„Man schlägt den Sack und meint den Esel“, sagt man im Volksmund, wenn jemand stellvertretend für andere, die eigentlich gemeint sind, kritisiert wird. Das Gleiche praktiziert seit langem die EU-Kommission in Brüssel, wenn es um das offensichtlich unausgesprochene politische Ziel geht, den Verkehr auf der Straße und damit die Massenmobilität nachhaltig einzuschränken. Um im Sprachbild zu bleiben: Der Sack ist die Autoindustrie, der Esel sind die Autofahrer, die ab 2025 weniger Autos mit Verbrennermotoren kaufen sollen. 35 Prozent weniger Stickoxidemissionen durch Pkw bis 2035 will die EU-Kommission durch die Abgasnorm Euro 7 erreichen. Und der Stock, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Brüsseler Abgasgesetzgebung, sind die Abgasnormen, die seit Jahren verschärft werden.
Waren es zuvor ausschließlich Umweltgründe, die zu einer regelmäßigen Verschärfung der Abgasnormen geführt haben, sind es in den letzten Jahren mehr und mehr ideologische Gründe, die unter dem Deckmantel des Klimaschutzes unausgesprochen eine generelle Einschränkung der individuellen Mobilität auf der Straße zum Ziel hatten.
Klimaschutz ist notwendig und als allgemein politisch akzeptiertes Ziel unbestritten. Aus diesem Grund will die EU genau dieses Oberziel Absenkung der CO2-Emissionen nutzen, um die allgemeine individuelle Massenmobilität einzuschränken. Mobilität für jedermann ist nicht mehr gewünscht.
Im Klartext heißt das: Nicht jeder „Esel“ soll sich mehr den Luxus des eigenen Autos leisten können, der Individualverkehr soll ausgedünnt, die Pkw-Flotte soll verkleinert werden. Doch wie kann man das erreichen, ohne dass der Esel bockig wird?
Kluge Köpfe in Brüssel und auch in Berlin haben erkannt, dass in marktwirtschaftlichen Systemen sich ein solches Vorhaben ohne politische Selbstverstümmelung nur über den Preis realisieren lässt. Kurz: Autofahren muss so teuer werden, dass ein Teil der Kundschaft mit kleineren Geldbeuteln auf den Kauf eines eigenen Autos verzichtet. Und zwar freiwillig.
Und weil angeblich kein vernünftiger Mensch gegen Klimaschutz und CO2-Absenkungen sein kann, hat die Umweltpolitik in Berlin und Brüssel den „Sack“ ins Visier genommen, der die Vehikel herstellt, die bei der Verbrennung von Benzin und Diesel CO2-Abgase produzieren, nämlich die Automobilhersteller. Der Stock, um die Autokäufer zur gewünschten Räson zu bringen, sind die Abgasnormen.
Die ersten einheitlichen Abgasvorschriften für Pkw in der Europäischen Gemeinschaft (EG) traten 1970 mit der Richtlinie 70/220/EWG in Kraft und wurden seither schrittweise verschärft. Begrenzt wurden die Emissionen von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen. Grenzwerte für Partikel (Ruß) aus Dieselmotoren wurden 1988 mit der Richtlinie 88/436/EWG eingeführt.
Bis dahin war das Ziel der Gesetzgebung, die individuellen Beeinträchtigungen, die der anschwellende Verkehr auf der Straße mit sich brachte, zu verringern. Was über Katalysatoren, Rußfilter etc, auch gelang. Die Autoindustrie hatte für jede Anforderung – wenngleich immer widerwillig – eine technische Lösung zu erschwinglichen Kosten bereit.
Seit 1. Juli 1992 rückte der Umweltschutz als gesellschaftliches Ziel ins Blickfeld, wurde durch EU-Gesetzgebung mit Euro 1 eine schrittweise Begrenzung der CO2-Emissionen bei Benzin- und Dieselfahrzeugen festgelegt.
