Die Alten haben nicht immer recht! Früher hieß es bei jungen Männern, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben verloren hatten, tröstend für die Hinterbliebenen: „Nur die Besten sterben jung.“ Für Auto-Start-ups gilt das nicht! Im Gegenteil…
Heute herrscht wieder eine Art Krieg, und zwar auf dem Markt für Elektroautos, und es ist auch kein Krieg im alten Sinne, sondern man nennt das neudeutsch „throat-cut-competition“, oder nach Opas Volkswirte-Vokabular Verdrängungswettbewerb. Das „Schlachtfeld“ ist der E-Auto-Markt.
Als ob Friedrich Schiller schon eine Vorahnung gehabt hätte: „Wer nennt die Völker, zählt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen…“ Statt Korinth war diesmal 250 Jahre später der globale Markt für Elektroautos der Tummelplatz für E-Auto-Starts-ups. Kein Sänger, sondern Elektronik-Freaks, die vom Bau von Elektronik- und Kommunikationsmitteln wie Handys und anderem Elektronik-Zeugs, von bits and bites alles wussten, vom realen und „erdnahen“ und – wie Insider bestätigen – schweißtreibenden Automobilbau indessen keine Ahnung hatten.
Sie alle witterten das große Geschäft bei Elektroautos, die Elon Musk mit Tesla 2008 erst wieder-erfunden hatte und seither Fantasie und Aktienkurse emporschnellen ließen. Der Klondike-Goldrausch von 1896 lässt grüßen. Im Wachstumsmarkt China bevölkerten Hunderte von Unternehmensneugründungen den Markt für Elektroautos. 400 an der Zahl sollen es dort einmal gewesen sein, übrig geblieben sind bis heute 90 – Tendenz weiter schrumpfend.
Auch in USA und Deutschland und Österreich gab es Elektro-Start-ups, die – weil anders als in China – in hochkompetitiven traditionellen Automobilmärkten gegründet wurden und deshalb auch seltener bekannt sind. Auch hier gibt es ein gemeinsames Merkmal: Alle versuchten den Marktzutritt mit höchstpreisigen, exotischen Automodellen, alle wollten weg vom Verbrenner, alle verbrannten sie stattdessen große Mengen an fremdem Kapital.
Dies soll beispielhaft näher beleuchtet werden. Vor allem in den USA ließen sich Neu-Gründer vom Tesla-Erfolg inspirieren. PayPal-Milliardär und Tesla-Erfinder Elon Musk hat eine Vielzahl von Nachahmern hervorgebracht. Alle kämpfen ums Überleben, einige selbst das nicht mehr. Die Insolvenzen blieben nicht aus (Lucid, Fisker, Rivian und Co.: Warum viele E-Auto-Start-ups ums Überleben kämpfen | Automobilwoche.de). Das hat gute Gründe.
Viele der Start-ups gingen 2020 und 2021 an die Börse. Mit Fremd-Kapital im Überfluss in den Jahren 2020 und 2021 kämpften die Start-ups damit, das Geld und den Hype in eine funktionierende Produktion umzusetzen. Sie wurden in noch guten Wirtschaftsjahren von Verzögerungen, Lieferkettenproblemen und eigenen Produktionsfehlern geplagt. Die Ergebnisse waren nicht wie erhofft. Statt fossilem Treibstoff wurden hohe Kapitalbeträge verbrannt, die Pleiten häuften sich.
Jetzt wo die Zeiten schlechter sind, geht das Geld aus. Die Nachfrage hat nachgelassen und traditionelle Automobilhersteller sind als ernsthafte Konkurrenten aufgetaucht. Die schwächsten Start-ups sind bereits untergegangen, und es werden wahrscheinlich noch mehr folgen.
Das Gründungsfieber ließ erwartungsgemäß abrupt nach, für die wenigen verbliebenen ist eine profitable Zukunft unsicherer denn je. Lordstown Motors und Arrival meldeten Insolvenz an, ebenso Fisker. Rivian und Lucid mögen besser positioniert sein, aber ihre kombinierten Verluste beliefen sich im ersten Quartal 2024 auf über 2,1 Milliarden Dollar (1,9 Milliarden Euro) – und das in einer Hochzinsphase.
Die Zeichen für die Zukunft der Elektro-Start-ups stehen auf Sturm. Mehr und mehr stellte sich heraus, dass Autobau doch nicht so einfach ist, wie Internet-Freaks geglaubt haben. Komplexität und die enormen Kapitalanforderungen beim Fahrzeugbau bei gleichzeitig schwacher Nachfrage wurden mehr und mehr zur großen Finanzbürde für die jungen Unternehmen. Hohe Zinsen und Inflation erhöhten den Druck. Für die Auomobilwoche hat sich die Situation von schlecht zu noch schlechter entwickelt (Lucid, Fisker, Rivian und Co.: Warum viele E-Auto-Start-ups ums Überleben kämpfen | Automobilwoche.de).
