Tichys Einblick
Camouflage in der Autoindustrie

Die Rückkehr der Verbrenner unter elektrischer Tarnkappe

Öffentlich vertreten fast alle Größen der Autoindustrie eine Transformationsstrategie. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Der Weg vom Verbrenner zum Elektroauto wird länger – wenn er überhaupt je zum Ziel führt.

Vorstandschef Oliver Zipse bei der Bilanz-Pressekonferenz der BMW-Gruppe, München, 15.03.2023

IMAGO / sepp spiegl

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen fake news und fact news, liegen bekanntlich Welten. Das gilt erst recht für die deutsche Automobilindustrie. Fast alle deutschen Auto-CEOs – Ausnahme Oliver Zipse von BMW – haben in der Vergangenheit wiederholt das Verbrenner-Aus für ihre Konzerne und die  ausschließliche und unabänderliche Hinwendung zum Elektroantrieb verkündet.  Stets unter reger medialer Anteilnahme.

So effizient, sparsam und hochwertig die Diesel- und Benzinaggregate aus deutschen Autowerken über ein Jahrhundert auch sind, sie erwiesen sich im 21. Jahrhundert mit der stürmisch wachsenden globalen Pkw-Flotte in China und den zunehmenden CO2-Emissionen aus ihren fossilen Verbrennermotoren als Mitverursacher des Klimawandels. Und gerieten klimapolitisch in Verruf und gesellschaftspolitisch ins Abseits. Nur Elektromobilität und das reine Elektroauto galten politisch allein als klimagerecht. Technologieoffenheit in der Umweltpolitik für alternative Lösungen: Fehlanzeige.

In Europa sollte nach den Vorgaben der EU spätestens 2035 der letzte Verbrenner  in neuen PKW verbaut werden, danach nur noch Elektroautos. Auf nicht zuletzt deutsche Intervention hin wurde das soweit modifiziert, dass eingeschränkt auch nach 2035 weiter Verbrennermotoren in Neufahrzeugen verbaut werden dürfen, aber nur, wenn sie mit klimaneutralen Treibstoffen in Form von biologischen oder synthetischen Treibstoffen (eFuels) betrieben werden. Zunächst aber war das kommende Verbrenner-Aus in Europa für die Autoindustrie maßgebend. Lediglich BMW plädierte weiterhin für Technologieoffenheit, alle übrigen Hersteller gaben zeitlich feste, meist aufs Jahr genau terminierte Ausstiegstermine vor. 

Dies erwies sich dann später, je mehr aus der Zukunft Gegenwart wurde, eher als Bluff oder PR-Gag. Denn Ökonomen und Automobilmarktexperten hatten mit Blick auf die globalen Märkte ebenso wie auf die internen Motor-Entwicklungs-Strukturen frühe und feste Ausstiegstermine stets für unrealistisch gehalten.

Lediglich BMW schwor dem Verbrenner nicht ab und entwickelte eine duale Plattformstrategie, auf der alternativ beide Fahrzeugtypen gebaut werden konnten. Zwar wollte BMW-CEO Oliver Zipse sogar einen Giga-Batteriefabrik in Niederbayern nahe des Stammwerks Dingolfing bauen lassen. Gleichzeitig beharrte er aber auf Technologieoffenheit.

Er sollte Recht behalten, denn der Brüsseler Kompromiss mit eFuels erlaubt auch Verbrenner nach 2035 eine Weiterexistenz. Und beim globalen Markterfolg von Elektroautos werden inzwischen Grenzen sichtbar. 

Eine Anekdote: Im Mittelpunkt allerdings kein deutscher Autohersteller, sondern das großspurige amerikanische IT-Universal-Genie Elon Musk, der Ende der Nuller-Jahre die Elektromobilität als Anwendungsfeld für seine innovativen IT-Kenntnisse entdeckte und mit dem Bau von Elektroautos der Marke Tesla begann.

