Zu den bekannten deutschen Redensarten gehört auch der Spruch von Wilhelm Busch: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“ Und Altmeister Busch setzt noch einen drauf: „Aber hier wie überhaupt, kommt es anders, als man glaubt“.
Diese Erkenntnisse sollten am Beginn jeder Sitzung in den Vorstandsetagen deutscher Autohersteller laut vorgetragen werden; zumindest dann, wenn es um die künftige Antriebsstrategie geht. Denn sie spiegeln die Wirklichkeit dessen, was sich seit 2024 auf dem chinesischen Automobilmarkt und unter den chinesischen Autoherstellern abspielt.
Es geht um drei Entwicklungen auf dem chinesischen Automobilmarkt, die jüngst in Deutschland für irreführende Schlagzeilen sorgten, die aber für die Zukunft der deutschen Autobauer von großer Bedeutung sind: Der innerchinesische Preiskampf, das Wachstum des chinesischen „E-Auto“-Marktes, und schließlich die angebliche Überflügelung Teslas seitens des chinesischen Herstellers BYD.
Kurz: Es geht hier um falsche Zuordnung von sogenannten Elektroautos, die in Wirklichkeit Verbrenner sind und damit – bewusst oder unbewusst, in jedem Fall leichtfertig – in Politik und Öffentlichkeit falsche Vorstellungen über das Vordringen von Batterie-Elektroautos (BEV) zu Lasten der herkömmlichen Verbrenner vortäuschen. Von bejubelten CO2-Verringerungen im Betrieb ganz zu schweigen.
In China selbst stellt sich das Problem der unterschiedlichen Antriebe nicht, da es dort – anders als in Deutschland – keine nationale Verbrenner-Autoindustrie mit gewachsener Tradition gibt. Für die erste Automobilitätswelle ab Ende der 80er nutzte man ausländisches Verbrenner-Knowhow, vor allem von VW, die zweite Mobilitätswelle wurde ab Mitte 2000 gezielt über Batterie-Elektroautos und den dazu notwendigen Aufbau einer eigenen nationalen Autoindustrie regierungsamtlich vorangetrieben.
Gestützt auf massive Förderung durch die chinesische Regierung hat China in wenigen Jahren gezielt eine eigene Autoindustrie ausschließlich mit Batterie-Elektroautos aus dem Boden gestampft. Einschließlich der dazu notwendigen Batteriefabriken und entsprechendem Knowhow. Mit der Folge, dass China heute in der Speicherbatterie- und Elektroauto-Technologie weltweit führend ist, und alle westlichen Autohersteller bei Speicherbatterien von chinesischen Produzenten wie etwa CATL, sowie von chinesischen Rohstofflieferungen, zum Beispiel Lithium, abhängen. Alle Versuche der Europäer, hier nachzuziehen, sind kläglich gescheitert, so beispielsweise VW und die schwedische Northvolt, die in Dithmarschen eine Gigafactory zur Produktion von Lithium-Ionen-Akkumulatoren geplant hatten. Aus Euphorie wurde Katzenjammer – Northvolt ging kurz nach Grundsteinlegung pleite.
Die deutschen Hersteller leiden allerdings indirekt ebenfalls unter dem Preiskampf in den unteren Segmenten, weil der Preisabstand zu ihrem Premium-Angebot zu groß zu werden droht, und die bisherigen chinesischen Premium-Käufer zunehmend zu vergleichbaren aber billigeren Chinesen-Fabrikaten überwechseln. Und plötzlich auch weniger Luxus-Verbrenner kaufen, vor allem weniger Porsches. GM, Ford und Stellantis erlebten teilweise Verkaufsdebakel im Jahr 2024 und erwägen den finalen Rückzug vom chinesischen Markt.
Was den Vormarsch des E-Autos betrifft, so hat China 2024 als erster Automarkt dank Elektroautos die historische Marke von 30 Millionen Neuzulassungen überschritten – zehnmal mehr als in Deutschland jährlich verkauft werden und doppelt so viele wie in den Vereinigten Staaten. 2023 waren es noch 26,06 Millionen. Mehr als ein Drittel des jährlichen Pkw-Weltabsatzes finden jetzt in China statt.
