Tichys Einblick
Streckenchaos auf der Schiene

Auf den Bahnhöfen gedenken die Leute der Kanzlerin Angela Merkel

Gleich zwei große Sanierungen hat die Deutsche Bahn in einer Woche begonnen: Köln–Frankfurt und Frankfurt–Mannheim. Damit ist für Chaos im Verkehr gesorgt. Zeit für die Bürger, ihrer alten Kanzlerin zu gedenken.

Hauptbahnhof Frankfurt am Main

picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann

Angela Merkel (CDU) wird an diesem Mittwoch 70 Jahre alt. Im ganzen Land kommen die Leute zu Tausenden zusammen und gedenken der Politik der ersten deutschen Bundeskanzlerin. Also eigentlich warten sie auf den Zug. Der fährt Verspätungen von 30 Minuten ein, von einer ganzen Stunde, noch mehr oder er fällt gleich ganz aus. Aber auf einem Bahnsteig zu stehen und vergeblich auf den Zug zu warten, heißt auch der Politik Angela Merkels zu gedenken. Denn es wäre unfair, die Kanzlerin nur danach zu bewerten, dass sie die Steuerlast und die Sozialausgaben mit der unkontrollierten Zuwanderung in die Höhe getrieben hat – die Vernachlässigung der Investitionen in Straßen, Netzempfang und Schienen sollten ebenfalls in keiner Bilanz über Merkel fehlen.

Die Ampel hat fürs nächste Jahr die Ausgaben für Schienen um 5,5 Milliarden Euro erhöht. Die Kritik, das sei immer noch zu wenig, ist durchaus berechtigt, sollte aber nicht einzeln stehen. Es war Angela Merkel, die den Etat für den Schienenausbau permanent runtergefahren und damit dafür gesorgt hat, dass in 16 Jahren Kanzlerinnenschaft das Netz verkommen ist.

An den Neubau von Strecken ist derzeit nicht zu denken. Auch wenn der nötig wäre, um das politische Ziel zu erreichen, Güter- und Personenverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Allein bis 2031 werde die Bundesregierung brauchen, um das vorhandene Netz zu reparieren, kündigt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) an. Ob sich die Terminplanung halten lässt, ist angesichts der Verzögerungen bei Stuttgart 21 oder dem Berliner Flughafen ernsthaft zu bezweifeln.

Gleich mit zwei Sanierungsprojekten auf einen Schlag hat die Bahn diese Woche begonnen: Die Strecke Frankfurt–Mannheim fällt daher planmäßig fünf Monate aus, die Strecke Frankfurt–Köln für vier Wochen. Busse fahren die Bahnhöfe an, die für diese Zeit vom Netz abgeschnitten sind. Auf den verbleibenden Strecken müssen die Fahrgäste laut Bahn mit Verzögerungen von etwa 40 Minuten rechnen. Zusätzlich zu den Verspätungen, die die Bahn wegen all der Oberleitungsschäden, ausgefallenen Züge, Weichenschäden, ausgefallenem Personal und so weiter ohnehin einfährt.

Ein Grund für die Verspätungen – die zusätzlichen wie die tagtäglichen – ist laut dem Dachverband der Verkehrsbetriebe, dem VDV, die unter Merkel ausgebliebene Elektrifizierung der Strecken. Diese erschwert eine digitale Steuerung des Verkehrs um die Baustellen herum. „Diese Lücken müssen umgehend angegangen werden, um die ökonomischen und ökologischen Folgen der Vollsperrungen für die Eisenbahnverkehrsunternehmen zu mindern und einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen“, fordert VDV-Präsident Ingo Wortmann. Denn die Baustellen um Frankfurt sind erst der Beginn. Nächstes Jahr fällt die Strecke Berlin–Hamburg planmäßig ein halbes Jahr aus. Insgesamt fallen bis 2031 rund 30 Strecken aus.

Auch die Ampel ist das Sanierungsthema nur zögerlich angegangen, wie das Bündnis „Allianz pro Schiene“ vorrechnet. Im vergangenen Jahr habe die Regierung den Etat nur so gering erhöht, dass das zusätzliche Geld nicht mal gereicht hat, um die zusätzlichen Kosten in Folge der hohen Inflation auszugleichen. Erst die Erhöhung in diesem Jahr führe zu einer „spürbaren Verbesserung“.

115 Euro pro Kopf hat der Bund laut Allianz im vergangenen Jahr für die Schiene ausgegeben. Das ist zwar besser als Italien (92 Euro) oder Frankreich (51 Euro) – aber deutlich schlechter als die Schweiz (477 Euro) oder Österreich (336 Euro). Selbst Großbritannien hat mit 215 Euro deutlich mehr ausgegeben als Deutschland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Angela Merkel schon pflichtschuldig für ihre Politik gelobt. Schön, wenn sich ein ehemaliger Außenminister und seine Kanzlerin ihre Erinnerungen schönreden und so tun können, als ob das Annähern an den Iran und an Wladimir Putin doch irgendwie richtig gewesen sei. Oder halt das mit den maroden Straßen und Schienen gar nicht so schlimm. Das geht, solange einen genug Sicherheitskräfte vom Volk abschirmen. Auf den deutschen Bahnhöfen bekämen Steinmeier und Merkel dieser Tage nicht viel Anerkennung für ihre Arbeit. Auch wenn ihrer dort gedacht wird. Nur halt nicht im Guten.

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