Tichys Einblick
Chinesische Fahrzeugexporte

EU-Strafzölle auf China-Auto-Importe sind völlig sinnlos

EU-Strafzölle auf China-Auto-Importe sind möglich, aber völlig sinnlos – und würden in der EU der deutschen Autoindustrie ausschließlich schaden, und der französischen Autoindustrie ausschließlich nützen. Dazu nachfolgend mehr.

IMAGO / ITAR-TASS

China ist nach dem Vereinigten Königreich und den USA der drittgrößte Markt für EU-Fahrzeugexporte. Im Jahr 2022 exportierte die EU 412.990 Fahrzeuge (24,5 Milliarden Euro) nach China, gleichzeitig importierte die EU 561.070 Fahrzeuge aus China (9,7 Milliarden Euro). Trotz eines deutlich geringeren Exportzeugvolumens erzielt die EU 2022 einen Handelsbilanzüberschuss im Autohandel mit China von rund 15 Milliarden Euro. Wo liegt das Problem?

In der analogen Welt gehörte es noch zu Jedermanns*eigener leidvoller Erfahrung, dass zwischen Wollen und Können oftmals Welten liegen, besser: eine große Lücke klafft. In den modernen Medien scheint diese Erkenntnis gelegentlich aus dem Blickfeld zu geraten, möglicherweise auch einer guten Schlagzeile wegen. Anders sind Titulaturen über Wirtschaftsanalysen selbst in honorigen Tagespressemedien, die da lauten: „Chinas Autobauer fluten den Weltmarkt!“ nicht zu erklären.
Richtig wäre gewesen: „Chinas Autobauer würden gerne den Weltmarkt fluten.“ Und wenn auch noch hinzugefügt worden wäre: „.. vor allem bei Elektroautos!“

Dazu wird es jedoch nicht kommen, weder so noch so! Zwar heißt ein berühmtes chinesisches Sprichwort: „Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt…“ Doch bis zur Flutung des Weltmarktes mit seinen jährlichen rund 80 bis 85 Millionen Zulassungen neuer Automobile, davon 2022 gut 10 Millionen Elektroautos (BEV + PHEV + Hybride), der Rest Verbrenner, ist es noch ein weiter Weg. Und ob Chinas Autobauer dieses Ziel der Weltmarkt-Flutung – selbst wenn sie es denn wollten und nicht nur Journalisten es behaupten – je erreichen werden, ist aus heutiger Sicht nicht nur offen, sondern auch absolut unwahrscheinlich.

Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe:

Eingeleitet durch mehrmalige Preissenkungen bei Tesla sind alle Hersteller von Elektroautos, auch die deutschen, zu massiven Preissenkungen übergegangen, um ihre Marktanteile zu verteidigen bzw. um ihre rosigen in die Welt posaunten Expansionspläne zu retten, so jedenfalls Tesla, der 2023 über 2 Millionen reine Batterie-Elektroautos absetzen wollte, so viel wie BMW und Daimler jeweils über die ganze Antriebspalette.

So richtig diese Unternehmensstrategie der Preissenkung im Einzelfall betriebswirtschaftlich auch erscheint, rein volkswirtschaftlich gesehen ist sie völlig sinnlos. Sie führt bei allen Wettbewerbs-Kombattanten – so auch bei Tesla – schnurstracks in die Verlustzone. Und treibt makroökonomisch die Volkswirtschaften mitunter in die Deflation, wie augenblicklich in China zu beobachten.

Beispiel für die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen dieser Preis-Strategien gibt es viele: So hat der so hoffnungsvoll vor wenigen Jahren gestartete selbsternannte US-Tesla-Jäger Rivian nach Verlusten von 32.000 Dollar je E-Fahrzeug Insolvenz anmelden müssen. Und viel Geld seiner Kapitalgeber verbrannt. Auch der chinesische Start-up-Hersteller der Marke „Weltmeister“ musste seinen für 2024 angestrebten Sprung auf den europäischen Markt zum Insolvenzrichter umdirigieren, nach Verlusten von 22.000 Dollar je E-Auto (Süddeutsche Zeitung).

Der schon von der IAA 2023 besser bekannte chinesische Autohersteller Nio aus der Provinz Anhui, der vor wenigen Jahren schon einmal vom Staatsfonds mit 1 Milliarde Dollar vor der Pleite gerettet worden war und der bereits mit mehreren Niederlassungen in Deutschland vertreten ist, vermeldete Verluste von 35.000 Dollar je Fahrzeug und die Entlassung von zehn Prozent seiner Beschäftigten.
Sogar Berufs-Optimist Elon Musk befürchtet beim am 30. November kommenden Cybertruck, von dem Musk 200.000 Fahrzeuge p.a. herstellen will, er habe sich bei hohen Stückverlusten und einer Million Vorbestellungen damit sein eigenes Grab gegraben.

