Es ist zum Piepen. Die Lärmverordnung für neue Automobile im Amtsblatt der Europäischen Union beschreibt auf 65 Seiten bis ins kleinste Detail, dass Elektroautos keine kaum hörbaren Schleicher mehr sein dürfen. Im Gegenteil. Elektroautos, die seit Juli 2019 von Amts wegen typgeprüft sind, also eine ab diesem Datum gültige Allgemeine Betriebserlaubnis besitzen, müssen Geräusche von sich geben.
Dazu reicht es nicht, dass die Reifen beim Abrollen sowieso hörbar surren. Seit Juli gilt, dass am Bug jeden Automobils, das, wie sich die EU-Bürokraten ausdrücken, „elektrisch beschleunigen kann“, ein Lautsprecher angebracht sein muss, der bei niedriger Geschwindigkeit (bis 20 km/) Warntöne ausstrahlt. Dabei handelt es sich um das Acoustic Vehicle Alerting System (abgekürzt AVAS) zum Schutz der Fußgänger. Hintergrund der Regelung: Der EU-Gesetzgeber will sehbehinderte und blinde Menschen schützen, weil die sich aufs Gehör verlassen müssen. Experten befürchten nun jedoch eine Kakophonie aus Designersounds von „sportlich“ bis „luxuriös“. Wie immer das klingen mag.
Die Angelegenheit ist nicht ohne Haken. Denn auch moderne Diesel und Benziner sind sehr leise, wenn sie im Schritttempo durch die City rollen. Und bei vielen Modellen ist es obendrein auch so, dass ihre erweiterten Start-Stopp-Systeme die Motoren unterhalb von 20 km/h abschalten und sie weitgehend lautlos dahin schleichen. Trotzdem sind sie von dieser Lärmregelung ausgenommen.
Wer solch ein leises Auto fährt, hat möglicherweise schon mal die Erfahrung gemacht, dass es in Spielstraßen oder an Zebrastreifen von Kindern oder Erwachsenen nicht wahrgenommen wird. Tests aus dem Jahr 2011 des Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen belegen, dass solch eine Regelung ziemlich heikel ist, wie heise-online berichtet. Damals wurde mit 240 Teilnehmern im Alter von fünf bis 95 Jahren geprüft, ob, wann und wie sie batterieelektrische Autos sowie solche mit Benzin- oder Dieselmotor hören können.
14 Prozent der Probanden waren schwerhörig und 35 waren sehbehindert oder blind. Das ernüchternde Ergebnis: Deutlich messbare Unterschiede im Lärmpegel der Testwagen waren nur bei Vollgas- und Hochdrehzahlfahrten feststellbar. In anderen Situationen gab es weitgehend Gleichstand zwischen den Antriebsarten. Auch die subjektiven Wahrnehmungen der Teilnehmer waren zwischen einem baugleichen Auto, das einmal mit Verbrennungsmotor und einmal mit Elektromotor verfügbar war, wie etwa der VW e-Golf, weitgehend deckungsgleich. „Die Messungen zeigen, dass es wenig Sinn macht, Elektroautos mit künstlichen Geräuschen auszustatten und neue Benziner nicht“, fasste Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR damals zusammen. „Wenn schon, müssten beide Fahrzeugkategorien mit per Software erzeugtem Lärm verändert werden. Die bisherigen Beobachtungen im Straßenverkehr haben aber kein gestiegenes Unfallverhalten bei modernen Benzinern gezeigt.“ Wenn man konsequent wäre, so heißt es im Fazit der Studie, müssten sämtliche Pkw mit AVAS ausgerüstet sein.
Sicher ist nur, dass Volkswagen für den neuen Stromer ID.3 bereits einen Profi beschäftigt hat: Leslie Mandoki, der berühmte und bis heute langhaarige wie auch Seehundschnauzbart tragende Ex-Sänger der Pop-Gruppe „Dschingis-Khan“. Angeblich hat er dafür einen sonoren „sssswwww“-Ton zusammengemixt. Das Werk des Künstlers, von den VW-Marketingmenschen flugs „markenspezifisches Sounddesign“ getauft, wurde im Rahmen der Veranstaltung „Future Sounds“ im Drive Forum in Berlin vorgestellt. Elektroautos von Volkswagen können damit demnächst schon an ihrem Klang zu erkennen sein.