Mit überragendem Erfolg. Eine Revolution erfasste die altehrwürdige Weltautomobilindustrie. Musk hob die Branche der Petrol-Heads völlig aus den Angeln, wurde Weltmarktführer bei Elektroautos und blieb es bis heute. Und seine Aktionäre machten den quirligen Unternehmer Musk innerhalb von nur einem Jahrzehnt zum reichsten Mann der Welt – auf dem Papier. 

Aber auch bei Musk muss inzwischen das Wünschbare und Geplante langsam aber sicher dem Machbaren und der Wirklichkeit weichen. 

Die renommierte Automobilwoche  brachte vor kurzem auf der Titelseite ein Zitat von Elon Musk: „Alle Autos werden in 20 Jahren E-Autos sein. Sollte die Menschheit dann noch leben“. 

Letzteres ist zu hoffen, Ersteres ist mit Sicherheit falsch. Weder werden die 80 Millionen Verbrennerautos, die heute produziert werden, vom Nordkap bis zum Kap der guten Hoffnung, in Taiga und Tundra dann nur noch als Elektroautos auf den Markt kommen können.

Tesla als Autobauer von E-Autos mag es in zwanzig Jahren noch geben – sicher ist das nicht angesichts der Übernahmewut der gierigen chinesischen Autoindustrie – , die Wahrscheinlichkeit, dass dann aber alle Tesla fahren, ist gleich null.   

Denn auf nämlicher Titelseite wurden auch die Ergebnisse einer Meinungs-Umfrage wiedergegeben, in der gefragt wurde, ob deutliche Preissenkungen bei Tesla die Kauflust der Kunden stimulieren würde: 81 Prozent der Befragten verneinten, 6 Prozent waren unentschieden und nur 13 Prozent sagten ja. Im Zweifel wären also 80 Prozent der Käufer trotz einer deutlichen Verbilligung von Elektroautos selbst vom Marktführer Tesla nicht zum Kauf eines Elektroautos animiert worden.

Kein gutes Omen für CEO Elon Musk, der seit Monaten mit aggressiven Rabatt-Aktionen in den Massenmarkt vorstoßen will. So hat er, um sein Jahresziel für 2022 zu erreichen und auch in die Förderzone des Kaufprämienprogramms der US-Regierung zu kommen, im Winterhalbjahr 2022/2023 mehrfach seine Preise aggressiv gesenkt,  in den USA teilweise um 25 Prozent. 

Wie von Musk erhofft, hat das einerseits die Läger an unverkauften Tesla Neuwagen geräumt und den Absatz gesteigert: Tesla hat im 1. Quartal 2023 mit 422.875 Auslieferungen einen neuen Verkaufsrekord aufgestellt; gebaut wurden allerdings 440.000 Fahrzeuge. Gleichzeitig brachen aber anderseits die Tesla-Gewinne noch kräftiger ein: Der Nettogewinn belief sich in Q1 2023 auf 2,5 Milliarden US-Dollar – ein Rückgang um 24 Prozent zum Vorjahreszeitraum. 

Ein Selbstläufer am Automarkt sind Elektroautos offensichtlich noch nicht. Dennoch will Musk weiterhin bereits 2030 zwanzig Millionen Autos absetzen. Dafür stampft er neue Gigafactories in Mexiko und Kanada aus dem Boden, hoch subventioniert durch das IRA-Programm (Inflation Reduction Act) der Regierung Biden. 

Weder die aggressive Wachstumsplanung von Elon Musk noch der Preisverfall bei Elektroautos sind guten Omen für die deutschen Verbrenner-Flüchter, die sich dem Druck der Klimapolitik und dem Zeitgeist beugten und den totalen Ausstieg aus der Verbrennertechnologie verkündeten. Den Anfang machte der Volkswagen-Konzern. Ex-VW-Vorstand Herbert Diess erklärte 2021 bei Vorstellung der Neuen Konzernstrategie den kompletten Ausstieg aus der Verbrennerentwicklung ab 2030. Bis 2025 will VW sechs Milliarden Euro investieren, damit schließlich 20 BEVs im Angebot stehen. Mit einer Elektro-Modelloffensive ohnegleichen wollte Diess das Vorbild Tesla bereits 2025 als Weltmarktführer überholen. Selbst beim Golf soll die achte Generation (2022 eingeführt) die letzte mit Verbrennungsmotor sein. Schon ab 2030 soll jeder zweite VW-Neuwagen weltweit einen Elektromotor haben. Bis spätestens 2050 soll die VW- Konzernflotte und das gesamte Unternehmen CO2-neutral sein.

