Früher war der Sommer wegen Urlaub und Werksferien für die einschlägigen Auto-Medien immer eine Saure-Gurken-Zeit, weil es nichts Aufregendes zu vermelden gab. Es sei denn, eine IAA hätte ins Haus gestanden und damit die Berichterstattung über viele neu aufregende Modelle und Concept-Fahrzeuge.
Aber Früher ist lange her! Im Sommer 2021 ist alles anders: erst Corona als Dauerbrenner in Verlängerung der zweiten und /oder dritten Welle, dann zeitgleich immer neue Naturkatastrophen rund um den Globus und erstmals mit voller Wucht auch im eigenen Hause. Dann das politische und menschliche Chaos des Westens am Hindukusch und schließlich at home der Wahlkampf, der lange Zeit seinem Namen infolge der weltpolitischen Ereignisse nicht gerecht wurde.
Dabei hätte die diesjährige International Automobilausstellung (IAA) im September mit neuem Slogan „IAA Mobility“ und flächendeckendem Veranstaltungskonzept: „Die Welt der Mobilität der Zukunft“ , ausgebreitet über weite Teile des neuen Standorts München einschließlich Autobahn, alle Aufmerksamkeit ob des hohen Aufwands des Veranstalters verdient. Immerhin gibt sich auch diesmal Bundeskanzlerin Merkel letztmalig die Ehre, die Ausstellung zu eröffnen.
Während früher schon Monate im Vorfeld die renommierten Automagazine und der ADAC seitenweise über neue aufregende Modelle (sowohl als auch) berichteten, ließ die Berichterstattung diesmal viel Glanz vermissen. Auch hagelte es seitens der internationalen Hersteller und Zulieferer Absagen, auch zum Teil Corona bedingt. Nach Meinung von Marktkennern völlig verständlich, weil Elektroautos in Gestalt von Verbrennern allenfalls noch als Plug-In-Hybride das Herz von Autofans entflammen können. Und ansonsten die Flut eingebauter assistierender elektronischer Helferlein in ruhenden Exponaten kaum Begeisterung entfachen können. Nice to have but nothing to see!
Und wenn dann auch noch Roboterautos, die fahrerlos und autonom fahren können, von den Professionals der Branche als das ultimative Endziel von Verkehrspolitik und Autobauern hingestellt werden, muss man sich über die Interessenabstinenz der Käufer nicht wundern: Die elektronischen Gimmicks wie Duftnoten, Musikplayer nach Gusto des Fahrers oder Sitze mit Rückenmassage nützen ja nur dem Fahrer, wenn er drin sitzt, nicht wenn das Auto autonom vor sich hin rollt. Das Auto wird von ihnen ja nicht selber gefahren, nur noch bezahlt.
Welche Schlüsse könnten aus dieser Entwicklung gezogen werden?
- Das Auto degeneriert langsam aber sicher zur digitalen Rikscha, aus dem Lieblingskind droht ein Schmuddelkind zu werden. Und mit dem soll man ja bekanntlich laut Väterchen Degenhardt nicht spielen!
- Der umweltfreundlichste Verkehr ist der, der gar nicht mehr stattfindet! – Oder nur noch mit dem Lastenfahrrad.
- Mobil sein wie mit dem Auto, nur ohne Auto – der Traum vieler Umweltaktivisten. Das Gegenteil ist richtig! Neuere empirische Studien weisen nach, dass man selbst in der Stadt mit dem Auto, weil punktgenau, überwiegend schneller ans Ziel kommt als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Stadt und Land spielt das Auto angesichts der Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle („Mobilität und Verkehr – So denkt Deutschland“, beim VDA abrufbar).
- Eine Automobilausstellung ohne Autos – die Mobilitäts-Vision für die Zukunft?
Andere Ungereimtheiten rund um die Branche, einzelne Hersteller und ihre publizierten Strategien aus den letzten Corona-Monaten schlagen sich in folgende Schlagzeilen nieder (Quellen: Automobilwoche, n-tv, VDA)
- Trotz Corona und Chipmangel:
Rekordgewinne für globale Autobauer - Ifo – Stimmung so gut wie seit drei Jahren nicht: Autoindustrie will wieder Arbeitsplätze schaffen
- „Besser als vor der Pandemie“
Autobauer führen deutsche Industrie aus der Corona-Krise
- Klagen über Materialmangel in deutscher Industrie auf Rekordwert
- An vier Standorten:
Daimler weitet Kurzarbeit wieder deutlich aus – Konzentration auf gewinnträchtige Modelle - In Saarlouis wächst die Angst vor einer Werksschließung:
„Das wird für Ford nicht gut ausgehen“ - Die Exporterwartungen der deutschen Industrie haben sich im vergangenen Monat deutlich eingetrübt. Die Autobranche erwartet trotz Chipmangels eine größere Dynamik
Autoindustrie gegen Trend zuversichtlich:
- Autonomes Fahren:
Tesla rammt Polizeiwagen - Besser als VW ID.4 und Mustang Mach-E:
Tesla Model Y schießt in Norwegen an die E-Auto-Spitze - VDA-Chefin kurz vor der IAA Mobility:
Hildegard Müller – „Klimaneutralität steht im Mittelpunkt“ - IAA Mobility:
Bayerns Innenminister hält gewalttätige Proteste für möglich - CO2-Einsparung:
Deutsche wollen Mobilitätsverhalten ändern - Produktion in Anting:
VW ID.3 startet in China - Konträre Entwicklung:
E-Autos werden in China billiger, in Europa teurer - Kostenersparnis:
VW verabschiedet sich vom Schaltgetriebe - Europa-Absatz im Juli:
Dacia Sandero verdrängt VW Golf von Platz eins - „Vorsprung 2030“: Audis Strategie für den Verbrenner-Abschied
Letzter Modellanlauf in fünf Jahren: Audi verabschiedet sich ab 2026 vom Verbrenner
- „Vorsprung 2030“: Neue Geschäftsmodelle
Nachhaltigkeit als Unternehmensziel + Ehrgeizige Renditeziele
- „Vorsprung 2030“:
Umstieg auf E-Mobiltät: Audi-Verbrenner ab 2033 nur noch in China
- Die Halbleiterkrise macht auch dem Zulieferer Continental zu schaffen
Halbleiter bleiben auch 2022 knapp – Reifenpreise könnten weiter steigen
Fazit: Selten gab es in und von der deutschen Autoindustrie einen Sommer, in dem so viele ungereimten, teils widersprüchliche Meldungen die Gazetten füllten: Rekordergebnisse neben Rekordklagen wegen Chipmangel, Boom neben Kurzarbeit, Zuversicht neben Arbeitsplatzabbau, Verbrenneraustieg neben Verbrennerverbleib, Nachhaltigkeit neben hohen Renditezielen, E-Autos billiger neben E-Autos teurer; Verbrenner Nobody schlägt Europa Marktführer etc.