Seit dem 1. Januar 2009 gilt mit Verordnung Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen die Abgasnorm Euro 5 und Euro 6, modifiziert am 7. Januar 2019 mit Verordnung 2018/858.
Mit zunehmender Diskussion um den Klimaschutz änderte sich diese Schonzeit. In der Berliner und Brüsseler Verkehrspolitik begann schleichend unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ein ideologischer Richtungswechsel hin zu weniger Verkehr.
Begonnen hat es mit der einseitigen Festlegung der Politik im Jahre 2010 und der Gründung der Nationalen Plattform Elektromobiliät unter Bundeskanzlerin Merkel. Darin wurde festgelegt, Klimaschutz im Verkehr ausschließlich über Elektromobiliät voranzutreiben. Alternative Antriebe über synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff blieben bewusst außer Betracht. Im Jahre 2020 sollten, so das damalige Ziel, eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren, gefördert durch hohe staatliche Kaufprämien und Steuervergünstigungen und noch höhere staatliche Investitionen in die Ladeinfrastruktur. Beschleunigt werden sollte diese Transformation hin zum Elektroauto und ein faktisches über Emmissionsgrenzwerte vorgetragenes Verbrennerverbot der EU-Kommission ab dem Jahre 2035.
Das soll sich nun gravierend ändern. Am 10. November 2022 wurde von der Europäischen Kommission ein Vorschlag für eine Verordnung zur Senkung der Emissionsgrenzwerte und Vereinheitlichung der EU-Emissionsnormen für Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Busse, genannt Euro 7, mit Gültigkeitsbeginn ab dem 1. Juli 2025 veröffentlicht.
Darin stehen neben einigen – auch nach Meinung von Experten – guten Elementen (wie etwa Anforderungen an die Regeneration von Partikelfiltern) neue Abgas-Anforderungen an künftige Verbrennermotoren, die nach heutigem Stand der Technik nicht erfüllbar sind – oder nur mit so hohem technischen Aufwand und so hohen Kosten, dass sich das nur für große Hochpreis-Fahrzeuge rechnet, nicht für kleinere Autos für Durchschnittsverdiener.
Auf den ersten Blick scheinen die Regelungen von Euro 7 unverfänglich. Laut Experten bleiben die Emissionsgrenzwerte im Kern fast unverändert zu Euro 6d-final. Der Stickoxidgrenzwert, welcher bei 6d-final noch zwischen Benzin (60mg/km) und Diesel (80mg/km) unterscheidet, wird einheitlich zu 60 mg/km.
Motoren-Experte Professor Thomas Koch vom KIT Karlsruhe meint dazu: „Es ist davon auszugehen, dass auf jeden Fall mindestens ein 48V Hybridsystem vorgehalten werden muss, um das Thermomanagement (also die Konditionierung der Abgasanlage auf Temperatur) durch ein leistungsfähiges elektrisches Bordnetz zu ermöglichen. Es ist mit Mehrkosten in der Produktion in der Größe von mindestens 500 und vermutlich sogar 1000 € zu rechnen, je nach Ausgangsfahrzeug. Prinzipiell sind die Mehrkosten relativ gering für hochpreisige Fahrzeuge, die schon viel Technologie an Bord haben (Hybride) und – wenn überhaupt verbauungstechnisch möglich – groß für preiswerten Kleinwagen.“
Das heißt in letzter Konsequenz: Mobilität auf der Straße wird elitär! Wird zum Luxusgut!
Nachdem klar geworden ist, dass Elektroautos auf Dauer strukturell teurer bleiben als vergleichbare Verbrennerautos und somit die politisch gewollte Transformation und die Ausdünnung des Verkehrs ins Leere läuft, zielt die EU-Politik offensichtlich darauf ab, nunmehr dieses Preisschlupfloch für Autokäufer zu versperren und auch Verbrennerautos über EU-Abgasvorschriften äquivalent zu verteuern. Diese Verordnung zu Euro 7 hat es also in sich.