Auf dem Weg dorthin hat sich Volkswagen mit der „Accelerate-Strategie“ und dem darin enthaltenen ‚Way to Zero‘ klare Meilensteine gesetzt. Bis 2030 sollen 70 Prozent aller neuen Volkswagen in Europa rein elektrisch fahren. Und für die europäischen Märkte wird VW laut Markenchef Thomas Schäfer schon 2033 die letzten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor produzieren. Nur in den USA und China soll es noch etwas länger gehen. Ab 2030 sollte bei VW kein neuer Verbrenner mehr entwickelt, ab 2033 keiner mehr gebaut werden. So der Diess-Zeitplan.

Heute wird klar, dass hier Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Wegen der Bedeutung von China für den VW-Konzern soll dies hier etwas genauer beleuchtet werden:

Nicht nur Tesla sondern völlig überraschend auch die chinesischen Elektroautobauer BYD (Build Your Dreams), Nio und andere versetzen Diess-Nachfolger Oliver Blume in Angst und Schrecken. Vor allem der wichtige China-Markt droht zunehmend an chinesische Elektrobauer verloren zu gehen. Selbst Tesla, bis 2022 in China Klassenbester, kämpft dort mit exorbitanten Rabatten um seien Marktstellung.

Die globalen Absatzzahlen 2022 sprechen eine klare Sprache:

 Statt Tesla 2025 zu überholen hat VW 2022 nur die Hälfte des Tesla-Absatzes erreicht, und der Abstand vergrößerte sich. Im Gesamtjahr 2022 lieferte Tesla mehr als 1,3 Millionen Elektroautos aus, der chinesische Newcomer BYD überraschte mit einer noch nie dagewesenen Wachstumsrate von 184 Prozent und verdreifachte seinen BEV-Absatz auf rund 910.000 Stück. BYD verringerte auf einen Schlag den Abstand zu Tesla auf 35 vH, während er sich bei VW mit 570.000 Elektroauto-Verkäufen sogar um 54 vH vergrößerte.

Damit hat BYD den Volkswagen-Konzern (einschließlich Audi, Skoda, Cupra, Porsche, VW-Nutzfahrzeuge, aber ohne MAN) 2022 überholt und steht nun auf Platz zwei hinter Tesla. In der Weltrangliste der meistverkauften Elektroautos 2022 rangiert Tesla mit dem Model Y (747.100; + 91 Prozent) ganz vorne, gefolgt von seinem Model 3 (482.200) und chinesischen Marken, während VW mit dem ID.4 auf Platz 6 abgerutscht ist. Der ID.4-Absatz stieg um 53 Prozent auf 175.600 Einheiten, von denen 47 Prozent in China (mit Hongkong und Taiwan), 39 Prozent in Europa und 13 Prozent in den USA und Kanada verkauft wurden. In Europa blieb der VW ID.4 im vergangenen Jahr das beliebteste Elektroauto. Aber wie lange noch? 

Für den Volkswagen-Konzern dürfte es im Jahr 2023 zwar besser laufen, aber es ist kaum zu erwarten, dass die Verkäufe auf über 900.000 steigen und damit an Tesla und BYD annähernd heranreichen – das wäre für VW ein Anstieg um 75 Prozent. 

In Summe konnte VW im ersten Quartal 2023 zwar 97.100 vollelektrische Fahrzeuge ausliefern (+ 49 Prozent). Aber auch Tesla hat im 1. Quartal des Jahres 2023 seinen Absatz mit 422.900 Fahrzeugen um 39 Prozent gesteigert und damit einen neuen Rekord bei der Anzahl ausgelieferter Fahrzeuge aufgestellt ( 4. Quartal 2022 : 405.000; + 4 Prozent). 

