Der Diesel kaum verantwortlich für Luftschadstoffe in Stuttgart
Holger Douglas
Das tägliche Messmuster hat sich seit dem totalen Lockdown praktisch nicht geändert. Das war ähnlich wie im April, als der deutliche Verkehrsrückgang die Immissionen kaum beeindruckt hat. Minister Hermann hat inzwischen eingeräumt, dass es primär das Wetter wäre.
»Die Stadt hält erstmals den EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid ein«, so der Applaus der beiden Stuttgarter Zeitungen an die Corona-verunsicherten Bewohner der Landeshauptstadt. Die sollen wieder aufatmen können, doch ob sie wieder mit ihrem Diesel in die Stadt dürfen, ist offen.
Der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid liege am Stuttgarter Neckartor bei 39 µg/m3 Luft. Das ist ein µg/m3 unter dem Grenzwert von 40 µg/m3. Vor vier Jahren wurden hier noch 82 µg/m3 angegeben. »Das ist ein großer Erfolg eines konsequent umgesetzten Luftreinhaltepolitik«, wird der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann (Grüne) zitiert. Nicht mitgeteilt wurde, ob jetzt die Fahrverbote aufgehoben werden.
Die Einfahrt in den Großraum Stuttgart gleicht einer Irrfahrt durch einen Schilderwald: »Umwelt Zone«, »grüne Plakette frei«, »Diesel erst ab Euro 6/VI frei«, »außer Lieferverkehr« und ähnliche Drohungen prasseln auf den Autofahrer ein. Es sind nicht mehr wie in anderen Städten einzelne Straßenabschnitte gesperrt, sondern gleich der Großraum Stuttgart. Selbst nur wenige Jahre alte, moderne Dieselfahrzeuge dürfen nicht mehr in die Landeshauptstadt einfahren.
Die Stuttgarter Stadtluft retten und Tausende von Bürgern vor dem vorzeitigen Tod bewahren, wurde immer wieder als Motiv genannt. »Vorzeitiger Tod durch Diesel-Gift« und ähnlich lauteten die Sprüche. Heute stellt sich heraus: Die Daten rechtfertigen nicht solch schwerwiegende Eingriffe. Das »Corona-Großexperiment« zeigt deutlich, dass ein Fahrverbot für Diesel keine gravierenden Auswirkungen hat.
Der Verkehr floss am 14. und 15. Dezember überdurchschnittlich, ab dem 16. Dezember deutlich weniger als normal und lag am Samstag bei der Hälfte des Durchschnitts von normalen Wochentagen, der Sonntag war vernachlässigbar. Man sollte annehmen, wenn die Argumentation der Luftreinhaltepolitik zutrifft, dass sich das auf die Werte auswirkt, die die Luftmessstationen liefern. Sie müssten in den Diagrammen deutlich zu sehen sein. Dem ist aber nicht so.
Noch deutlicher war die Situation in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember, ein besonderer Fall des »Corona-Großexperiments«. Über die Feiertage war das Verkehrsaufkommen auf 10 Prozent der Tomtom-Skala gefallen, Industrietätigkeit und Schwerlastverkehr waren eingestellt. Bis zum Mittag des 25. Dezember hatte der Wind zwei Tage lang die Stadt von allen NO2-Resten des Verkehrs zuvor freigepustet. Dennoch stiegen plötzlich um 21 Uhr die Messwerte an den Verkehrsmessstationen und im städtischen Hintergrund bis zum nächsten Mittag auf NO2-Werte bis fast 40 µg/m³, Werte, die Hermanns Ministerium sonst dem Verkehr zurechnet. Weihnachten 2020 im Lockdown beweist, dass an dieser Rechnung etwas nicht stimmen kann.
Die Messstelle in der Stuttgarter Innenstadt am Neckartor meldeten bisher immer angeblich hohe Werte für Stickstoffdioxid (NO2). Die entsprechen übrigens dem NO2-Beitrag, den Kerzen eines Adventskranzes abgeben, wenn sie eine halbe Stunde brennen und danach ausgepustet werden. Das Institut für Meteorologie und Klimaforschung am KIT Karlsruhe hatte vor vier Jahren die Situation genauer unter ihre Lupe genommen und direkt am Messcontainer Werte für Stickstoffdioxid (NO2) von 78 µg/m3 gemessen. Doch das ist nur ein Wert an einem einzelnen Hot Spot, schon wenige Meter weiter entfernt haben die Forscher in einem Fahrradraum nur noch 28 µg/m3, auf dem Dach des Hauses 20 µg/m3 gemessen. In den vergangenen Tagen schwankten die Werte auch nur im Bereich zwischen 40 und 50 µg/m3.