BYD war Marktführer. Anders als Pressemeldungen vermuten lassen könnten, wird das Marktwachstum in China aber nicht von Elektroautos (BEV) angetrieben, sondern vor allem von PHEV: Von den insgesamt rund 12 Millionen New Electric Vehicles, die 2024 in China produziert wurden, entfallen eine wachsende Anzahl auf Plug-in-Hybride. Genauere statistische Daten liegen wegen der unübersichtlichen Anzahl von Herstellern nicht vor. Indikativ mag daher die Entwicklung bei BYD sein: Der Anteil von batterieelektrischen Fahrzeugen an der Gesamtproduktion des Unternehmens sank sogar von 52 Prozent im Jahr 2023 auf 42 Prozent im Jahr 2024. Tendenz weiter rückläufig.
Schlagzeilen, die den Vormarsch des E-Autos in China bejubeln, beruhen also auf ungenauen Begrifflichkeiten und sind letztlich irreführend: Anders als von ideologisch eingefärbten Medien suggeriert, rührt der historische Verkaufsrekord in China nicht einfach unterschiedlos von „E-Autos“ her, sondern vor allem von Verbrennern und Hybridautos. 2023 wurden in China 26,06 Millionen Autos verkauft, davon nur 6,3 Millionen „klassische“ Batterie-Elektro-Autos.
Der chinesische Auto-Hersteller BYD hat sich innerhalb von 4 Jahren extremer Expansion zum größten Autobauer von elektrifizierten Autos (New Electric Vehicles) aufgeschwungen. Der Hersteller ist in China bekannt für seine erschwinglichen Autos wie das 10.000 US-Dollar teure Seagull Hatchback. Im Dezember 2024 verkaufte BYD fast 510.000 Elektro- und Hybridfahrzeuge – ein Monatsrekord. Das entspricht rund einem Viertel der Jahresproduktion von BMW und Daimler.
BYD und Tesla haben sich auch 2024 ein hartes Rennen um den inoffiziellen Titel des größten globalen Elektroauto-Herstellers geliefert. Tesla hat nach jüngsten Zahlen knapp gewonnen, und verkaufte 2024 weltweit rund 24.000 Modelle mehr als die Chinesen. Dennoch behaupten Schlagzeilen das Gegenteil, und zwar wiederum aufgrund begrifflicher Missverständnisse: BYD hat 2024 zwar 4 Millionen New Electronic Vehicles verkauft, und dabei Tesla um 100 Prozent überrundet. Aber anders als in der Öffentlichkeit verbreitet, eben nicht mit Elektroautos (BEV), sondern mit Verbrennerautos (Plug-In-Hybride).
Doch obwohl die Schlagzeilen derzeit noch täuschen, darf man nicht darüber hinwegsehen, dass 2024 der Absatz bei Tesla gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Prozent schrumpfte; bei BYD nahm die Produktion auch seiner Batterie-Elektroautos BEV hingegen rasant um 12,1 Prozent zu.
BYD ist im Ranking der zehn größten Autokonzerne der Welt in 2024 sprunghaft von Platz 11 (2023) auf schätzungsweise Platz 7 vorgerückt, vor Ford, Honda und Nissan. Die Premium-Hersteller BMW und Daimler spielen im Ranking keine Rolle.
Also: Ja, Tesla wurde 2024 von dem chinesischen Newcomer BYD bei Elektroautos (NEV)von der Weltspitze verdrängt – aber (noch) mit Verbrenner-Modellen.
Die Wettbewerbslage für deutsche Autobauer hat sich damit strategisch grundlegend gewandelt: Tesla und hochpreisige BEV verlieren global Marktanteile, schrumpfen sogar und bleiben Nische. BYD und billige BEV bleiben in China Hauptmarkt, werden im Westen zur Nische, BYD und PHEV werden im Westen wie in China Hauptmarkt.
Bislang verkaufte BYD 90 Prozent seiner Produktion in China, das soll sich ab 2025 nachhaltig ändern. Neue Fabriken in Ungarn, der Türkei und in Brasilien sind im Bau. Produzieren will BYD dort vor allem Plug-In-Hybride. Angesichts der überaus erfolgreichen Hybridisierungsstrategie, nicht nur bei BYD, sondern zum Beispiel auch bei Toyota, keimt bei Experten ein zartes Unverständnis auf, weshalb die Weiterentwicklung von Verbrennen von der deutschen Autoindustrie, vor allem von VW, fast eingestellt oder wie von Daimler nach China verlagert wird. Und wieso am EU-weiten Verbrennerverbot ab 2035 festgehalten wird. Vor diesem Hintergrund verfolgen BYD und Toyota mit ihrer Hybridisierungs-Strategie den richtigen Weg. Die deutschen Hersteller müssen nachjustieren und eine Veränderung der Strategie in Erwägung ziehen, und die EU muss überhaupt anfangen, neu zu denken.