Zum ersten Mal regte sich in der europäischen Autoindustrie heftiger Widerstand gegen die ideologisch verbrämten Abgaspläne von EU-Kommissar Frans Timmermans, seit dem 1. Dezember 2019 erster geschäftsführender Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz in der Kommission von Ursula von der Leyen. Die Fachzeitschrift Automobilwoche spricht vom „Aufstand gegen Abgasnorm Euro 7“.
Dazu einige markante Stimmen:
- Der neue Präsident des europäischen Automobil-Herstellerverbandes ACEA, Renault-Chef Luca de Meo, warnte eindringlich in einem offenen Brief an die EU-Institutionen vor einer Verabschiedung von Euro 7. Er schätzt, dass ein moderner Pkw für den europäischen Markt dadurch um sieben bis zehn Prozent teurer wird. „Günstige Kleinwagen würden erheblich teurer.“Im schlimmsten Fall seien 300.000 Jobs in der Autobranche gefährdet, so de Meo. Werksschließungen drohten.
- Die Autobauer stoßen sich vor allem an der Auflage, die strengeren Grenzwerte künftig in allen Fahrsituationen einhalten zu müssen. Bislang gab es zahlreiche Ausnahmen, die den Autobauern gestatteten, bei Extremsituationen wie Bergfahrten im Winter zeitweilig höhere Emissionswerte zuzulassen. „Die Worst-Case-Szenarien in den sogenannten Testrandbedingungen beinhalten bewusstes und andauerndes Fahren unter extremen Bedingungen, großer Kälte, Steigung, Beschleunigung, Zuladung und so weiter,“ (Volkswagen) dazu. Sie hätten mit der realistischen Nutzung des Fahrzeugs wenig zu tun, erforderten aber viel zusätzliche Technik. „Gerade günstige Kleinwagen würden dadurch erheblich teurer. Die von Luca de Meo genannten Werte sind realistisch.“
- BMW sieht kein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis und sieht Euro 7 ebenfalls sehr kritisch. „Euro 6 und im speziellen Euro 6d wirken und decken bereits 95 Prozent aller statistisch relevanten Fahrsituationen ab“ (Automobilwoche). Dadurch sei die Luftqualität bereits messbar verbessert worden. „Der Entwurf der EU-Kommission stellt … Sonderfälle in den Vordergrund – statt die Grenzwerte für den alltäglichen Verkehr stärker zu senken, wie von ACEA vorgeschlagen… „Euro 7 sollte vor allem Schadstoffe regeln und nicht für ein früheres Ende des Verbrenners instrumentalisiert werden. Damit würde das Produktangebot unnötig verteuert und führt womöglich zu einer weiteren Angebotsverknappung, gerade im Kleinwagensegment.“ (BMW).
- Stellantis-Chef Carlos Tavares ist seit langem ein erklärter Gegner der neuen Verbrenner-Emissionsregelung. Er sieht vor allem das wichtige Ziel einer erschwinglichen Mobilität gefährdet. Überdies hält das Einführungsdatum 1. Juli 2025 für verfrüht. „Das lässt keine ausreichende Vorlaufzeit für die Entwicklung und Zulassung von Produkten zu.“
- Besonders schwer wiegen die technischen Einwände gegen Euro 7 von Bosch. Bosch-CEO Stefan Hartung hat große Zweifel an Euro 7. „Die Zeitschiene ist vor allem bei Lkw sehr hart und könnte dazu führen, dass es manche Produkte dann für eine bestimmte Zeit einfach nicht zu kaufen gibt.“ Es könne sein, dass bestimmte Motoren nicht mehr gebaut werden können. „Es darf nicht sein, dass die Anforderungen technisch nicht machbar sind und ein Motor mit Abgassystem gar nicht mehr gebaut werden kann. Das gilt zum Beispiel dann, wenn dort ein Sensor aufgeführt ist, den es überhaupt nicht gibt.“ Es gehe darum, die Regelung vernünftig auszugestalten (Bosch).
