Eine Reise durch das schöne Deutschland von Luftmessstation zu Luftmessstation. Es ist eine Reise, die zeigt, wie viel Phantasie Verwaltungen aufbringen können, um Luftmessungen so auszuführen, dass möglichst schlechte Werte herauskommen. Oder wollen wir annehmen, dass die meisten die genauen Vorschriften nicht kennen? Das ist gut möglich, denn das Durchwühlen durch ellenlange Richtlinien und Vorschriften ermüdet den Verwaltungsmenschen leicht; und wenn noch die Mittagspause hinzukommt, dann ist es um die Präzision geschehen, mit der er sonst seinen Aufgaben nachkommt.
Man merkt an Regelwerken, die das europäische Leben von Porto bis nach Palanga präzise vorschreiben wollen, wie der »RICHTLINIE 2008/50/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa« haben hunderte von hochbezahlten EU-Beamten wochenlang herumgesessen und darüber gesonnen, wie man in Worte fasst, was sich doch als so flüchtig erweist.
Hoffen wir, dass der böse Stoff sich an die Richtlinie 1/13 hält: »Fortschritte im Hinblick auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Zielvorgaben für die Luftqualität und langfristigen Ziele für Ozon sollten anhand der Ziele und Emissionshöchstmengen der Richtlinie 2001/81/EG und gegebenenfalls durch die Umsetzung der in der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Luftqualitätspläne bestimmt werden.«
Keine Sorge, es gibt auch noch deutsche Ausführungen dazu, im Wesentlichen die »Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen (39. BImSchV)«. Die dient der »Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152 vom 11.6.2008, S. 1), der Richtlinie 2004/107/EG« … nein, lassen wir das.
Durch die hat sich der Ingenieur Fred F. Mueller gewühlt. Spätestens jetzt kann unseren Verwaltungsmenschen leicht eine tiefgreifende Erschöpfung überkommen, verbunden mit einer leichten Hartköpfigkeit gegenüber der Frage, wo genau jetzt die Messstation platziert werden soll.
1. Stuttgart
Reisen wir nach Stuttgart. Der Schwabe als solcher galt bisher als reinlich. Früher gab es keinen Feinstaub, dafür die Kehrwoche. Die Kehrwoche gibt’s kaum noch, dafür Feinstaub. Vor allem aber viele Kamine befeuert mit Holz, die für Feinstaub sorgen. Eine Großbaustelle, die für Feinstaub sorgt, und, ja, keine Wassersprengwagen mehr, die früher den Feinstaub weggespült haben. Dann soll Stickstoffdioxid die Stuttgarter zu Tausenden vorzeitig unter die Erde bringen.
In der schwäbischen Landeshauptstadt werden vor allem die Frauen zwar besonders alt, aber sie dürften es eigentlich nicht, wenn man dem Getöse der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und der grünen Gemeinde folgt. Denn hier ist die Luft schon höllengleich; dass überhaupt noch Bürger leben, ist ein Wunder.
Stuttgart, Neckartor, Bild: © Thomas Niedermueller/Getty Images
Hier steht auch Deutschlands berühmteste Messstation für Stickoxide und die anderen üblichen verdächtigen Stoffe. Direkt im Talkessel neben der meistbefahrenen Straße Stuttgarts, dichter an den Auspuffrohren der Autos geht’s fast nicht mehr. Analytiker wissen: Wie bei jeder Probenahme spielt der Ort der Messung eine entscheidende Rolle. Deswegen darf auch die aktuelle plumpe PR-Methode der Deutschen Umwelthilfe, hunderte von Messröhrchen zu verteilen und damit die schreckliche Luftsituation Deutschlands zu dokumentieren, besonders hirnrissig. Die Aktivisten bei dem damals für die Aufstellung verantwortlichen UMEG, Zentrum für Umweltmessungen, Umwelterhebungen und Gerätesicherheit Baden-Württemberg, haben jedoch ganze Arbeit geleistet. Der Standort ist für deftige Messergebnisse gut gewählt: Die Autos stehen meist lange vor den roten Ampeln; der Stau reicht zielsicher bis vor die Station. Denn die Grünen wollen partout keinen flüssigen Verkehr, der den Abgasausstoß der Fahrzeuge senken würde.
Sie befindet sich seit 2003 dort und wurde mit einer Reihe weiterer Messstationen zusätzlich zu dem bereits bestehenden Netz von Messstellen aufgebaut. Mit aufgestellt wurde seinerzeit auch eine Station am vielbefahrenen Arnulf-Klett-Platz vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Die wiederum lieferte eher unauffällige Werte.
