Tichys Einblick
Politische Fehlprognosen

Experten rechnen mit 5 statt 15 Millionen E-Autos im Jahr 2030

Realistisch betrachtet ist ein Bestand von 15 Millionen vollelektrischer Automobile in Deutschland im Jahr 2030 nicht zu erreichen: weder von Seiten der E-Auto-Hersteller oder -Importeure noch von Seiten der „Konsumenten“ (gewerbliche, private und öffentliche Käufer).

Parkplatz mit Ladesäulen für E-Autos in Düsseldorf

picture alliance / imageBROKER | Robert Poorten

Jeder kennt den heute zum geflügelten Wort gewordenen Satz König Heinrichs IV. in Shakespeares Schauspiel (Heinrich IV): „Der Wunsch ist der Vater des Gedankens“. Was so viel heißt, als dass jemand Wunschvorstellungen hat, die sich nicht mit den tatsächlichen Fakten decken. Weder jetzt noch in Zukunft. Die also immer ein unerfüllter frommer Wunsch bleiben werden, weil sich die Dinge in der Wirklichkeit eben ganz anders darstellen.

Wenn die Politik bei solchen Wunschvorstellungen ertappt wird, ist das peinlich. Einen solchen illusorischen – in diesem Fall „grünen“ – Wunsch hegte die Bundesregierung im Jahr 2010 in Sachen „nachhaltiger Mobilität“. Damals verkündete Bundesumweltminister Norbert Röttgen als Ziel für den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland eine Million Batterie-Elektroautos (BEV) auf deutschen Straßen bis 2020. Für deren flächendeckende und bedarfsgerechte elektrische Betankung bis 2020 sollten nach dem Willen der Politik eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte und vor allem eine Schnellladeinfrastruktur geschaffen werden. Das Ganze staatlich hoch subventioniert und mit Kaufanreizen unterfüttert – mit Steuergeldern finanziert.

Kurz: Deutschland sollte zum Leitmarkt für Elektromobiliät werden. Für die Autoindustrie wurde er inzwischen zum Leidmarkt: Hohe Verluste, Kapazitätsabbau und Entlassungen bei den Autoherstellern, Insolvenzen bei den Zulieferern künden davon.

Die Idee hinter der politischen Zielsetzung war edel und gut: nicht weniger bewegen, sondern anders. Das war durchaus sinnvoll. Unbestritten ist, dass die Massen-Mobilität klimafreundlicher werden muss. Selbst hartleibige Verbrenner-Fans und Leugner der Rolle des CO2 beim Klimawandel sehen das inzwischen so (bis auf wenige Ausnahmen).

Elektromobilität spielt zweifellos eine große Rolle für den Klimaschutz im Verkehr. Denn vollelektrische Batterie-Automobile (BEV) verursachen im Fahrbetrieb keine klimaschädlichen CO2-Abgase, anders als die Verbrenner, die dafür einen Auspuff brauchen. Das gilt aber nur dann, wenn sie mit „grünem“ Strom aus erneuerbaren Quellen geladen werden. Ist das nicht der Fall, strömt das CO2 zwar nicht wie gehabt aus dem Auspuff der PKWs, dafür aber aus dem Schornstein des in der Regel außer Sichtweite gelegenen Kohle-/Gas-Kraftwerks.

Für Energie-Experten ist der in Deutschland grassierende politische BEV-Fanatismus sogar ein CO2-Zusatzgeschäft, das heißt gesamthaft betrachtet, verursachen Elektroautos from craddle to grave einen höheren CO2-Ausstoß als Verbrenner. – Im Jahr 2010 interessierte das aber niemand!

Das erste Ziel wurde klar verfehlt: Eine Million Elektroautos waren laut KBA (Kraftfahrzeugbundesamt) erst Anfang 2023 mit Müh und Not erreicht, nachdem seit Juli 2016 3,5 Milliarden Euro für Umweltbonus und Innovationsprämie für 820.000 elektrisch betriebene Fahrzeuge sowie Milliarden in den Auf- und Aufbau des öffentlichen Ladenetzes geflossen waren. Bis Ende 2024 dürfte sich der BEV-Bestand in sehr optimistischer Schätzung auf 1,8 Millionen erhöht haben.