Die EU-Kommission kann diese Einwände der Autoindustrie natürlich nicht akzeptieren. Sie hält dagegen, dass der Nutzen von Euro 7 die Kosten weit übersteigt. Der Vorschlag für Euro 7 beziehe sich vor allem auf die sogenannten „Real driving“-Situationen, also realistische und häufig vorkommende Fahrsituationen, nicht auf einige wenige Extremlagen wie Bergfahrten im Winter, so ein Sprecher der Kommission laut Automobilwoche.
Die Autobranche habe den Vorschlag in diesem Punkt falsch interpretiert. Es bleibe unter Euro 7 ausdrücklich möglich, wie bisher bei extremen Fahrlagen mehr Emissionen auszustoßen als dies regulär der Fall sein dürfe. „Das gilt zum Beispiel für Fahrten in großer Höhe, unter heißen Temperaturen oder beim Ziehen von Anhängern.“
Zudem sei sich die Kommission der großen Bedeutung klar, die erschwingliche Mobilität für die Menschen habe. Nach Berechnungen der Kommission würde ein neuer Pkw unter Euro-7-Regulierung aber nur 90 bis 150 Euro teurer, dies sei weniger als ein Prozent des Fahrzeugwertes.
Ein Lkw oder Bus, der künftig stärker umgebaut werden muss, würde „etwa 2600 Euro“ kostspieliger, räumte der Sprecher aber ein. Doch stelle auch diese Kostensteigerung nur rund drei Prozent des Wertes eines kleinen Lkw und 1,6 Prozent des Wertes eines kleinen Busses dar. Die Hersteller ihrerseits bezweifeln diese Kostenrechnungen.
Die endgültige Entscheidung über den Kommissions-Entwurf ist noch nicht gefallen. Die Richtlinie soll ab Juli 2025 für neu zugelassene Fahrzeuge gelten. Insgesamt muss das Ganze noch durch den Trilog, das heißt Europaparlament und EU-Staaten müssen den Vorschlägen zustimmen, es laufen Verhandlungen.
Die Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen hatten die Bundesregierung aufgefordert, die aktuellen Pläne zu Euro 7 nicht zu akzeptieren. Sie fürchten im Fall der Umsetzung erhebliche Nachteile für die Industrie, heißt es in einem Brief der Ministerpräsidenten an Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Skepsis kommt auch aus der Bundesregierung selber, allerdings nur aus dem Verkehrsministerium, nicht aus dem Umweltministerium. Für Verkehrsminister Volker Wissing droht durch Euro 7 die Gefahr, dass Mobilität zum Luxusgut wird. „Wenn die Automobilindustrie warnt, dass die Regulierung Fahrzeuge unnötig verteuert und die Beschleunigung der E-Mobilität behindert, ist das sehr ernst zu nehmen.“ Der Verbrennungsmotor könne zudem mit synthetischen Kraftstoffen Klimaschutz und Mobilität vereinen: „Europa darf diese technologische Lösung nicht verhindern“ (Münchner Merkur).
Der Kampf um Euro 7 ist also noch nicht entschieden! Am Konzept der Kommission kann sich theoretisch noch einiges ändern.
Ob sich Hersteller und Betriebsräte mit ihren Forderungen politisch durchsetzen können, ist fraglich. Deutschland findet seit Monaten keine einheitliche Position zu den Plänen der EU-Kommission. Beispiel: Während die FDP und vor allem Bundesverkehrsminister Wissing darauf pochen, der Autobranche entgegenzukommen, setzt das federführende Umweltministerium mit Ministerin Steffi Lemke (Grüne) auf strenge Regeln.
Derzeit werde die deutsche Position weiter „im Kreis der Ministerien abgestimmt“, heißt es. Im März will sich in Brüssel das Vorbereitungsgremium zum Treffen der europäischen Staatschefs treffen und beraten. Bis dahin muss die deutsche Position stehen. Allerdings ist es von Vorteil, sie frühzeitig zu veröffentlichen, da sich andere Mitgliedstaaten an Deutschland orientieren, wie es in Regierungskreisen laut Presseberichten hieß.