestaltet werden, um die Kosten zu senken. Ursprünglich wollte Volkswagen sowohl das Trinity-Werk als auch das erste Trinity-Fahrzeug 2026 fertigstellen. – Das Trinity Werk sollte ein Vorbild für alle anderen zukünftigen VW-Werke auf der Welt werden.

Diese sollen auf der eigens entwickelten Scalable Systems Platform (SSP) basieren. Unter dem Namen Trinity wollte Diess ein neues Modell mit VW-eigenem Software-Betriebssystem und weitreichenden Autonom-Fähigkeiten entwickeln, verbunden mit massiver Vereinfachung in der Produktion. Ab 2026 sollte mit Trinity eine Autogeneration von den Bändern laufen, die eine dramatische Verringerung der Komplexität mit sich bringt. Der VW-Golf zum Beispiel kann je nach Kundenwunsch in zehn Millionen Varianten entstehen. Trinity würde nur weniger als hundert Varianten erlauben (Auto Motor Sport).

Erwartungsgemäß regte sich beim Betriebsrat unter Führung von Daniela Cavallo heftiger Widerstand gegen das Trinity-Projekt. Auch das Leuchtturm-Projekt Trinity, mit dem Mitte des Jahrzehnts ein gänzlich neues VW-Flaggschiff ins Stammwerk käme, werde das Blatt nicht wenden. Das Stammwerk Wolfsburg brauche einen rascheren Weg in die E-Mobilität, forderte Cavallo, es müsse sich dabei um ein „volumenfähiges Modell“ handeln.

Diess hingegen blickt auf Tesla: Der US-Konkurrent und Vorbild des VW-Chefs will in seiner neuen Fabrik in Grünheide im Endausbau jährlich ebenfalls etwa 500.000 (E-)Autos produzieren. Tesla plant dafür mit gut 10.000 Beschäftigten. Im Wolfsburger VW-Stammwerk sind aber etwa 25.000 in der Produktion beschäftigt. Selbst die für Wolfsburg versprochene Million an Fahrzeugen in der Jahresproduktion bräuchte nach dem Schlüssel des US-Herstellers nur 20.000 Mitarbeiter. Insgesamt arbeiten am Standort Wolfsburg mehr als 51.000, weltweit hatte VW 2021 mehr als 600.000 Mitarbeiter.

Der Betriebsrat gab dann seine Zustimmung zum Trinity-Projekt, als zusätzlich der VW-Aufsichtsrat den Bau eines völlig neuen, hochmodernen Produktionswerks für Elektrofahrzeuge in unmittelbarer Nähe zum Wolfsburger Stammwerk im Stadtteil Warmenau genehmigte. Im Stammwerk Wolfsburg sollte ein Elektro-Golf vom Band laufen.

Diess musste gehen und wurde im Herbst 2022 von Oliver Blume abgelöst. Blume hatte Porsche sehr erfolgreich gemanagt und galt bis dato als technologieoffen, weil er Porsche zwar ebenfalls „elektrifizierte“, neben der Elektromobiliät aber auch weiter am Verbrennermotor festhielt und diesen durch Produktion von CO2-neutralem, synthetischen Treibstoff in einer Fabrik in Chile am Leben halten wollte.

Der von VW-Chef Oliver Blume erhoffte Strategieumbruch blieb aus

Eine Korrektur der einseitigen Technologie-Festlegung seines Vorgängers Diess nur auf Elektromobilität und die Rücknahme des völligen Verbrenner-Aus im VW-Konzern für Anfang 2030 fanden nicht statt. Lediglich die Trinity-Entscheidung wurde von Blume nachhaltig korrigiert – wobei Marktzwänge dabei kräftig mithalfen.

CEO Blume zog bald nach Amtsantritt bei Trinity die Reißleine. Als erstes wurde das Leuchtturmprojekt Trinity auf die Jahre ab 2028 vertagt, nachdem sich herausstellte, dass weder die interne Software-Entwicklung noch Batterie- und Fahrzeugentwicklung termingerecht im Jahr 2026 fertiggestellt würden.

Als dann im Verlauf 2023 die allgemeine Marktnachfrage nach Elektroautos erkennbar schwächer wurde, heftige Preiskämpfe vor allem in China auslöste, und VW im E-Werk Zwickau mangels Nachfrage spektakulär Schichten und Arbeitsplätze streichen musste, geriet Trinity völlig unter die „Elektro-Räder“. Im September 2023 wurde der Werkneubau in Wolfsburg völlig gestrichen, der Bau des VW-Flaggschiffs Trinity sollte künftig – Zeitpunkt offen – in Zwickau stattfinden, die Bänder in Wolfsburg sollten mit einem kommenden Elektro-Golf ausgelastet werden.

Das Schicksal des Trinity hat auch Rückwirkungen auf das geplante Elektro-Flaggschiff Artemis von Audi. Verschiebungen sind im Gespräch. Vor allem mit Elektroautos spüre man beim Neuwagengeschäft eine deutliche Kaufzurückhaltung, ließ Audi-Vorständin und Konzern-Vertriebschefin Hildegard Wortmann wissen: „Da die allgemeine Marktentwicklung hinter den Erwartungen zurückbleibt, liegt unser Auftragseingang unter unseren ehrgeizigen Zielen.“

Erst als gegen Herbst 2023 die Absatz- und Ertragsprobleme der Kernmarke Volkswagen in Sachen Elektromobiliät in Deutschland wie in China immer deutlicher zum Vorschein kamen, das Renditeziel von 6,5 Prozent in immer weitere Ferne entschwebte und in Zwickau Kapazitäten stillgelegt werden mussten, trat Konzern-Chef Blume die Flucht nach vorne an.

Die VW-Konzernleitung verordnete für das Stammwerk Wolfsburg einen massiven Sparkurs

Der Kernmarke VW wurden heftige Einsparungen verordnet, die alle Bereiche, besonders aber die Verwaltung – der sogenannte „indirekte Bereich“ – treffen werden. Insgesamt sollen 4000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen, jede fünfte Stelle in Wolfsburg, 20 Prozent der dortigen Belegschaft.

Explizit betroffen sein sollen Mitarbeiter in den Bereichen Verwaltung, Vertrieb, Entwicklung sowie der Produktionsvorbereitung. Genannt werden sogar konkrete Einsparziele, welche von den Unternehmenssparten umgesetzt werden sollen: Demnach soll der Vertrieb mit vier Milliarden Euro angeblich den größten finanziellen Beitrag leisten. Darüber hinaus seien die Bereiche technische Entwicklung, Beschaffung und weitere betroffen, die jeweils feste Vorgaben erhalten. In der Verwaltung sollen Effizienzgewinne von 800 Millionen Euro beigesteuert werden.
Betriebsbedingte Kündigungen sollen im Zuge dessen nicht ausgesprochen werden.

Ob all diese strategischen Anstrengungen Oliver Blumes ausreichen werden, den VW-Konzern langfristig auf eine Rendite von 10 Prozent zu bringen, ist mehr als fraglich. Ohne nachhaltige Strategiekorrektur zurück zu alter Stärke durch Technologie-Offenheit à la BMW und einem CO2-neutralen Verbrenner wird der VW-Konzern den chinesischen Wettbewerb kaum in Schranken halten können. – Vor Oliver Blume liegen noch anstrengende Jahre.

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