Tichys Einblick
SZ-Kommentar

Mediales Wunschkonzert: Der Ruf nach mehr kleinen und billigen E-Autos

Die deutschen Hersteller hätten nicht „die richtigen Fahrzeuge im Angebot, um den lahmenden Markt anzukurbeln“. Ökonomisch ausgedrückt wäre die Nachfrage nach E-Autos also da, es fehle allein am „richtigen“ Angebot: kleine und billige Autos. Verantwortlich für die Elektro-Abstinenz sind also – neben dem Wegfall der staatlichen Kaufprämie – die Autohersteller.

picture alliance/dpa | Marius Becker

Reminiszenzen an Kindertage und die Jugendzeit werden wach, als auf verlorengegangenes Spielzeug innige Fürbitten an den Hl. Antonius folgten und auf Kindergeburtstagen die Wünsche nach dem eigenen Pony oder Ferien auf dem Immenhof die Eltern stets zur Verzweiflung trieben. Und später dann kam Janis Joplin, wie sie voller Inbrunst und Flower-Power darum bat: „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz?“. Was in der Jetztzeit unter Intellektuellen als Fortsetzung in dem Nerd-Spruch kreiselt: „Lieber jung und gesund als alt und krank“.

Alle diese Erinnerungen kamen hoch, als vor kurzem in einer überregionalen Zeitung ein Bericht über die schwache Marktakzeptanz von Elektroautos die Überschrift trug: „Mehr kleine und billige Elektroautos, bitte“ (Süddeutsche Zeitung vom 3. April 2024; alle nachfolgenden direkte oder indirekte Zitate beziehen sich, falls nicht anders gekennzeichnet, auf diese Quelle). Dieser Wunsch – immerhin als Bitte und nicht, wie früher in den Medien häufig zu lesen, als Vorwurf der Ignoranz oder schlimmer gar als Konsequenz des technologischen Tiefschlafes der deutschen Autobauer vorgetragen – kommt den erwähnten Kinderwünschen sehr nahe.

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Ausgangspunkt für den devoten Wunsch ist das frustrierte Eingeständnis: „Die große Euphorie beim Verkauf von E-Autos ist weg, keine Frage. Und das nicht erst nach dem Ende der staatlichen Förderung in Deutschland.“ Wobei es wohl richtiger geheißen hätte, dass die große Euphorie beim Kauf von Elektroautos weg ist – das aber, wie die SZ richtigerweise feststellt, nicht nur in Deutschland, sondern unausgesprochen und global sogar im weltgrößten E-Automarkt China. Profan gesprochen: Der Elektro-Lack ist ab, doch wer ist schuld?

Damit ist die öffentliche Suche nach dem Schuldigen an der Elektro-Abstinenz angeläutet. Zulassungseinbrüche von bis zu 56 Prozent (Tesla) im März 2024 sprechen eine deutliche Sprache. Da ist zum einen die Politik identifiziert. “Der Schock saß tief, als Ende vergangenen Jahres die Bundesregierung praktisch über Nacht die Förderung von Elektrofahrzeugen abschaffte. Die Autoindustrie beklagte einen enormen Vertrauensverlust bei den Verbrauchern und übernahm dann die Umweltprämie selber, damit nicht zu viele Kunden abwanderten.“

Diese Berichterstattung unterschlägt völlig, dass der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sich nicht etwa vom Paulus zum Saulus rückverwandelt hätte, sondern aus purer Finanznot des Staates zu dieser Maßnahme gezwungen war. Neudeutsch: Die Förderprämie drohte völlig aus dem Ruder zu laufen, Elektroautos fahren auf Staatskosten ist bei 49 Millionen Pkw im Bestand nirgends machbar, auch in Deutschland nicht.

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Der eher beiläufige Hinweis auf die Übernahme der Förderprämien durch die Hersteller selber, „damit nicht zu viele Kunden abwanderten“, räumt zum einen verschämt ein, dass die Abwanderung zurück zu den Verbrennern ohnehin schon vor Abschaffung im Gange und der Markt für betuchte Konsum-Pioniere schon in der Sättigungsphase war. Zum anderen zeigt das Verhalten der Hersteller, dass die staatlichen Förderprämien zuvor ohnehin längst „eingepreist“ waren und als willkommenes Zubrot in die hohen Gewinne der Autobauer eingeflossen sind: Es hätte überhaupt keiner Kaufprämie bedurft, die Hersteller hätten ihre E-Autos von Anfang an sonst billiger angeboten.

