Tichys Einblick
Bahn steht für Abenteuer

Haushaltschaos in Berlin verschärft Management-Chaos bei der Bahn

Als ob die marode Bahn nicht genug mit sich selbst zu tun hätte – jetzt zwingt die Haushaltspolitik dazu, die Fahrpreise drastisch zu erhöhen. Das überregulierte Staatsunternehmen gerät zunehmend an den Rand des totalen Zusammenbruchs. Wer noch Bahn fährt, muss mit dem Schlimmsten rechnen.

IMAGO

Großer Erfolg für die Deutsche Bahn: Im Monat Juli kamen 62 Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich an ihr Ziel. Wobei Pünktlichkeit nach Bahn-Definition eine Ankunft innerhalb von 6 Minuten nach der geplanten Zeit bedeutet. Dass dieser Wert als Erfolg zu verstehen ist, lässt sich nur im Vergleich mit dem noch katastrophaleren Vormonat erklären: Im Juni waren nämlich nur 52,9 Prozent der Züge pünktlich. Man wird ja bescheiden. Nicht einberechnet werden allerdings, dass Züge ganz ausfallen – oder Anschlüsse verpasst werden. Die Statistik der Bahn schönt sich selbst. Die Bahn selbst perfektioniert nicht das Netz, sondern ihre Ausreden.

Damit aber genug des Sarkasmus. Die Realität sieht so aus: Das Chaos bei der Bahn will einfach kein Ende nehmen. Wie wesentlich es durch politische Weichenstellungen mitverursacht ist, wird nun im Fall der sogenannten Trassenpreise deutlich: Am Montag kündigte die DB InfraGO AG, also die DB-Gesellschaft, die für ein mehr als 33.000 Streckenkilometer umfassendes Schienennetz verantwortlich ist, eine massive Erhöhung der Trassenpreise für 2026 an. Es drohen erhebliche Auswirkungen auf die Preise auch der Bahntickets.

„Mehr Geld für weniger Leistung“

Trassenpreise sind so etwas wie eine Bahn-Maut. Die DB InfraGO erhebt sie als Betreiberin des Schienennetzes von allen, die die Schienen nutzen. Das anfallende Entgelt ergibt sich dabei aus verschiedenen Faktoren und wird pro Kilometer berechnet. Aktuell zum Beispiel müssen Züge im Personennahverkehr in Baden-Württemberg 5,76 Euro pro Trassenkilometer entrichten.

Die Trassenentgelte sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Zuletzt hatte bereits für Aufsehen gesorgt, dass die Bundesnetzagentur, die die Streckenmaut genehmigen muss, für 2025 eine Anhebung um 0,6 Prozent für den Nahverkehr, von 16,2 Prozent für den Güterverkehr und von 17,7 Prozent für den Fernverkehr festsetzte. Unter anderem der Verband „Die Güterbahnen“ reichte Klage angesichts der „beispiellosen Anhebung“ ein: „Wir sollen viel mehr Geld für weniger Leistung bezahlen.“

Kurios: Auch die DB InfraGO selbst, die die Entgelte letztlich erhebt, zog vor Gericht. Hintergrund ist, dass sie durch komplizierte gesetzliche Regelungen und Entscheidungen der Bundesnetzagentur gezwungen ist, im Personennahverkehr nur eine begrenzt erhöhte Maut einzutreiben. Das führte zu einer umso stärkeren Belastung des Fern- und Güterverkehrs.

Steigerung im Nahverkehr um 23,5 Prozent

Am Montag nun stellte InfraGO auch für das Jahr 2026 eine Fortführung der Preiseskalation in Aussicht – und ging dabei erneut auf Konfrontationskurs zur Deckelung der Trassenpreise im Nahverkehr. Denn geht es nach der Bahn, sollen die Netzentgelte im übernächsten Jahr für den Personennahverkehr um satte 23,5 Prozent nach oben gehen, für den Fernverkehr um 10,1 Prozent und für den Güterverkehr um 14,8 Prozent.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Netzagentur beziehungsweise Gerichte dazu verhalten. Klar ist nur: Die Preiseskalation könnte handfeste Konsequenzen haben. Der Regionalverkehr wird von den Ländern bezuschusst, auf die damit erhebliche Mehrkosten zukämen. Laut Süddeutscher Zeitung schlagen diverse Landesregierungen bereits Alarm: Die Preissteigerung sei „nicht zu verkraften“, hieß es demnach etwa aus Bayern.

Umso größer ist die Gefahr erheblicher Auswirkungen auf die Bahnkunden, insbesondere in Form steigender Ticketpreise. Ein DB-Sprecher hatte bereits im Juni erklärt, wenn die Erhöhung der Trassenpreise im Fernverkehr für 2025 in der angekündigten Größenordnung direkt an die DB Fernverkehr AG weitergegeben würde, sei „eine Erhöhung der Ticketpreise unumgänglich“. DB-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson stellte zudem eine Reduzierung des Fahrplanangebotes in den Raum.

