»Unsere Modellrechnungen sind top!« Winfried Hermann sagt das ganz stolz als Begründung für das Fahrverbot, das er mit Freude über den gesamten Stadtbereich Stuttgarts verhängt hat. Das reicht von den viel befahrenen Innenstadtstraßen bis zu den Außenbezirken mit wenig Verkehr. Nur wenige Messstellen zeigten trotz ungünstiger Position noch einige Überschreitungen der Jahresmittelwerte.
Wie kommt Hermann dann zu einem Fahrverbote im gesamten Stadtbereich?
Veraltete Zahlen und Modellrechnungen machen es möglich. Man könnte auch sagen: Lesen im Kaffeesatz. Solche Modellrechnungen geben vor, die sehr komplizierten Luftverhältnisse und Strömungen sowie Ausbreitung von Autoabgasen beispielsweise auch in Innenstadtstraßen berechnen zu können. Dies auch bei Windstille und unterschiedlichen Turbulenzen. Ziemlich anspruchsvolle Angelegenheit und in den Augen vieler eine recht aussichtslose Rechnerei. Ganz kritisch wird die Sache, wenn diese Modelle auch noch Prognosen darüber abgeben sollen, wie sich die Luftschadstoffe demnächst verteilen werden.
Diese Modellrechnungen spielen offenbar eine größere Rolle bei der Verhängung von Dieselfahrverboten, als staatliche Stellen bisher zugegeben haben. Die geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Oliver Luksic (FDP) ( Drucksache 19/6886 ) – hervor.
Die 39. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImschV) legt in § 13 Absatz 2 fest, dass in Gebieten, in denen die relevanten Schadstoffe die obere Beurteilungsschwelle überschreiten, zur Beurteilung der Luftqualität ortsfeste Messungen durchzuführen sind. Diese Regelung ist ausdrücklich gegenüber den Gebieten, in denen die betreffenden Schadstoffe die obere Beurteilungsschwelle unterschreiten, abgegrenzt, in denen zur Beurteilung der Luftqualität auch eine Kombination von ortsfesten Messungen und Modellrechnungen angewandt werden kann.
Die Grenzwerte und die Art ihrer Erhebung sind seit langem umstritten. In Gebieten, in denen die NO2-Konzentration oberhalb der oberen Beurteilungsschwelle liegt, seien zur Beurteilung der Luftqualität ortsfeste Messungen durchzuführen, ist in einer Antwort der Bundesregierung (zu finden unter Bundestags-Drucksachen-Nummmer 19/7446) nachzulesen.
In der Antwort überrascht Luksic folgende Feststellung: »Darüber hinaus können Modellrechnungen durchgeführt werden, um Informationen über die räumliche Verteilung von Luftschadstoffen zu erhalten.«
Diese Modellrechnungen werden mit speziellen Computerprogrammen erstellt. Die Bundesregierung listet neun Programme auf – von Immis-Luft bis Immis-Net. Zu einem Programm mit dem Namen PRO-KAS heißt es, damit könnten ›straßennahe NO2-Konzentrationen berechnet werden.“ Das heißt: Es gibt zwar einheitliche Grenzwerte, aber keine einheitlichen Verfahren für die Modellrechnungen, die aber sehr wohl Einfluss auf Messwerte haben, auch wenn ortsfeste Messungen für die Validierung (Überprüfung) der Modelle verwendet werden. Denn jetzt kommt’s: ›außerdem findet oftmals eine Kombination von Modellen und Messungen statt, vor allem bei der Modellierung des regionalen und urbanen Hintergrundes.‹
Modellrechnungen könnten darüber hinaus ›einen indirekten Einfluss auf die offiziellen NO2-Konzentrationen und/oder die gemeldete Luftqualität haben, wenn auf Basis der Ergebnisse dieser Rechnungen neue Messstellen beispielsweise an einem neu identifizierten Belastungsschwerpunkt eingerichtet werden‹, so die Antwort der Bundesregierung.«
Man kann die Antwort auf die Kleine Anfrage zu Modellrechnungen auch so lesen: Es wurde aufgedeckt, dass neben Grenzwerten und Messverfahren auch die verschiedenen Prognosemodelle hinterfragt werden müssen.
Denn nachdem noch erläutert wird, dass der Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes in der Zuständigkeit der Länder liege, endet die Meldung. Dass bei der Feststellung von NO2-Werten auch mit unterschiedlichen Modellrechnungsverfahren gearbeitet wird, muss der Leser ja nicht erfahren. Solche Informationen könnten ja die Kampagne von Umwelthilfe und Grünen für Fahrverbote stören.
Was Modellrechnungen ausmachen, ist am Beispiel der Stadt München gut zu sehen. Nachdem die Stadt eigene Messstationen aufstellte, kamen die zu anderen – allerdings wesentlich niedrigeren – NO2-Werten als die des Landesumweltamtes. Woran das liegt, war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: »Die höheren Werte des Bayerischen Landesamtes für Umwelt resultieren aus Messungen an nur fünf installierten Stationen. Die restliche Belastung für das Stadtgebiet wurde auf Basis dieser Daten und in einem komplizierten Verfahren hochgerechnet.« Das sind die in der Antwort der Regierung geschilderten Prognoseprogramme.«
Solche Modelle müssen überprüft und validiert werden. Sonst haben deren Ergebnisse keinerlei Aussagekraft. Von Qualitätsmanagement ist in der Antwort auf die Anfrage keine Rede. Die Bundesregierung bügelt detailliertere Fragen ab: »Der Vollzug des Immissionsschutzrechts liegt in der Zuständigkeit der Länder. Dies umfasst auch die Beurteilung der Luftqualität und die Luftreinhalteplanung.«
In der Antwort heißt es weiter unter nur lapidar: »Aus der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland bei den Verwaltungsstreitverfahren zu den Luftreinhalteplänen Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden ist der Bundesregierung bekannt, dass in diesen Gerichtsverfahren in den Stellungnahmen des für die Luftreinhalteplanung in Hessen zuständigen Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) die Wirkung von Fahrverboten mit Prognoseprogrammen quantifiziert wurde.«
TE hat das baden-württembergische Verkehrsministerium angefragt, welche Rolle Modellrechnungen beim Fahrverbot in Stuttgart spielen und welche Maßnahmen zur Qualitätssicherung dieser Modellrechnungen getroffen wurden und wird die Antwort veröffentlichen, sobald sie vorliegt.
Verkehrsjuristen auf dem Verkehrsgerichtstag Goslar haben ausgesagt, dass Diesel-Fahrverbote aufgrund zweifelhafter Messungen juristisch schwerlich haltbar seien. Wie angreifbar sind dann Fahrverbote, die auf Basis von zweifelhaften Messungen und darübergelegten windigen Modellrechnungen getroffen worden sind?