Fakt ist: Weltweit stehen alle Hersteller von Elektroautos – von Aiways, MG, Polestar bis Xpeng, von Audi über Daimler bis Volkswagen – bei Elektroautos unter heftigem Margendruck bzw. schreiben Verluste. Wenn sie keine Verbrennerautos zur Kompensation in ihren Portfolios haben. Bei Volkswagen ist die Marge bei der Kernmarke VW zuletzt von 4,7 auf 3,4 Prozent gefallen, Kostensenkungen von über 10 Milliarden Euro stehen auf der Tagesordnung. Lediglich bei BMW und Daimler konnten die Verluste aus dem Elektroautogeschäft bislang (noch) über höhere Verbrennererlöse kompensiert werden; aktuell berichten beide Unternehmen über stabile Umsatzrenditen in der Bandbreite von 8 bis 10 bzw. von 12 bis 14 Prozent.

Auch der chinesische Auto-Staatskonzern Chery, der mit 1,4 Millionen Autos p. a. zwar zu den kleineren Herstellern, aber zu einer der größten Auto-Exporteure in China zählt (siehe Kasten), will 2024 sein Deutschlandgeschäft starten. Merkwürdigerweise nicht mit einem E-Auto, sondern als erstes mit einem Verbrenner-SUV für rund 30.000 Euro. Erst danach sollen Elektro-Modelle kommen unter den merkwürdigen Markennamen wie Omoda, Jaecoo und Exlantix. Dazu Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer kritisch: „Das kann sich doch keiner merken!“ (Süddeutsche Zeitung).

Die Chery Markteintrittsstrategie unterscheidet sich in der Tat völlig von jener anderer chinesischer Wettbewerber, wie BYD, Nio oder Great Wall (GW), die in den vergangenen Jahren ausschließlich mit Elektroautos nach Deutschland gekommen sind – ohne bislang nennenswerte Markterfolge erzielt zu haben. Eine Marktbereinigung in den kommenden Jahren ist vorprogrammiert, eine Flutung des deutschen Marktes nicht!

Die zehn größten Autohersteller 2022 nach Absatz:

  1. Toyota Motor Corporation (10,5 Millionen Einheiten)
  2. Volkswagen AG (8,3 Millionen Einheiten)
  3. Hyundai Motor Group (6,9 Millionen Einheiten)
  4. General Motors (5,9 Millionen Einheiten)
  5. Stellantis (5,8 Millionen Einheiten)
  6. Renault-Nissan-Mitsubishi (5,8 Millionen Einheiten)
  7. Ford Motor Company (4,2 Millionen Einheiten)
  8. Honda Motor Company (3,8 Millionen Einheiten)
  9. Suzuki Motor Corporation (3,0 Millionen Einheiten)
  10. SAIC Motor Corporation (2,8 Millionen Einheiten)
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Chery ist gleichwohl optimistisch. Bei Elektroautos dürfte zwar auch Chery an Verlusten nicht vorbei kommen, Chery ist aber einer jener chinesischen Autobauer, die – ähnlich wie Branchenriese BYD – auch noch Verbrennerautos bauen. Und auch in Zukunft weiter bauen werden, denn der Weltmarkt besteht nicht nur aus Europa.

Chery weiß das. Durch sein Verbrennergeschäft sieht sich Chery gut gegen die Turbulenzen auf dem E–Auto-Markt abgesichert. „Wir stehen auf zwei Beinen“ (Vizechef Zhang, Süddeutsche Zeitung). Für Chery war vor allem der Ukraine-Krieg lukrativ, wo das Unternehmen im Verbrennergeschäft die Lücke nutzte, die der Rückzug der westlichen Autobauer aus Russland hinterließ. Aber auch in den Schwellenländern Türkei und Mexiko steigen die Verbrennerabsätze.

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Lateinamerika, der Nahe Osten und Südostasien neben Russland wichtigster Abnehmer chinesischer Autos sind, nicht die hochentwickelten und großen Märkte in USA, Japan oder Europa. Und überall sind es Verbrenner, keine Elektroautos. Vor diesem Hintergrund ist die Strategie großer deutscher Autokonzerne wie Volkswagen und Daimler ebenso Stellantis, dem politischen EU-Verbrennerverbot ab 2035 folgend, möglichst bald aus dem Verbrennergeschäft auszusteigen und sich nur noch auf Elektroautos zu konzentrieren, mehr als kritisch zu hinterfragen. „Da sagt jeder: Seid ihr noch ganz dicht?“ (Julian Nagelsmann, Bundestrainer Herrenfußball).