Behält Tesla dieses Wachstumstempo bei, kommt Musk seinen für 2023 angepeilten 2 Millionen Elektroautos mit insgesamt nur vier Modellen (Model S, Model X, Model 3 und Model Y) zwar nahe, erreichen wird er das Ziel aber nicht. 

Kein Trost für VW-Chef Oliver Blume. Der Konzern wird absehbar 2023 weniger E-Autos verkaufen als Tesla im Jahr 2021 und BYD im Jahr 2022. Zwar blieb der VW-Gesamtabsatz mit 1.19 Millionen Fahrzeugen im ersten Quartal 2023 mit einem Zuwachs von „nur“ 30 Prozent gegenüber Vorjahr hinter der Zuwachsrate beim Elektroabsatz mit + 49 Prozent zurück, der Anteil der Elektroautos am Verkauf lag dabei aber nach wie vor unter 10 vH (8,2 vH). 

Mit anderen Worten: Volkswagen wird in den nächsten Jahren wohl kaum der größte Elektroauto-Hersteller werden und Tesla überholen, wie vor ein paar Jahren zu hören war. Und so schnell wird er auch vom Verbrenner nicht loskommen, es sei denn, man schrumpft freiwillig. Diese Erkenntnis dürfte in Wolfsburg intern für eine deutliche Dämpfung der Elektro-Euphorie gesorgt haben: Ohne Verbrenner geht es eben nicht. Ohne Verbrenner gerät der VW Konzern ins Trudeln.

Die Konsequenzen folgten auf den Fuß: Diess wurde entlassen, eFuel Fan Oliver Blume als Nachfolger eingesetzt, Baupläne eingestampft, Krisenpläne aufgesetzt. Denn zwischenzeitlich drohte VW in China  in Ermangelung wettbewerbsfähiger  kleinerer Elektroautos in den unteren Marktsegmenten, die zu 90 Prozent fest in chinesischer Hand ein Desaster, mit der Folge, auch seine führende Marktposition am Gesamtmarkt an chinesische Hersteller zu verlieren.

Bei Konzerntochter Audi wiederholte sich die Entwicklung. Dem Verbrenner-Aus schloss sich Diess Gefolgsmann  Markus Duesmann, einst von BMW kommend,  nahtlos an. Obwohl Audi-Chef Duesmann seit Beginn seiner Automobil-Kariere ein begeisterter Entwickler von Verbrennermotoren war – und 2022 trotz Verbrenner-Ausstiegs sogar den Formel 1-Einstieg ab 2026 beschloss, weil dann ie Motoren mit eFuels betrieben würden – legte er im März 2021 eine Vollbremsung bei Verbrennermotoren hin. 

Gegenüber der FAZ  verkündete der Audi-Chef: „Wir entwickeln keine Verbrenner mehr“. Derzeit sind mehr als 90 Prozent der aktuell verkauften Autos Verbrenner, aber die Zukunft fährt elektrisch, so Duesmann. „Wir werden keinen neuen Verbrennungsmotor mehr entwickeln, sondern unsere bestehenden Verbrennungsmotoren an neue Emissionsrichtlinien anpassen.“  Deutlicher kann man das „Aus“ für Benziner und Diesel nicht formulieren. 

Nach 2026 wird Audi die Entwicklung neuer Verbrennermotoren eingestellen. Das ist machbar, weil dann die neuste und letzte Verbrennermotoren-Generation als Hybride eingeführt sein wird.  

Als ob Duesmann diese Audi-Exit-Strategie noch weiter untermauern wollte, sorgte er vor kurzem für weitere Schlagzeilen, als Audi pressewirksam sogar die Annahme neuer Aufträge für Sechs-Zylinder Motoren verweigerte, und die Kunden entweder auf kleinere Vier-Zylinder Modelle oder auf hochpreisige Elektroautos des Unternehmens verwies. Sehr zum Unmut der Audi-Händler, aber sehr zur Freude der Premium-Wettbewerber aus München und Stuttgart ,die nicht davor zurückschrecken, auch wechselnde Audi-Kunden zu bedienen.