Bei der Zielvorgabe von einer Million öffentlicher E-Ladepunkte bis 2030 sieht es eher noch schlechter aus: Der Bestand belief sich laut Statistischem Bundesamt im März 2024 auf 123.449. Da müssen in den verbleibenden sechs Jahren noch viele neue Leitungstrassen und Schnelllade-Verteilernetze gebaut und alte „ertüchtigt“ werden, und vor allem muss noch viel „grüner“ Strom zusätzlich produziert werden, soll dieses Ziel erreicht werden. Und das bei leeren Haushaltskassen und extremem Fachkräftemangel für den Bau solcher Gewerke.

Ungeachtet der bisherigen Fehlprognosen versuchte die Bundesregierung im Frühjahr 2024 ihr Glück aufs Neue. Und ließ Verkehrsminister Volker Wissing als neue Zielmarke verkünden, bis 2030 15 Millionen vollelektrische Pkw (BEV) auf Deutschlands Straßen und in den Pkw-Bestand zu bringen.
Das neue Ziel der Bundesregierung ist also 15 Millionen BEV bis 2030! Die Frage ist: Ist das realistisch? Die Antwort: Nein. Eine absolute Illusion! Warum?

Als Hintergrund dazu eine Modellrechnung der Automobilwoche. Danach müsste der BEV-Bestand in Deutschland von 1,8 Millionen im Jahr 2024 auf

ansteigen (Daten-Analyse: Warum das Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 unrealistisch ist | Automobilwoche.de).

Der „Stromer“-Bestand müsste also Jahr für Jahr um etwa 2,4 Millionen neue BEV wachsen, um die Zielmarke zu erreichen. Rund über zwei Drittel aller jährlichen Pkw-Neuzulassungen in Deutschland wären dann künftig nur noch Batterie-Elektroautos. Heute stagnieren sie im Schnitt der letzten Jahre bei 15 vH. Ein Unding!

Realistisch und emotionslos betrachtet ist ein Bestand von 15 Millionen vollelektrischer Automobile in Deutschland 2030 aus zwei Haupt-Gründen nicht zu erreichen:

  1. weder aus Angebotsgründen von Seiten der BEV-Hersteller oder -Importeure aus dem Ausland (vor allem aus China),
  2. noch aus Nachfragegründen von Seiten des Marktes und der „Konsumenten“ (gewerbliche wie private oder öffentliche Autokäufer).
Gründe auf der Angebotsseite

Im bislang besten BEV-Jahr 2023 wurden in Deutschland dank massiv vorgezogener Käufe wegen Auslaufs der Innovationsprämie (Mitholeffekt) 524.000 BEV neu zugelassen, erreichte diese Antriebskategorie einen Marktanteil-Höhepunkt von 18,4 vH. Nach dem abrupten Wegfall der staatlichen Kaufprämien ab Jahresbeginn 2024 gingen die Zulassungen bis Juli drastisch zurück (Juli -37 Prozent gegenüber dem Vorjahr), schrumpfte der BEV-Marktanteil trotz hoher Rabattaktionen der Hersteller auf 12,6 vH.

Dramatische Folge: Überall passten die Autohersteller ihre BEV-Kapazitäten nach unten an, wurden Schichten gestrichen, Mitarbeiter entlassen. Ernüchterung, Frust und Verluste im E-Geschäft dominieren die Lage der Branche. Restrukturierung heißt das Zauberwort. Die deutsche Autoindustrie vermittelt aktuell den Eindruck, sich freiwillig und dauerhaft auf ein niedriges Produktionsniveau von E-Autos einzustellen.

Ohne den viel zitierten Wettbewerbsdruck von außen, aus China. Denn die befürchtete Verdrängungsoffensive durch chinesische Billig-Importe fand bisher nur in den Medien und in Brüsseler Amtsstuben statt, nicht in der Realität. Deutsche Marken sind aktuell mit 38 BEV-Modellen auf dem deutschen Markt vertreten und machen die Hälfte der BEV-Zulassungen aus. Und obwohl sieben chinesische Marken, an der Spitze MG, bei den BEVs mit 18 Modellen vertreten sind, kommen sie nur auf einen Anteil von 6,5 vH an allen BEV-Neuzulassungen.

Zur Wahrheit gehört auch: Nur einem chinesischen Anbieter (MG) gelang es bisher überhaupt, mehr als 10.000 Autos im Jahr in Deutschland zu verkaufen. Alle übrigen, selbst Weltmarktführer BYD, Besitzer von 8 Giga-Autotransportschiffen für die Route China-Europa, schafften gerade mal einige wenige Tausende (Sonderfall US-Hersteller Tesla: 66.000).