Nach jüngsten Zahlen der Industrievereinigung CPCA hat Chinas Autoindustrie – dazu zählen auch Tesla und die Joint-Venture-Fabriken der amerikanischen japanischen und europäischen Hersteller (allein die Volkswagen Group China hat 33 Werke in Shanghai, Changchun, Dalian, Nanjing, Yizheng, Chengdu, Foshan, Ningbo, Changsha, Urumtschi, Hefei und Tianjin für die Produktion von Fahrzeugen und Komponenten in China errichtet), von Januar bis Oktober 2023 insgesamt über drei Millionen Autos exportiert. Rund zwei Drittel mehr als 2022. Davon waren über ein Viertel der Pkw-Exporte Elektroautos, mit steigendem Anteil – und stammten überwiegend aus der Tesla Gigafactory Shanghai, Hauptziel USA. China wird 2023 Japan als bisher weltgrößten Pkw-Exporteuer ablösen. Die chinesischen Werften bauen gerade riesige Autotransporter-Schiffe, um die Elektro-Exportautos zu verschiffen (Süddeutsche Zeitung).

Präzise Zahlen über den China-EU-Außenhandel mit fabrikneuen Automobilen (Verbrenner + Elektroautos + Hybride) für das Jahr 2022 veröffentlichte der Europäische Automobilverband ACEA (ACEA-Factsheet – Fahrzeughandel zwischen der EU und China – September 2023): Der ACEA hat die Fahrzeughandelsströme zwischen der EU und China, einschließlich des Marktes für batterieelektrische Fahrzeuge, für das Jahr 2022 untersucht. Die Kenntnis dieser Analyse hätte die medialen „Weltmarktfluter“ eines Besseren belehren können. Die wesentlichen Ergebnisse sind in Zusammenfassung:

Automarkt China:

Wirtschaftspolitische Daten im bilateralen PKW-Handel laut ACEA:

Wirtschafts- und handelspolitisch spielt die Musik bei den Vorzeichen der Entwicklung, sie sollten für die europäische, vor allem deutsche Autoindustrie eine Warnung sein: Chinesische Marken sind in Europa bei Elektroautos auf dem Vormarsch und haben ihren Marktanteil seit 2019 von 0,4 vH auf 4,7 vH gesteigert; ausschließlich mit Modellen im unteren Marktsegment, das bis dato von europäischen Herstellern kaum, und wenn dann auch hochpreisig bedient wurde.

Damit sind die Hausaufgaben für EU-Politik und EU-Automobilhersteller klar verteilt: Nicht die EU muss handelspolitisch mit Strafzöllen und Ähnlichem aktiv werden, sondern die europäischen (Massen-) Automobilhersteller, die endlich auch die unteren Segmente des Marktes, den „Markt für Jedermann“, bedienen müssen, und mit Konsequenz in den Wettbewerb mit den chinesischen Anbietern eintreten. Das hat in den 1990er-Jahren gegenüber Japan auch funktioniert!

Unter den deutschen Herstellern hat jedes Unternehmen eigene Optionen. Am besten ist Premium-Anbieter BMW mit seiner dualen, technikoffenen Strategie aufgestellt. Die größten Korrekturen müssen Daimler und der Volkswagen-Konzern vornehmen, soweit sie sich in ihrer Antriebsstrategie und Modellpolitik völlig einseitig auf die Elektromobilität versteift haben; auch Korrekturen beim Personal und Kapital wären sinnvoll. Daimler lässt inzwischen Verbrennermotoren bei Kapitaleigner Geely in China entwickeln.

Das macht deutlich: Heute sind es nicht mehr die chinesischen Autobauer, die Hilfe beim Aufbau ihrer Industrie bei den westlichen Kooperationspartnern gesucht und gefunden haben, heute geht das Hilfsgesuche andersrum: Die ausländischen Hersteller suchen Hilfe bei den Chinesen.

So auch Volkswagen. Hier hat das Umdenken schon eingesetzt. VW will in seinem wichtigsten Markt China deutlich an Entwicklungsgeschwindigkeit zulegen. Dafür investiert das Unternehmen zum einen rund eine Milliarde Euro in ein neues Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrum in der südchinesischen Stadt Hefei. Zum anderen hat Volkswagen im Sommer 2023 für 700 Millionen US-Dollar einen 5-Prozent-Anteil am chinesischen Elektroauto-Hersteller Xpeng erworben. VW ist so mit Xpeng eine strategische Partnerschaft eingegangen, um zwei neue kleinere VW-Modelle zu entwickeln, die Mitte 2026 auf dem chinesischen Markt erscheinen sollen.