Die Anlage Neckartor steht schön kuschelig im Winkel eines Hochhauses, hält damit nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand zur Bebauung ein und bietet auch nicht jenes freie Umfeld von 270 Grad. Das war allerdings in der zum Zeitpunkt der Aufstellung gültigen 22. Bundesimmissionsschutzverordung noch nicht geregelt. Hier können sich die Abgase wie in einem Spiegel schön sammeln, bevor sie konzentriert von der Anlage aufgenommen werden. Ebenso dürfte sich hier der Staub sammeln, bevor er gemessen wird.
Diese Station steht allein, es werden in der Umgebung keine weiteren Werte mit einfachen Passivsammlern aufgenommen, wie das bei allen anderen Stationen geschieht. Mit solchen weniger aufwendigen Passivsammlern können Mittelwerte über einen längeren Zeitraum gemessen werden, nicht aber Spitzenwerte. Sie ergänzen normalerweise die Werte der Messstationen. 2005 und 2006 erhob die Landesanstalt für Umwelt Kontrollmessungen auf der gegenüberliegenden Seite der Messstelle. Ergebnis: deutlich geringere NO2-Werte gegenüber der Messstation Neckartor.
Auffallend: Veröffentlicht wurden die schrecklichen Werte von Deutschlands auffälligster Messstation erst im August 2017. Musste da jemand mal Feuerholz auflegen?
Vor drei Jahren hat die CDU-Fraktion einen Antrag in den Gemeinderat eingebracht, nachdem eine zweite Messstelle in der Nähe die Messungen der alten Messstelle überprüfen soll. (»Auch würde das Image der Stadt, die mit dem Neckartor als extrem dreckigem Ort in Sachen Feinstaub europaweit in den Schlagzeilen steht, bei einer sich möglicherweise ergebenden positiveren Gesamtdarstellung etwas weniger leiden.«)
Schon vor zwölf Jahren hatte die FDP im Stuttgarter Gemeinderat beantragt, die Messstelle zu verlegen. Die Bevölkerung werde durch die hohen Werte verunsichert; es seien jedoch die Daten wichtig, die tatsächlich an den Stellen gemessen werden, an denen die Menschen wohnen und arbeiten. Direkt am Straßenrand tut dies in der Regel niemand.
2. Leipzig
Reisen wir nach Leipzig. Alexander A. findet die TE-Aktion super und wichtig: »Überall werden die Messstationen möglichst manipulativ aufgestellt. In Leipzig werden sogar »Bürgerumfragen« zu den Aufstellungsorten initiiert, mit dem Ziel möglichst manipulative Standorte zu finden.« Er hat eine Messstation in Leipzig auf der Kreuzung Willy-Brand-Platz / Am Halleschen Tor fotografiert. Sie liegt direkt am Innenstadtring, der Hauptverkehrsader von Leipzig, dicht neben der Ampelkreuzung und neben der Strassenbahnhauptstrecke. Allein durch das Bremsen der Straßenbahnen, so sagt er, werde der Feinstaubwert erheblich verfälscht (Bremsabrieb). Durch die direkt neben der Messstation an der Ampel stehenden Autos und den Verkehrsfluss der Hauptader natürlich ebenso.
3. Fulda
Es geht weiter nach Fulda. Hier hat Christoph M. die Luftmessstation in Fulda aufgenommen. Sie steht EU-widrig direkt an der Straße, dahinter ragt eine hohe Hauswand empor und erlaubt keine 270° Luftzirkulation, wie sie vorgeschrieben ist. Die Messstelle steht zumindest teilweise unter Bäumen; gut, jetzt ragen sie winterbedingt etwas dürr in den Himmel, sind aber schnell belaubt und bilden ein Dach, das die Luft abschottet. Auch das ist ein sicheres Verfahren, die Messwerte zu erhöhen. Und verstößt gegen Anhang 3 Buchstabe C der der 39. BImSchgV, der Bundesimmissionsschutzverordnung.
4. Magdeburg
TE-Leser Harald M. hat ein elegantes Beispiel einer Messstation direkt am Straßenrand geschickt. Hier stauen sich die Autos zu den Berufsverkehrszeiten hunderte Meter und blasen Abgase aus, teilweise direkt in die Messstation. In einer Straßenschlucht sollten Messstationen nicht stehen. Aber immerhin haben sie die Messstation schön angemalt.
5. Rostock
Eine saubere Arbeit hat die Verwaltung in Rostock bei der Aufstellung der Messstation an der Kreuzung am Strande Ecke Grubenstraße geleistet. Auch hier ist dafür gesorgt, dass die Auspuffgase möglichst direkt in die Messgeräte strömen.
