Die äthiopische Transportministerin Dagmawit Moges hat in Addis Abeba einen ersten Untersuchungsbericht zur Ursache des Absturzes der Boeing 737 Max der Ethiopian Airlines veröffentlicht. Dieser entlastet die Crew – es hat sich bei den Ursachen für den Absturz offensichtlich nicht um menschliches Versagen gehandelt. Äthiopien ließ übrigens nicht in Amerika, sondern in Frankreich die Aufzeichnungen der Blackboxes auswerten; mit diesen Daten lassen sich die Ereignisse an Bord ziemlich genau rekonstruieren.
Die aktuellen Instruktionen für das ominöse MCAS System sind eindeutig. Die Besatzung der in Äthiopien abgestürzten Boeing 737 Max hat offenbar alle vom Hersteller vorgesehenen Verfahren befolgt. Die Piloten mussten der Meinung sein, sie hätten das MCAS ausgeschaltet. Offenbar wurde dem System aber nicht wirklich der Saft abgedreht, sondern es arbeitete noch weiter. Die Piloten kämpften dagegen an – vergeblich: Sie konnte das Flugzeug nicht mehr unter ihre Kontrolle bringen. Mit rund 700 Kilometer pro Stunde rammte ihre Maschine in den Erdboden. Das weist auf einen schwerwiegenden technischen Fehler hin.
Eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse steht noch aus. Sie würde eine der Fragen klären helfen, die mit am meisten diskutiert werden: Warum haben die Piloten der zweiten abgestürzten Maschine nicht versucht, das System auszuschalten? Zwei Schalter rechts unten an der Mittelkonsole schalten den Trimmmotor im Heck an oder aus. Scheinbar einfach.
Viermal soll das System nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters wieder aktiv gewesen sein, nachdem die Piloten es ausgeschaltet hatten. Die Ermittler untersuchen jetzt, ob die Piloten das MCAS wieder eingeschaltet haben, oder ob es von sich aus wieder aktiv wurde. Es soll eigentlich bereits im Startsteigflug aktiv werden, sobald sämtliche Klappen eingefahren wurden, um den gefürchteten Strömungsabriß verhindern.
Das Höhenruder war ganz am Anschlag
Gefunden wurde an der Absturzstelle die Spindel mit dem Antriebsmotor, über die die Höhenflosse verstellt wird. Diese Spindel soll den Berichten zufolge vollständig an einem Anschlag gestanden haben. Das würde bedeuten, dass das Höhenruder-Trimmung ziemlich „aus dem Ruder“ gelaufen war. Mit einem Handrad kann der Pilot zusätzlich die Trimmung verstellen, das benötigt allerdings ein wenig Zeit. Rund 250 Kurbelumdrehungen sind es von Anschlag zu Anschlag, weil die Abstimmung recht fein verläuft. Denkbar ist, daß die Piloten wieder die elektrische Verstellung eingeschaltet haben, umso über einen Wippschalter am Steuerhorn schneller trimmen zu können.
Bisher gibt es vor allem eines: viele Spekulationen. Bis die Abläufe und Ursachen genau feststehen, dürfte noch einige Zeit vergehen. Wie die New York Times jetzt berichtet, ist nach Angaben von Experten nicht einmal sicher, ob die beiden Abstürze tatsächlich nach demselben Muster verliefen. Bei Lion Air-Absturz in Indonesien bestehen zudem erhebliche Zweifel an der Genauigkeit der Daten. An der abgestürzten Maschine wurde vor dem Unglücksflug der linke Winkelsensor ausgetauscht, nachdem bei vorausgegangenen Flügen Probleme auftauchten. Die New York Times zitiert den Luftfahrtingenieur Bjorn Fehrm: „Ich glaube nicht, dass es ein Versagen des Sensors ist. Das ergibt keinen Sinn. Es sieht mehr wie ein Computerausfall oder ein Komponentenausfall aus, also ein Systemausfall.“
Woher willst du wissen, wie man sie repariert?
Denn auch nach dem Wechsel des Sensors bei Lion Air Flug 610 war der Fehler nicht behoben, das System produzierte weiterhin eine Reihe von fehlerhaften Daten. Die Vielzahl der Probleme deute eher nicht auf einen defekten Sensor hin, sondern auf ein grundlegenderes Problem mit dem Prozessor, der die im Cockpit angezeigten Daten verarbeitet. Dass die Sensoren ins Rampenlicht gerückt wurden, könnte ein Ablenkungsmanöver gewesen sein, mutmaßt die New York Times, um von einem schwerwiegenderen Systemversagen abzulenken. Sensor austauschen und alles ist gut – das mache sich besser als das Eingeständnis von schwerwiegenderen Mängeln.
Boeing betonte, dass die Software vor den Augen von Fachleuten der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA mehrere hundert Stunden Analyse, Labor- und Simulatortests sowie zwei Flugerprobungen durchlaufen musste. Allerdings hat die FAA am Anfang dieser Woche noch weitere Veränderungen am Update gefordert und die Software noch nicht für zulassungsfähig erklärt. Boeing will der FAA das komplette Software-Update „in den kommenden Wochen“ zur Prüfung und Zulassung übergeben.
370 bereits ausgelieferte 737 Max werden noch eine Weile am Boden bleiben. Nicht vorstellen möchte man sich indessen die Gemütslage der Ingenieure, die die erste Version der MCAS-Software entwickelt haben.