An der Münchner Sonnenstraße wird mit einer seltsamen Elle gemessen. 25 Meter soll der Abstand eines Messhäuschens an einer großen Kreuzung vom Auspuff des nächstfahrenden Autos entfernt sein – so sagt es jedenfalls die einschlägige EU-Verordnung, klipp und klar. Am „Stachus“, wie die Sonnenstraße im Volksmund heißt, trennt aber nur ein Gehweg die Sensoren von den Abgasen. Auf vierzehn Fahrspuren – vier von Süden, fünf von Norden, drei von Westen, zwei eben dorthin – wälzt sich eine Verkehrslawine, die zur Hauptverkehrszeit regelmäßig zum zähfließenden Brei wird. Und das hier stattfindende, ständige Anhalten und Anfahren verursachen besonders hohe Emissionen. Ein gefundenes Fressen für die Deutsche Umwelthilfe und ihren Hauptgeschäftsführer Jürgen Resch. Feinstaub, Stickoxide – neue Gerichtsverfahren, neue Fahrverbote.
Es stinkt zu nah am Kasterl
Und die Stadt München hat noch zwei weitere Sensorenhäuschen untergebracht, natürlich an berüchtigten, täglichen Staustellen. Ein Blick zur Landshuter Allee – hier sind die Sensoren nur sogar eine Bordsteinbreite von einer achtspurigen Fahrbahn getrennt. Von hier ist es nicht weit in die Lothstraße. Gleich an der Nymphenburger Straße steht das „Kasterl“ – und täglich staut es sich hier stundenlang. Gut, ein schmaler Parkstreifen trennt hier die bösen Diesel von den Sensoren, die dem Guten zum Durchbruch verhelfen sollen. Und zwar mit allen Mitteln, denn zehn Meter Abstand zum Fahrbahnrand wären einzuhalten, weil es sich bei den letztgenannten Standorten um keine Kreuzungen handelt, was zu günstigeren Messwerten führen würde. Lediglich in Allach und Johanneskirchen – zwei weiteren Münchner Messstellen in vergleichsweise ruhigen Lagen – stehen die Messhäuschen zurückgesetzt in Grünflächen. Hier werden auch am seltensten Überschreitungen gemessen.
Es bedarf nicht mehr der Erwähnung, dass es exakt diese drei Sensoren-Häuschen sind, die mit schöner Regelmäßigkeit die Werte bringen, die in der bayerischen Landeshauptstadt zu Fahrverboten führen sollen. Wohlgemerkt: nicht bringen könnten – sondern sollen. Im Nachbarland Österreich, das trotz konservativer Regierung als durchaus strikt in Umweltfragen gilt, handelt man regelkonform, was die Abgasmessung angeht. Dieselben Messstellen, die in München unmittelbar an vielbefahrenen städtischen Straßen stehen, haben dort über 100 Meter Abstand zu den wirklich hochbelasteten Straßenabschnitten. Und nachdem diese Stationen nicht ohne das Zutun der Münchner Stadtverwaltung aufgestellt wurden, sollten sich alle Münchner Bürger genau anschauen, wer hier dafür sorgt, dass es das Kreuz mit den Fahrverboten gibt. Denn die nächste Kommunalwahl kommt bestimmt und dann sind es die Bürger, die ihr Kreuz machen.
Das Kreuz mit dem Diesel
Das hat auch der bayerische SPD-Politiker Florian Pronold gemerkt. Beleidigt ließ er verlauten, es gebe „Propaganda“, der zufolge die maßgeblichen Messstellen für Stickstoffdioxid (NO2) falsch aufgestellt seien. Das sei eine „Gespensterdebatte“, die Misstrauen schüre. Dem wolle das Umweltministerium mit „klaren Fakten“ entgegenwirken. Der TÜV soll nun jedes Messhäuschen auf seinen EU-konformen Standort hin überprüfen. Die Politik lagert damit ihr Problem aus.
Das ganze klingt nach einem Rückzugsgefecht. Denn natürlich werden Standorte korrigiert, natürlich wird die tendenziöse Absicht der mutmaßlich von der DUH beratenen Lokalpolitiker entlarvt werden. Und natürlich hat TE schon seit Mai in einer 9-teiligen Serie die Leser darauf hingewiesen, dass es sehr viele fragwürdige Standorte für die Stink-Kasterl gibt – nicht nur in München, sondern in fast allen Städten: Messstellen zu nah am Auspuff, ohne Belüftung, unter Bäumen, Vorsprüngen und dichtem Blätterwerk. Mindestens 25 m von der nächsten Kreuzung, maximal 10 m vom Fahrbahnrand; erlaubt sind Standorte direkt am Fahrbahnrand, nicht aber unter einem Blätterdach, nicht auf einem Mittelalleestreifen, 180 Grad (in der deutschen Verordnung wurde noch der undurchsichtige Begriff 230 Grad hinzugefügt) frei umströmt, nicht so in der Häuserecke wie in Stuttgart Neckartor.
Das alles ist kompliziert und verwirrend. Und bedarf der exakten Nachprüfung.
Lange geschah nichts, obwohl der Missbrauch der Messstellen offenkundig war. Nun hat Pronold es plötzlich eilig, denn schon am kommenden Montag möchte die Bundeskanzlerin – falls sie den Rückweg aus Buenos Aires bis dahin bewerkstelligt – persönlich mit Vertretern von Kommunen zusammentreffen, um über das „Sofortprogramm Saubere Luft“ und andere Fragen rund um Diesel-Abgase und Fahrverbote zu beraten. Schon fürchten die Verfechter autofreier Städte, die mutmaßlich aus politischen Gründen den Individualverkehr zur Gänze abschaffen wollen, um ihren Einfluss. Die schöne sozialistische Utopie, mit wahrscheinlich manipulierten Messhäuschen-Standorten den verhassten, gutbürgerlichen Autofahrer ein für allemal um ihre Möglichkeit, ein Auto zu besitzen, zu bringen – gerät sie nun doch noch in Gefahr?
In einer großen Leseraktion im März und April 2018 haben TE-Leser uns Bilder der Messstationen in ihren Städten geschickt.
Hier noch einmal die Übersicht und zu den einzelnen Artikeln:
Teil 1: Messtationen in Stuttgart, Leipzig, Fulda, Magdeburg, Rostock, Marburg und Tübingen
Teil 2: Messstationen in Ludwigsburg, Hannover, München und Siegen:
Teil 3: Messstationen in Hamburg, Wiesbaden, Cottbus, Dortmund und München
Teil 4: Messstationen in Berlin, Hannover, Halle an der Saale, Wuppertal und Göttingen
Teil 5: Messstationen in Darmstadt, Leonberg, Kiel und Gelsenkirchen
Teil 6: Messstationen in München, Plauen/Vogtland, Osnabrück und Norderstedt
Teil 7: Messstationen in Oldenburg, Köln, Leipzig, Nürnberg, Kassel und Essen
Teil 8: Messstationen in Potsdam, Berlin, Duisburg und Stralsund
Teil 9: Messstationen in Reutlingen. Ludwigshafen, Dortmund, Dresden, Würzburg, München,