Selbst Tesla sah sich gezwungen, die Preise drastisch zu senken, um die Nachfrage anzukurbeln und seine exotischen Absatzziele zu erreichen, vor allem im Hauptmarkt China. Und alle Wettbewerber folgten nach, ein ruinöser Preiswettbewerb setzte ein, um die nachlassende Nachfrage nach Elektroautos zu bekämpfen. Und das Ganze in völliger Verkennung, dass in schrumpfenden Märkten kollektive Preissenkungen nur zu höheren Verlusten führen. Für alle!
Hinzu kommt, dass die traditionellen Automobilhersteller erzwungenermaßen längst in den Markt von Elektrofahrzeugen mit besseren Angeboten eingestiegen sind und den jungen Autoherstellern mächtig Konkurrenz machen. Sie haben schnell gelernt, die Modellpalette von Elektroautos und Plug-In-Hybrid Varianten schwillt weiter erheblich an.
Nikola, Lordstown, Canoo, Faraday Future, Fisker und Lucid gingen alle vielfach geprüft und testiert (SPAC-Prozess) an die Börse, um Geld von privaten Investoren und Institutionen zu sammeln. Die Testate der Wirtschaftsprüfer waren seriös, viele versprachen dabei eine blitzschnelle Entwicklung, lockten Investoren mit einer Erfolgsgeschichte à la Tesla. Alle sind verschwunden oder fast verschwunden.
Lucid-Manager sagten beispielsweise in einer Investorenpräsentation 2021 voraus, dass sie 2024 90.000 Fahrzeuge ausliefern und einen Umsatz von 9,9 Milliarden Dollar (9,1 Mrd. Euro) erzielen würden. Im jüngsten Finanzbericht räumt Lucid ein, dass man in diesem Jahr gerade einmal 9000 Fahrzeuge produzieren würde. Zwar gab es bescheidene Fortschritte. Lucid senkte den Verlust im ersten Quartal auf 685 Millionen Dollar, nach 780 Millionen Dollar im Vorjahreszeitraum. Auch der Umsatz stieg um 16 Prozent auf 173 Millionen Dollar. Aber 9,9 Milliarden werden daraus so schnell wohl kaum.
Die österreichische Tochter des US-Autoherstellers Fisker meldete in diesem Frühjahr Insolvenzschutz an. Im Februar gab es eine Warnung wegen Bedenken über die Unternehmensfortführung, und der Auftragsfertiger und selber Kapitalbeteiligter Magna in Graz erklärte in seinem Finanzbericht für das erste Quartal, dass das Unternehmen „keine weitere Produktion des Fisker Ocean“ annimmt.
All das kommt nicht überraschend. Denn selbst Elektro-Primus Tesla hat erhebliche Probleme. Für das erste Quartal des Jahres meldete das Unternehmen den niedrigsten Gewinn seit mehr als sechs Jahren (davor hatte Tesla aber nur Verluste gemacht). Trotz Preissenkungen nahmen die Lagerbestände dennoch auf 28 Tage zu gegenüber 15 Tagen im letzten Quartal – für „verderbliche Waren“ wie E-Autos (Fritz Indra, TU Wien) keine einfache Sache. Tesla hat dieses Jahr schon mehrere Entlassungsrunden von insgesamt 14.000 Mitarbeitern angekündigt.
Andere Start-ups haben den Markt schon völlig verlassen. Lordstown Motors meldete letztes Jahr Insolvenz an, kam aber auch danach noch nicht zum ewigen Frieden. Im Februar erhob die Securities and Exchange Commission (USA) Anklage gegen Lordstown wegen geschönter Nachfragemeldungen nach dem Elektro-Pick-up Endurance.
Doch auch wenn der ganze Start-up-Sektor schwächelt, gibt es gelegentliche Erfolge, nicht am Markt, aber bei der Finanzierung (Lucid, Fisker, Rivian und Co.: Warum viele E-Auto-Start-ups ums Überleben kämpfen | Automobilwoche.de). Lucid sammelte im März eine Milliarde Dollar von einem Partner des saudi-arabischen Staatsfonds ein. Canoo unterzeichnete kürzlich eine Fahrzeugverkaufsvereinbarung mit einem Farbenhersteller im Nahen Osten. Mullen gab diesen Monat eine Finanzierungszusage von 150 Millionen Dollar bekannt.
Die Erfolgschancen der überlebenden Start-ups bleiben durchwachsen, weil die traditionelle Automobilhersteller immer stärker werden und Marktanteile gewinnen. Alteingesessene Player bieten immer mehr Elektro-Modelle an und haben Markenbekanntheit. Sie verfügen über etablierte Service- und Handelsnetze und – vielleicht am wichtigsten – verfügen parallel über die Verbrennertechnik und über ausreichend Kapital.
Dennoch: Auch die Etablierten machen bei Elektroautos große Verluste. Ford berichtet von 132.000 US-Dollar je Fahrzeug im ersten Quartal 2024. Deutschen Herstellern geht es zwar besser, aber gut geht es keinem. Ohne kompensatorische Gewinne bei den Verbrennern würden alle rote Zahlen schreiben.