Branchen-Insider wittern sogar eine Art von quiet quitting Duesmanns, da Audi sich der E-Mobilität wegen Premium Verbrenner-Absatz entgehen lässt und dafür die Kunden auf Premium Elektroautos verweist, die ber monatelange Lieferzeiten haben. Und auch weil bei Konzern Chefs nicht genutzte Gewinnchancen nicht gerne gesehen sind, es sei denn, man verkauft billige Autos weniger, weil statt dessen teurere mehr verkauft werden können.  

Das ist aber bei Audi nicht der Fall. Denn inzwischen vermeldet der Ingolstädter Autobauer als Einziger in der Autobranche noch Kurzarbeit wegen fehlender Teile, obwohl der Bau von Verbrennerautos mit 4000 Speicherchips mit einem Drittel weniger Chips auskommt als der vergleichbare Bau von Elektroautos. Offensichtlich soll bei Audi das Verbrennergeschäft heruntergefahren werden, oder es wurden für die Produktion von Verbrennerautos zu wenig Teile bestellt. Die Audi interne Hotline teilt dazu nur lapidar mit: „Um auf diese Situation reagieren zu können und die Beschäftigung langfristig zu sichern, hat Audi in Abstimmung mit dem Betriebsrat auch die Kurzarbeit für einige Bereiche am Standort Ingolstadt bis zum 31. Mai 2023 verlängert. Betroffen sind insbesondere Bereiche im Umfeld der Fahrzeugproduktion.“

Ex- Porsche Chef und Diess-Nachfolger im VW-Vorsitz Oliver Blume hat bislang entgegen vielen Erwartungen nach außen hin unverändert an der Verbrenner-Ausstiegsstrategie seines Vorgängers festhält, den Termin für das endgültige Aus aber inhaltlich wie zeitlich etwas schwammig weiter nach hinten geschoben. Gleichzeitig lässt er allerdings in Chile eine Pilot-Fabrik zur Herstellung von eFuels für seine reinrassigen Verbrenner-High-Speed Porsches hochziehen.

Noch radikaler Ola Källenius, CEO von Mercedes Benz, dem Konzern, in dem der Verbrennermotor vor hundert Jahren geboren und bis zur heutigen Perfektion weiterentwickelt wurde. In einem Interview mit der FAZ erklärte er: „Ab 2025 richten wir unsere neuen Fahrzeugarchitekturen allein für den Elektroantrieb aus.“ Er finde Technologieoffenheit zwar gut, verfolge für seinen Konzern aber „eine Strategie, die klar auf den Elektroantrieb setzt“. Diese Strategie will er wegen der Brüsseler Beschlüsse für synthetische Kraftstoffen („eFuels“) nicht grundsätzlich ändern. „…. längerfristig sehen wir die Zukunft nicht in E-Fuels, sondern im Elektroantrieb, darauf konzentrieren wir uns.“ Bis 2026 werde Mercedes die Investitionen in den Verbrennungsmotor um etwa 80 Prozent  senken. Bis Anfang des nächsten Jahrzehnts werde Mercedes noch Elektro und Verbrenner parallel anbieten, danach soll es kein Mercedes-Verbrenner mehr geben.

Allerdings: In China arbeite das Unternehmen zusammen mit dem Großaktionär Geely weiter an neuen Verbrennungsmotoren, das sei aber die letzte Generation, sagte Källenius. Sie seien ausschließlich für teilelektrische Fahrzeuge vorgesehen, d.h. also für Plug-In-Hybrid Autos (PHEV) mit dualem Antrieb.

Källenius glaubte, dass im Luxus-Segment, „das die Heimat von Mercedes ist“, der Wechsel zum Elektroantrieb schneller kommen wird als im Gesamtmarkt. Vermutlich, weil in diesem Hochpreis- und Hoch-Einkommens-Luxus-Segment die potentiellen Daimler-Kunden alle über ausreichend Lademöglichkeiten (und einen Reserve-Verbrenner) verfügen. 