Einen noch größeren Nachholbedarf sowohl was die Elektromobiliät anbelangt, vor allem aber in Bezug auf seine Präsenz in China hat der französische Vielmarken-Autokonzern Stellantis.
Stellantis ist bislang in China kaum vertreten. Stellantis verkaufte 2022 rund 5,8 Millionen Fahrzeuge. Der Großteil der Verkäufe konzentrierte sich 2022 auf das erweiterte Europa mit 2,6 Millionen, Nordamerika mit 1,8 Millionen und Südamerika mit 800.000 Einheiten. Die asiatischen Märkte wurden hingegen kaum bedient.

Der Konzern wäre also von chinesischen Gegenmaßnahmen bei von der EU verhängten Strafzöllen auf Chinas E-Autos kaum betroffen. Nicht ganz ohne Grund vermuten Experten, dass die Initiative zur Abwehr chinesischer Elektroauto-Importe durch EU-Strafzölle von Frankreich ausgegangen ist. Ähnliches gab es schon mal in den 1980ern, als die italienischen und französischen Autohersteller das aggressive Vordringen japanischer Marken in Europa mit Hilfe des europäischen Automobilverbands in Brüssel via offenen und verdeckten Handelshemmnissen abwehren wollte. Hinter den Kulissen einigten sich die Parteien dann auf einen Europa-Marktanteil von 15 vH für Autos „Made in Japan“, der aber in der Folgezeit nie erreicht wurde – weil die Europäer wettbewerbsfähiger wurden.

Nichtdestotrotz ist der EU Kommission die neue Auto-Konkurrenz aus dem Reich der Mitte für Europas Autobauer nicht ganz geheuer und sie prüft, ob Peking seine Autohersteller unfair subventioniert, und droht mit Strafzöllen oder anderen Schutzmaßnahmen. Dem sei der liebe Gott vor! Das wären gleich zwei Schüsse ins eigene Bein, denn die deutschen Autohersteller und damit die gesamte Volkswirtschaft wäre gleich zweimal getroffen:

Zum Glück sind die Erfolgsaussichten einer solchen EU-Prüfung erstens langwierig und zweitens von fragwürdigem Erfolg. China setzt bei seiner Förderung vor allem auf verdeckte Maßnahmen, wie den staatlich geförderten Zugang zu billigen Krediten und Eigenkapital. Solche finanziellen Vorteile sind nur schwer zu beziffern und wurden im Übrigen auch ausländischen Autobauern wie Tesla oder Volkswagens chinesischen Kooperationspartnern Xpeng, SAIC et. al. gewährt.

In weiser Voraussicht der wahrscheinlichen Erfolglosigkeit der EU-Untersuchung hat Stellantis-Chef Carlos Tavares seine China-Strategie total geändert: statt, wie vor einem Jahr geäußert, sich aus China komplett zurückzuziehen, überrascht er jüngst mit dem Einstieg beim chinesischen Elektroauto-Hersteller Leapmotor. Stellantis erhält für 1,5 Milliarden Euro 20 Prozent der Unternehmenssanteile.
BMW hatte im Februar 2022 die bereits 2018 vereinbarte Mehrheitsübernahme beim chinesischen Joint-Venture-Partner Brilliance für 3,6 Milliarden Euro zu 100 Prozent vollzogen. BMW ist damit Teil der chinesischen Autoindustrie geworden.

Aus all dem folgt, dass tarifäre oder nicht-tarifäre Abwehrmaßnahmen der EU gegenüber chinesischen Importen von Elektroautos für die deutsche Autoindustrie schädlich wären. Diese sind aber auch nicht notwendig, da die europäischen Autohersteller von sich aus dabei sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit bei Elektroautos gegenüber der Konkurrenz aus China zu stärken, so wie es bei Verbrennern über Jahrzehnte selbstverständlich war.

Volkswirtschaftlich unverzeihlich wäre es allerdings, wenn die deutsche Autoindustrie angesichts der zunehmend realistischer werdenden Bewertung der beschränkten Zukunftschancen von Batterie-Elektroautos ihre Kernkompetenzen in der Verbrennertechnologie auf dem Altar der Aufholanstrengungen gegenüber den chinesischen E- Herstellern opfern würde.

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