Gleich zwei TE-Lesern in Rostock ist die merkwürdige Lage der Messstelle übel aufgestoßen – direkt am Fahrbahnrand und nur 30 Meter von der nächsten Kreuzung entfernt, wo sich die Autos immer so schön stauen. Wie Steffen H. und Frank S.. »Über die Positionierung der Messstation in Rostock an der Kreuzung »Am Strande« / »Grubenstraße« habe ich mich schon aufgeregt, als noch niemand das Wort »Dieselskandal« kannte.« schreibt dazu Frank S.. »Es handelt sich um die meistbefahrene Straße Rostocks, nirgendwo kommen Häuser dieser Straße so nahe wie hier. Dort stehen die Autos meist vor der großen Kreuzung und fahren nicht. Wenn es auch nur einen einzigen Ort im sonst ostseeluftreinen Rostock gibt, wo die Luft wirklich mal schlecht sein kann, dann hier. Und da steht das Ding. Unfassbar.
6. Marburg
Gute Nachrichten kommen aus Marburg. Dort sind die Werte für Stickstoffdioxid auf einem Rekordtief, wie die Oberhessische Presse vermeldete. Erstmals, seitdem eine Luftmessstation in der Universitätsstraße aufgestellt wurde, liegt der Gehalt von Stickstoffdioxid in Marburg Luft unter dem Grenzwert von 40 µg NO2 pro Kubikmeter, schreibt die Oberhessische Presse weiter, beantwortet aber nicht die Frage, wie aus dieser punktuellen Messung auf die gesamte Marburger Luft geschlossen werden kann.
In Marburg freut man sich über die niedrigeren Schadstoffwerte. Liegen sie doch im Trend, der in ganz Hessen zu beobachten ist. Auf Deutsch: Die Luft wird seit Jahren deutlich sauberer.
Doch die Marburger haben noch etwas Originelles dazu beigetragen, dass bei ihnen die Messwerte deutlich niedriger ausfielen: Sie haben ihre Messstation umgestellt. Bisher stand sie in einer Art Straßenschlucht, soweit das in Marburg möglich ist, musste aber aufgrund von Bauarbeiten weggeräumt werden und steht nun vor der Juristischen Fakultät an einem deutlich freieren Platz.
Bemerkenswert der Kommentar des Leiters des Dezernats für Luftreinhaltung und Immissionen am Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt umd Geologie, HLNUG, Professor Dr. Stefan Jacobi: »Wir hatten schon befürchtet, dass der neue Standort niedriger belastet sein könnte.«
Schade also: »Der Charakter einer sogenannten Straßenschlucht ist an dieser Stelle aufgebrochen. Die Belüftung ist besser als an dem früheren Standort«, bedauert der Professor die saubere Luft. Mit aller Gewalt versucht er, die erfreulichen Messwerte dramatischer zu machen: Mit sogenannten Passivsammlern möglichst nahe an der ursprünglichen Messstelle, an der jetzt die Baustelle ist, sollen weitere Luftmessungen vorgenommen werden. Die Messungen beider unterschiedlicher Systeme lassen sich zwar nur schwerlich miteinander vergleichen, aber was tut man nicht alles, um mehr Drama hineinzubringen und Gelder für die nächsten Forschungsaufträge locker zu machen.
7. Tübingen
Das schöne Tübingen am Neckar, einst Heimat Hölderlins und vieler Geistesgrößen, ist – nach Marburg – auch so ein extrem bedenklicher Fall eines grün durchdrungenen Gemeinwesens. TE-Leser Günther P. schildert die Tricksereien bei den Messungen: »Die einzige Messstelle für die Stadt (die zweite steht im Vorort Unterjesingen an der auf 30km/h herunter gebremsten B28) ist in der Mühlstraße, die von Nord nach Süd verläuft, also quer zur Hauptwindrichtung. Durch sie wird der der gesamte Busverkehr der Stadt sowohl bergauf als auch bergab geleitet sowie bergauf auch der normale PKW und Leicht-LKW (unter 7,5 t) Verkehr. Die Straße ist schmal, zwei Stadtbusse kommen gerade aneinander vorbei, und ist auf der einen Seite nicht nur durch Häuser sondern auch einen Hang begrenzt und auf der anderen Seite durch eine hohe Stützmauer.«Busse und PKWs müssen, nachdem sie die Neckarbrücke überquert haben, relativ steil bergauf fahren, schalten dazu in einen niedrigen Gang. Der Schadstoffausstoß dürfte also wenig repräsentativ sein, und das, was die Anlage registriert, nicht viel mit der tatsächlichen Luftqualität zu tun haben. Zumal die Aufstellung gegen die Vorschrift verstößt, in einem 270 Grad Winkel freie Luftzufuhr zu haben. Messungen in Tübingen also für die Tonne.
In der nächsten Folge setzen wir unserer Reise zu den Luftmessstationen Deutschlands fort. Allerdings: Bilder von Google Maps können wir aus rechtlichen Erwägungen leider nicht nehmen.