Ola Källenius glaubt fest daran, dass der Wechsel zum Elektroauto insgesamt schneller als erwartet kommt. Einem Handelsblatt-Interview  zufolge könnte die Stuttgarter Traditionsmarke deutlich früher verbrennerfrei werden als ursprünglich geplant. Nicht erst 2039, sondern eventuell schon bis zu acht Jahre früher könnte Mercedes laut Källenius den Umstieg vollzogen haben.

So groß die Dynamik bei Daimler (und den anderen deutschen Herstellern) 2022 beim BEV Absatz auch war, die verkauften Stückzahlen blieben gering. Mercedes-Benz verkaufte vergangenes Jahr 2,04 Millionen Autos, 1 Prozent weniger als in 2021. Bei den E-Autos konnte Mercedes seine Verkäufe im vergangenen Jahr zwar auf rund 118.000 verdoppeln (Memo: Tesla 1,31 Mio.). Selbst einschließlich der 184.000 Plug-In-Hybride (PHEV), lag der Anteil von elektrischen Autos am Daimler-Gesamtabsatz lediglich bei 14,3 vH. 

Experten rätseln, ob der Daimler-Chef sehenden Auges den automobilen Leuchtturm-Konzern selbst demontiert und im Endeffekt in die Arme der chinesischen Großaktionäre treibt, die sich nur allzu gerne die Krone im Welt-Automobilbau aufsetzen würden. Memo: Landesvater Winfried Kretschmann hat schon prophylaktisch eine Übernahme des Autokonzerns außer Landes verboten.  

Elektroautos machten zu Jahresbeginn 2023 weniger als ein Zehntel der gesamten Mercedes -Auslieferungen an Endkunden aus, der BEV-Anteil ist noch niedriger. Der Verbrenner erwies sich in Deutschland als dominant. Kritisch ist für die Daimler Elektro-Strategen vor allem der BEV-Absatz in China. Im weltgrößten Automarkt konnte Mercedes in 2022 lediglich 14.000 Elektroautos absetzen (China Gesamtmarkt 6,2 Millionen BEV+PHEV). 

In der Zwischenzeit ist am chinesischen Automarkt eine heftige Preisschlacht erst bei Elektroautos, dann auch bei Verbrennern ausgebrochen. Für seine Spitzenlimousinen EQS und EQE musste der Konzern die Preise um umgerechnet bis zu 32.000 Euro reduzieren, um Käufer zu finden. Sehr zum Unwillen der Aktionäre, die durch die Preissenkungen alarmiert sind und befürchteten, dass der  Imageverlust auch auf die tragenden Säule des Verbrennergeschäft ausstrahlen könnte. „Preisreduzierungen passen nicht ins Luxussegment und beschädigen die Marke… Den Luxus, Preissenkungen vorzunehmen, darf sich Mercedes nicht noch einmal erlauben“ (Handelsblatt). 

Sieht man von BMW ab, die von Beginn des E-Zeitalters an immer für Technologieoffenheit plädierten, sind die Stimmen der Ausstiegsfixierer leiser geworden. Alle, die mit bestimmten Jahresangaben für das Verbrenner-Aus in ihren Unternehmen für öffentliche Aufmerksamkeit  gesorgt hatten, haben unausgesprochen den Termin in die Zukunft vertagt.

Oder, um im Bild zu bleiben: Die als Jahres-Tiger gesprungen sind, sind als Jahrzehnte-Kätzchen gelandet. Will sagen: Alle deutschen Hersteller bleiben zwar grundsätzlich bei der Strategie, dass Batterie-Elektromobilität langfristig die einzige richtige Lösung für einen umweltfreundlichen und fossilfreien Autoverkehr ist, sehen also in der Elektromobilität grundsätzlich die Zukunft des Automobilgeschäfts. Das heißt, irgendwann wird es bei keinem Hersteller neue Plattformen mehr geben, die ausschließlich für Verbrenner konzipiert sind. 

Dafür gibt es gute Gründe: 

Zum einen haben alle Hersteller mit früher festen Ausstiegsterminen aus der Verbrennertechnik ihre Verbrenner-Plattformen und/oder Motorenpaletten komplett erneuert oder auf den bestehenden Verbrenner-Plattformen auf den neuesten technischen Stand gebracht. 