Die Spur führt zur Ampel

Das Pikante am gesamten Vorgang: Die drohende Eskalation der Trassenpreise hängt unmittelbar mit der Politik der Ampel-Regierung in Berlin zusammen. Genauer gesagt: mit den Haushaltstricks, auf die die Koalitionäre zurückgreifen, um die völlig zerrüttete Regierung noch über die Legislaturperiode zu retten. Teil der jüngsten Einigung im Haushaltsstreit ist nämlich auch die Entscheidung, der DB InfraGO AG 4,5 Milliarden Euro sogenannten Eigenkapitals zuzuführen. Dieses Geld ersetzt die bisher vorgesehenen Zuschüsse.

Der Trick dahinter: Anders als ein Zuschuss fällt die Zuweisung von Eigenkapital nicht unter die Schuldenbremse, die die Koalition aufgrund des FDP-Drucks einhalten muss. Das Problem ist nur: Von der Zuweisung des Eigenkapitals führt aufgrund der damit für die Bahn verbundenen Zinsverpflichtungen eine direkte Linie zur Erhöhung der Trassenpreise: „Die aus einer Eigenkapitalerhöhung resultierenden Trassenpreiserhöhungen sind zwingende Folge des im Eisenbahnregulierungsgesetz geregelten und vorgegebenen Trassenpreissystems“, bestätigte das Verkehrsministerium erst Anfang Juni auf die Anfrage eins Linken-Abgeordneten.

Der auf Kante genähte Haushalt rächt sich

Konkret bedeutet das: Die Haushaltstricks der Ampel lassen die Trassenpreise hochschießen. Ausgerechnet eine Regierung mit grüner Beteiligung, die sich die Verkehrswende weit oben auf die Agenda schrieb, droht also, dem System Bahn einen weiteren Schlag zu versetzen. Dabei hatten die Regierungspartner im Koalitionsvertrag noch das Ziel ausgegeben, die Nutzung der Schiene günstiger zu machen, „um die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen zu stärken“.

Das Verkehrsministerium übte sich am Dienstag in Schadensbegrenzung: Aus dem FDP-geführten Haus hieß es laut Reuters, man werde die Zinslast für die DB InfraGO massiv senken. Wohl wissend, dass so dem Bund wiederum millionenschwere Einnahmen entgehen, was mit Blick auf die Einhaltung der Schuldenbremse relevant ist. Nun rächt sich einmal mehr, dass die Ampel ihren Haushalt auf Kante genäht hat, anstatt massenhafte Einsparungen bei unnötigen Kostenstellen durchzusetzen.

DB-Aufsichtsrat spricht von „Kontrollverlust“

Natürlich hätte die Bahn den neuerlichen Schlag gar nicht gebraucht; sie ist auch so schon hinreichend beschädigt: Erst am Sonntag hatte die Süddeutsche Zeitung erneut über den infrastrukturellen Zusammenbruch im DB-Schienennetz berichtet. Die Zeitung zitierte ein DB-Aufsichtsratsmitglied mit den Worten, bei den Fahrplänen sei ein „Kontrollverlust“ entstanden; allein 2024 müssten die Fahrpläne zwei bis drei Millionen Mal geändert werden: „Fahrpläne werden nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt“. Nun sind Fahrpläne eine komplizierte Angelegenheit, weil sich jeder Fehler fortsetzt und immer neue andere Züge zum Stehen bringt. Die Folge ist ein sich aufschaukelndes Chaos. Netzwerktechniker warnen bereits vor einem sich ausweitenden Stillstand.

Hintergrund ist angeblich der flächendeckende Mangel an der Bahninfrastruktur, so die Schutzbehauptung der Bahn: Er sorgt vielerorts etwa für Langsamfahrstellen oder verursacht gleich umfassende Sanierungen, mit denen die Bahn nun ruckartig versucht, der Lage Herr zu werden: die perfekte Ausrede für das Bahnmanagement. So kommt es seit dem 17. August für etwa vier Monate zu Behinderungen auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin, weil dort Weichen, Gleise und Brücken erneuert werden. Die Folge: Die Fahrt dauert 45 Minuten länger. Zwei von vier Linien entfallen gleich ganz.

Aber: Der vom Verkehrsministerium herausgegebene Statistikband „Verkehr in Zahlen“ besagt, dass die Bruttoinvestitionen ins deutsche Gleisnetz kräftig gestiegen sind, von weniger als 4 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf fast 7 Milliarden 2021. Und auch beim wichtigen Förderinstrument LuFV (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung) für Erhalt und Ersatz der Schienenwege ging es beständig hoch. Womöglich herrschte sogar Überversorgung. Die Bahn jedenfalls war in einigen Jahren nicht in der Lage, das zur Verfügung gestellte Geld komplett zu verbauen. Das derzeitige Chaos liegt daran, dass man jetzt im Hauruck-Verfahren komplette Strecken sperrt – und sich dadurch Verspätungen aufschaukeln.

Interne Prognosen bei der Bahn gehen davon aus, dass es ein bis zwei Jahre dauert, bis die eingeleiteten großflächigen Reparaturen im Schienennetz zu spürbaren Verbesserungen für die Kunden führen, und das auf unabsehbare Zeit. Wer dennoch Bahn fahren muss, sollte ausreichend Trinkwasser, Proviant, warme Kleidung und anderen Notbedarf mitführen. Die Bahn – das letzte große Abenteuer in Deutschland.

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