LUBW
Der offizielle Grenzwert für den mittleren Jahreswert liegt bei 40 µg/m3. Die rote Linie markiert den Einstundenmittelwert von 200 µg/m3, der nur maximal 18 mal im Jahr überschritten werden darf. Die Kurve zeigt: weit davon entfernt. Das tägliche Muster hat sich ab dem totalen Lockdown praktisch nicht geändert. Das war ähnlich wie im April, als der deutliche Verkehrsrückgang die Immissionen kaum beeindruckt hat.
Der Diesel ist es also nicht. Minister Hermann hat inzwischen eingeräumt, dass es primär das Wetter wäre. Es ist auch unwahrscheinlich, dass diese Werte von Diesel-Fahrzeugen verursacht werden. Die Motorenentwickler haben ihre Hausaufgaben gemacht. Pkws, die meisten LKWs und moderne Dieselbusse sind »sauber« geworden. So kommt aus einem neuen Dieselfahrzeug nach der neuesten Euro 6d temp Norm aus dem Auspuff praktisch nichts mehr heraus. In Benzinmotoren reinigen seit langem 3-Wege-Katalysatoren die Abgase. Zu erwarten war also kein wesentlicher Effekt eines Dieselfahrverbotes.
So kam denn auch Maschinenbauprofessor Thomas Koch vom Institut für Kolbenmaschinen im Karlsruher Institut für Technologie KIT zu dem Ergebnis: »Technologisch ist die Stickoxidthematik in der Zwischenzeit gelöst!« Er verweist auf die bedeutenden Fortschritte in der Motorentechnik, die besser und sauberer werden. Je mehr sich modernen Dieselmotoren durchsetzen, desto besser wird die Luft. Koch in einem seiner Vorträge: »Nach Bestandsdurchdringung moderner Diesel ist die verkehrsbedingte Immissionsfragen gelöst.« Das zeigen auch die Diagramme des Umweltbundesamtes seit Jahren. Fahrverbote sind also überflüssig, richten dagegen erheblichen Schaden an. Dennoch wurde der Diesel verteufelt. Der grüne Verkehrsminister von Baden-Württemberg Winfried Hermann hat mit Fleiß Fahrverbote für den ganzen Großraum Stuttgart verhängt, seit Sommer dieses Jahres sogar für eine sogenannte »kleine Umweltzone« in der gesamten Innenstadt.
Seit dem 5. Oktober gilt nach einer Einführungsfrist seit dem 1. Juli ein Fahrverbot auch für neue Diesel, die nach der Euro-5 sauber gemacht wurden. Das begrenzt sich auf eine sogenannte »kleine Umweltzone« im Stuttgarter Talkessel. Grundlage für diese Fahrverbote sind nicht konkrete Messwerte, sondern Simulationen. Mit Computermodellrechnungen soll prognostiziert werden, wie dramatisch sich die Luftsituation entwickelt.
Doch die Ergebnisse aus diesen Zauberkugeln treffen offenbar nicht das, was die Messstationen nachweisen. Die sind mit einigem Geschick so aufgestellt worden, dass sie möglichst hohe Werte liefern. Ihre Lage direkt in einer Häuserecke sorgt dafür, dass sie nicht frei angeströmt werden, sondern Luftmassen sammeln sich wie in einem Trichter. So erhöht man durch die Aufstellung Messwerte.
In ihrer Verzweiflung nehmen die Stuttgarter offenbar Anleihe bei den Bewohnern Schildas. Die trugen bekanntlich Licht in Säcken in ihr Rathaus, bei dessen Bau sie die Fenster vergessen haben. Die Stuttgarter versuchen Ähnliches: Luft wegzutragen. Sie haben Filtersäulen aufgestellt, die die wenigen Schadstoffteilchen aus dem Heer an Luftmolekülen herausfiltern sollen. Die 3,60 Meter hohen Filtersäulen können immerhin für ein Geschäft bei dem Ludwigsburger Filterhersteller Mann und Hummel sorgen, dessen Autogeschäft arg gelitten hat. Ventilatoren saugen die Außenluft an, pressen sie durch Kunststofffiltermatten, die elektrostatisch aufgeladen sind und Aktivkohlelagen sollen Stickstoffdioxide binden. Die allerdings sind wasserlöslich und zerfallen nach einiger Zeit von selbst.
Mehr über den siegreichen Kampf gegen Stickstoffdioxide und manipulative Messungen im nächsten Teil.
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