Fairerweise lässt der Bericht die Nachteile der Elektroautos nicht außer Betracht, so die oftmals unzureichenden Reichweiten der Fahrzeuge, das auf dem Lande dünne Ladenetz, die hohen Strompreise, „der Wiederverkaufswert von E-Autos angesichts der raschen technologischen Entwicklung unklar“. Letzteres dürfte allerdings nur unzureichender Recherche geschuldet sein: Unklar ist da nichts. Zahllose Umfragen belegen es: Die Wiederverkaufswerte befinden sich im freien Fall, gebrauchte E-Autos stehen wie Blei bei Händlern, die Wertverluste bei Leasing-Flotten sind immens, Wiederkäufe wurden auf breiter Front zurückgestellt.

Ergänzend hätte der Bericht noch die jüngsten Hiobsbotschaften in Sachen Nicht-Kaufanreize von Elektroautos erwähnen können: hohe Reparaturkosten, vor allem konstruktionsbedingt bei einzelnen Herstellern, zum Beispiel Tesla, geringe Service-Dichte, lange Standzeiten, rasant steigende Versicherungsprämien.

Als Schuldiger im „schleppenden E-Auto-Verkauf“ werden schließlich die deutschen Autohersteller identifiziert. „Sie haben derzeit schlicht nicht die richtigen Fahrzeuge im Angebot, um den lahmenden Markt anzukurbeln.“ „Richtige Fahrzeuge“ wären – unausgesprochen – nach der Logik des Berichtes dann wohl „kleine und billige Elektroautos“.

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Ökonomisch ausgedrückt wäre in Deutschland die Nachfrage nach E-Autos also da, allein es fehle am „richtigen“ Angebot. Das ist ein Irrtum! Denn im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass auf den Märkten, wo die „richtigen Fahrzeuge“ im Angebot sind, die Verkäufe von E-Autos florieren würden.

Das ist aber mitnichten der Fall, wie gerade China zeigt. Gerade die Hersteller von kleinen und billigen E-Autos machen reihenweise pleite, nicht nur des Wettbewerbs wegen, sondern weil schlicht der Markt dort aktuell am stärksten abbricht. In China liefern sich in einem schrumpfenden Markt über 90 Anbieter von kleinen E-Autos eine historisch einmalige Rabattschlacht, die täglich neue Opfer fordert. Auch Tesla ist eines der Opfer, ebenso Marktführer BYD.

All dieses wird nicht erwähnt. Stattdessen wird ADAC-Präsident Christian Reinicke als Zeuge bemüht, der in einem Interview (Süddeutsche Zeitung, Ostern 2024, Nr. 75) ebenfalls beherzt fordert: „Wir brauchen kleine und bezahlbare E-Autos, gerade für die Städte.“ Frage: Weil dort angesichts der vielgeschossigen Wohnbauten, vieler Bezieher niedriger Einkommen und des knappen Park- und Lade-Tankstellen-Raums auf der Straße die meisten Elektroautos gekauft werden könnten? – Eine wirklichkeitsfremde Forderung angesichts von Vandalismus und der Raumnot in den Stadtquartieren, sogar in denen neu im Bau befindlichen, in denen für Autos gleich welcher Antriebsart fast überhaupt kein Platz mehr vorgesehen ist.

Der ADAC jedenfalls hat laut Reinecke bei seiner Suche nach reinen Elektroautos unter 30.000 Euro nur ganze vier gefunden – kein einziges deutsches, aber eben auch nur vier ausländische. Offensichtlich aus gutem Grund, denn auch ausländische Anbieter von Elektroautos werden ihre Fahrzeuge in Deutschland, wenn überhaupt, nicht massenweise los.

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Dazu als Beleg ein Zitat aus der Automobilwoche mit Beispielen aus der französischen Autoindustrie: „Die französischen Marken haben auf dem Weg zum günstigen BEV schon mehr erreicht als die deutschen Rivalen. Sie bieten derzeit die meisten E-Modelle in der kleinen Gruppe der Fahrzeuge zwischen 25.000 und 30.000 Euro an. Viel Beifall erhielt vor allem der im Oktober von Citroën vorgestellte ë-C3, der seit Februar in den meisten europäischen Märkten ab 23.300 Euro angeboten wird, auch in Deutschland. Citroën preist seinen Preisbrecher als erstes in Europa entwickeltes und auch dort gebautes Billig-E-Auto an. Der ë-C3 wird im slowakischen Trnava produziert. … Der kompakte Franzose zeigt somit erstmals, dass ein vollwertiges E-Auto für vier Personen für weniger als 25.000 Euro auf profitable Weise in Europa produziert werden kann“ (Günstige E-Autos: Deutsche Marken spielen im Markt fast keine Rolle | Automobilwoche.de, 04.04.2024).