Selbst wenn man in optimistischer Denkweise in Zukunft von 600.000 jährlich in Deutschland produzierten vollelektrischen Autos ausgeht (nur als Hinweis: allein Tesla wollte in ferner Zukunft eine Million BEV in Giga-Grünheide produzieren; ebenso hoch waren die Kapazitäten in Summe in den VW-Werken Emden und Zwickau), so könnten aus Werken in Deutschland bis 2030 bestenfalls 4 Millionen BEV geliefert werden. Ausgehend von 1,8 Millionen Anfangsbestand Ende 2024, blieb eine Lücke von rund 9 Millionen BEV bis zur Zielmarke 15 Millionen (heroisch ohne Export, Verschrottung etc. gerechnet). Und selbst wenn es jährlich 1 Million Elektroautos Made in Germany wären, bliebe eine Lücke von 7 Millionen BEV.

Fazit: Deutsche Autofabriken können (Stand heute) die politischen BEV-Ziele allein vom Produktionsvolumen her gesehen nicht erfüllen. Βliebe nur das Ausland, vor allem China, als Lieferant übrig. Und da sollen zum einen die geplanten Brüsseler Importzölle genau das Gegenteil bewirken. Zum anderen sind die Chinesen bisher mit kleinen E-Autos für den Massenbetrieb nicht in Erscheinung getreten. Offensichtlich gibt es in China neben dem Staat auch noch Controller und GuV-Rechnungen.

Gründe auf der Nachfrageseite

Es fehlt aber nicht nur an Produktionskapazitäten für Elektroautos. Es fehlt vor allem, und das ist nun mal in der Marktwirtschaft der wesentlichste Grund für die 15 Millionen Zielverfehlung der Bundesregierung, schlicht an der Nachfrage nach BEV. Es gibt zu wenige Kunden, sowohl Private, Flotten-Käufer als auch der Staat selber bei Polizei und Behörden etc.

Bis Juli 2024 wurden in Deutschland 214.900 BEV neu zugelassen, 20 Prozent weniger als zur gleichen Vorjahreszeit. Im Juli verzeichneten BEV mit nur noch 20.760 einen regelrechten Einbruch von minus 37 Prozent, der Marktanteil sank auf 12,9 vH. Im Gesamtjahr 2023 hatten Voll-Elektroautos (incl. Umweltbonus) noch einen Marktanteil von 18,4 vH.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich bei normalen Hybriden (HEV) für 2024 ein Rekordjahr ab. Im Juli wies diese Fahrzeugkategorie mit 65.059 Zulassungen einen Zuwachs von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf, der Marktanteil erreichte mit 27,3 vH den höchsten jemals gemessenen Wert.

Die Schwäche der BEV-Nachfrage hat je nach Käufergruppe unterschiedliche Ursachen. Wobei eine alte Börsenregel auch auf dem Markt für Elektroautos zum Tragen kommt: Die Baisse nährt die Baisse!

Zum fehlenden deutschen Angebot eine Randbemerkung. Beispiel VW-Konzern: Heißt weiterhin „Volkswagen“, hat aber nach forcierter Transformation keinen einzigen „Volkswagen“ (zum Beispiel Up oder Polo) mehr im Angebot, auch nicht als Verbrenner. Frustrierte Kaufaspiranten wandern zu Suzuki, Kia, Dacia et al. ab, oder zu chinesischen Marken mit drolligen Namen, die demnächst mit billigen Verbrennern (!!!) auf dem deutschen Markt erscheinen werden. Da wird Brüssel staunen!

Alles in allem glauben die Experten der Automobilwoche, dass BEVs in den Jahren 2024 und 2025 kaum über Marktanteile über 13 vH hinauskommen werden. Für das Gesamtjahr 2024 erwartet die Automobilwoche zirka 360.000 BEV-Zulassungen, 30 Prozent weniger als im Vorjahr, kaum mehr als 2021.

Eine Erholung ist nicht in Sicht. Sollten die Rahmenbedingungen für E-Autos unverändert bleiben, erwartet die Automobilwoche auch 2025 kaum Verbesserung. Im kommenden Jahr ist dann mit 495.000 E-Autos bei insgesamt 2,95 Millionen Neuzulassungen zu rechnen (Prognose: Was für E-Autos 2024 noch möglich ist | Automobilwoche.de).

Bleibt es bei dieser Entwicklung – was Börsianer nach ihrer oben angeführten Regel für wahrscheinlich halten –, dürfte sich der Bestand an reinen Elektroautos in Deutschland 2030 nicht auf 15 Millionen, sondern nach Meinung altgedienter Markt- und Antriebsexperten eher auf fünf Millionen belaufen (Fritz Indra).

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