So wird bei Daimler die kürzlich vorgestellte neue E-Klasse (intern W214) das letzte Modell der Marke sein, die auf einer nicht speziell für Elektroantrieb konzipierten Plattform steht. Entsprechend lang wird die Laufzeit dieser Modellreihen sein, wegen der erwarteten hohen Nachfrage nach Benzinern  und Dieselautos wird weit über 2030 hinaus reichen. „Die E-Klasse muss lange durchhalten“ (Automobilwoche). Das dürfte nicht schwer fallen, denn laut Entwicklungschef Markus Schäfer: „Die neue E-Klasse verbindet Digitalisierung und Intelligenz“.  Wo und bei wem ließ er offen. Positiv für die Belegschaft ist in jedem Fall, dass die globale Nachfrage nach der E-Klasse auch in Zukunft – Ausnahme lokale Produktion in China mit Der E-Klasse Langversion – komplett aus dem Sindelfingen heraus versorgt wird. Da, anders als bei  den Audi Sechs-Zylinder Modellen, bei Daimler von einer Verweigerung der Auftragsannahme nichts bekannt geworden ist, dürfte die Kundschaft in Deutschland auch noch in den dreißiger Jahren munter mit E-Klasse Autos versorgt werden. Obwohl Ole Källenius dann bei Neuwagen nur noch in Elektroautos unterwegs sein wollte

In den Vorstandsetagen der Hersteller ist Ernüchterung eingekehrt. Sicherheitsdenken statt Euphorie.

Insgesamt zeichnet sich ab, dass die Hersteller den totalen Rückzug vom Verbrenner korrigieren und dies Korrektur zur Imagewahrung zu überdecken versuchen. Dazu zwei Beispiele von Audi und Daimler, die sich zuvor am weitesten bzgl. Verbrenner-Aus „aus dem Fenster gelehnt“ haben. 

In einem Interview (Welt am Sonntag) erklärte Audi Chef Duesmann überraschend, erst ab 2033 keinen Verbrenner mehr anzubieten und völlig aus der Verbrennertechnologie aussteigen zu wollen. Dass aber gleichzeitig eFuels – und damit unausgesprochen auch noch die Verbrennermotoren – in Zukunft  eine wichtige Rolle spielen werden, sowohl zur Rechtfertigung des Audi Eintritts in die  Formel 1 als auch, um die globale Bestandsflotte von 1,6 Milliarden Verbrennerautos möglichst schnell CO2-neutral und damit klimafreundlicher zu betreiben. 

Auch Mercedes wird länger am Verbrenner festhalten als ursprünglich angenommen. Ein Indiz dafür ist, dass der Konzern seinen V8-Motor M176 noch einmal modernisiert. In China und den USA ist zudem anders als in Europa kein regulatives Verkaufsverbot für Diesel und Benziner geplant. Wettbewerber BMW plante ohnehin in diesen wichtigen Regionen noch lange sein traditionelles Geschäft mit den Geländewagen der X-Reihe bis weit ins kommende Jahrzehnt auch mit Benzin- und Dieselmotor fortzuführen. Källenius nähert sich nun der Zipse-Linie ein Stück weit an und verschaffe sich mit der Verschiebung des Zwischenziels beim Elektrohochlauf  mehr Spielraum. Unternehmenskreisen.

Ob ausländische Hersteller ihre Verbrenner-Aus Pläne für Europa nach den Brüsseler eFuel Zugeständnis überarbeiten, ist nicht bekannt. Alle planen eine massive Elektrifizierung,

Bis dato will

in Europa nur noch rein elektrisch fahren. 

Alle Autohersteller mit festen Ausstiegsterminen aus der Verbrennertechnologie überarbeiten angesichts der veränderten Rahmen- und Marktbedingungen bei Elektroautos ihre Invest- und Marktpläne. Und versuchen das PR-mäßig zu überspielen. Denn alle Aussteiger wollen Verbrennerautos in China weiterbauen. Und sicherlich auch in Deutschland, wenn die Kunden mit eFuels im Tank weiter nach neuen Verbrennern Schlange stehen.

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