Die monatliche Statistik der Neuzulassungen belegt indessen, dass die Produktion billiger Elektroautos allein nicht für den Markterfolg reicht: Sie müssen auch gekauft werden. Und das werden sie bislang nicht. Ein größeres Angebot an kleinen und billigen Elektroautos hilft nicht aus der Marktmisere für Batterie-Fahrzeuge. Die Automobilwoche hat dazu die Erklärung: „Bei den meisten Fahrern zählen weniger Coolness und demonstrative Umweltfreundlichkeit als vielmehr Nutzwert und Alltagstauglichkeit – und zwar zum Preis eines Verbrenners. Diesen Spagat schafft derzeit kein Stromer. Die meisten Modelle sind schlichtweg zu teuer für den europäischen Durchschnittsverdiener – sogar mit Förderung und erst recht ohne staatliche Zuschüsse“ (Günstige E-Autos: Deutsche Marken spielen im Markt fast keine Rolle | Automobilwoche.de, 04.04.2024).

Langjährige Marktkenner vertreten sogar die Auffassung, dass selbst die geplanten 20.000 Euro E-Autos von VW (ID.1 , ID.2) ab 2026/27 nicht den erhoffen Marktdurchbruch bringen. ADAC-Präsident Reinicke dagegen kommt zu der Feststellung: „Vielleicht stimmt was nicht am Geschäftsmodell der deutschen Hersteller.“ Das könne man genauso sehen, pflichtet der Bericht bei, denn die großen Hersteller aus Deutschland „haben derzeit kaum günstige Elektromodelle im Programm …“, aber genau solche Modelle wären geeignet, um der E-Mobilität endlich (!) zum Durchbruch zu verhelfen und als Massengeschäft populär zu machen.

Andere ausländische Konkurrenten wie der chinesische Hersteller BYD oder MG oder der französische Multi-Marken-Konzern Stellantis (Peugeot, Citroen, Opel, Chrysler, Fiat, Alfa Romeo, Jeep etc.) hätten das alle längst erkannt. Sie würden jetzt „den Deutschen den Rang ablaufen“. – Eine schreckliche Zukunftsvision.

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Zum Glück aber etwas wirklichkeitsfremd. Die deutschen Hersteller nehmen die Lücke jedenfalls bislang gelassen hin. Offensichtlich zu recht. Selbst der Bericht muss eingestehen, dass VW, BMW und Mercedes-Benz „… von ihrem Retro-Angebot – groß und/oder Verbrenner – bisher sehr gut (leben). Das Trio gehörte 2023 zu den gewinnstärksten im Dax. Sie erwirtschafteten zusammen einen operativen Gewinn von 60 Milliarden Euro, der Umsatz lag bei mehr als 600 Milliarden Euro … daraus muss (die Autoindustrie) was machen, damit sie nicht abgehängt wird.“

Darauf, dass die hohen Verbrenner-Gewinne notwendig sind und waren, um sich die Entwicklung von Elektroautos für einen nichtexistierenden Markt überhaupt leisten zu können, darüber wird kein Wort gesprochen. Im Gegenteil, es zeigt sich erneut die Lebenserfahrung: „Ohne Verantwortung ist leicht Ratschläge erteilen.“ Es gehe nicht um kurzfristige Gewinne und Aktionäre, das sei gefährlich, sondern es gehe um Investitionen in die Zukunft zur Transformation einer ganzen Industrie. Es müsse in die Zukunft investiert werden, denn schließlich würden jetzt die Märkte von morgen verteilt werden. „Da lohnt es sich, auch mal auf ein wenig (!) Marge zu verzichten.“

Was aber die Märkte von morgen sind, wird nicht mitgeteilt, sondern es wird lediglich der Ratschlag erteilt: „Es muss das Interesse der Konzerne sein, die passenden Modelle im Angebot zu haben.“ – Nichts anderes haben die deutschen Hersteller in den letzten hundert Jahren gemacht. Und sind auf diese Weise Weltmarktführer geworden, allerdings im Verbrennerzeitalter. Doch ist dieses Zeitalter endgültig vorbei? Geht es um den Verbrenner oder geht es um die Abschaffung fossiler Treibstoffe im Verbrennungsmotor?

Der Bericht ist sich sicher: „Es gibt keine Zeit zu verlieren, an der E-Mobilität führt in Zukunft kein Weg vorbei.“ „Vorbei“ – das ist sicher richtig, aber nicht ins Ziel, das da heißt: klimaneutrale Mobilität von 1,6 Milliarden Bestands-Pkw weltweit. Kleine und billige Elektroautos, selbst wenn wirklich klimafreundlich produziert und betrieben, sind dabei weniger als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

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