„Stellt Euch vor, der Aufschwung in der Autoindustrie hat begonnen, und keiner hat´s bemerkt!“ In Analogie trifft dieses Brecht-Zitat auch auf die aktuelle Lage der deutschen Autoindustrie zu. Bis vor kurzem waren sämtliche Konjunkturindikatoren der Branche, wie Auftragseingänge, Neuzulassungen, Produktion, Export etc. im freien Fall nach unten, waren fast alle der 800.000 Beschäftigten in Kurzarbeit. Mit Einbrüchen im überlebenswichtigen Export wie bisher in der Nachkriegszeit noch nicht erlebt. Zwar gibt es inzwischen vereinzelt wieder positive Konjunktursignale, aber so recht an einen fulminanten Aufschwung glaubt niemand. Zu tief sitzt der Corona-Schock allen in den Knochen.
Doch so desolat wird die Lage nicht bleiben! Ökonomische Erfahrungen aus sechs Automobil-Zyklen gepaart mit den vermuteten Wirkungen von Mega-Konjunkturpaketen von Bundesregierung und EZB lassen ab Herbst ein völlig anderes Konjunkturbild erwarten. Der Aufschwung in der Branche läuft bereits. Doch der Reihe nach….
In den Geschichtsbüchern kann man nachlesen: Epidemien gab es immer schon, doch die Menschheit hat sie alle überlebt, wenn auch teils mit starken Blessuren; manchmal starb ein Drittel der Bevölkerung. Doch ähnlich wie es ein Leben nach Corona gibt, gibt es auch wieder bessere Zeiten in der Wirtschaft, vor allem in der gebeutelten Autoindustrie. Soviel ist grundsätzlich sicher. Unklar ist nur, wann der Aufschwung einsetzt und wie stark er ausfällt.
Auguren haben es immer schwer, diesmal aber besonders. Historische Anhaltspunkte aus der Vergangenheit für wissenschaftlich fundierte Prognosen gibt es nicht, alles ist neu, alles ist unsicher, sogar der Charakter des Sars-Covid-19 Virus selber. Keiner weiß so recht, wohin er sich entwickelt, ob und wann es einen Impfstoff o.Ä. geben wird, und wann das „normale“ Leben wieder einsetzt. Wie entwickelt sich die Wirtschaft nach der Lockerung?
Für eine seriöse Einschätzung gibt es zu viele unbekannte Parameter, so z.B. ob es zu dauerhaften Veränderungen im Verhalten der Menschen, hier vor allem der Autokäufer jeglicher Provenienz kommen wird. Die bislang vorliegenden ökonomischen Indikatoren sind noch nicht valide, sind zu spärlich.
Mit anderen Worten: Auguren und Prognostiker tappen ziemlich im Dunkeln. Das einzige , was wir sicher zu wissen glauben, ist, dass der große Absturz hinter uns liegt, doch was kommt danach? Wann kommt die ersehnte Konjunkturerholung in der Gesamtwirtschaft, wann in der Automobil-Industrie. Und wie stark fällt die dann aus?
Wie stark die kommende Erholung insbesondere der Automobil-Konjunktur sein wird, darüber gehen die Meinungen der Experten allerdings gehen weit auseinander. Zwar sieht Michael Hüther (Direktor IW), Köln bereits Licht im Tunnel: „Das Tal der Tränen ist erreicht …der Absturz, den wir im zweiten Quartal wahrgenommen haben, ohne dass wir ihn in amtlichen Zahlen sehen, ist zu einem Halt gekommen.“ Nur hat den Halt keiner so recht bemerkt oder wahrhaben wollen, angesichts der gewaltigen finanziellen Belastungen der Unternehmen und von zehn Millionen Kurzarbeitern – eine in Deutschland noch nie dagewesene Anzahl. Die alle vorerst kein neues Auto kaufen.
In der Wirtschaftstheorie gibt es vier Prognoseansätze für eine mögliche Konjunkturerholung, gekennzeichnet durch die Großbuchstaben V, W, U, L. Danach sind vier Aufschwungs-Szenarien denkbar -allerdings immer vorausgesetzt es kommt zu keiner zweiten Corona-Welle sondern die Pandemie klingt langsam ab, allerdings mit hohen, auch politischen globalen Restrisiken
Szenario V
Der Konjunkturzyklus hat die Form eines V: Steiler Abschwungs und Rezession, danach fast nahtloser Übergang zu einem ebenso steilen Aufschwung. Ganz ähnlich wie 1974 nach der ersten Ölkrise oder 2009 in der Lehmann Finanzkrise. Bezogen auf 2020 würde die Rezession zwei Quartale andauern, im dritten Quartal – mitten im Sommer – käme der Wendepunkt, danach ginge es dann mit einer kräftigen Erholung wieder aufwärts mit Fortsetzung in 2021. Ähnlich sieht auch Michael Hüther den Verlauf der Gesamtwirtschaft: Nach dem historischen Einbruch des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Quartal um minus 12 Prozent in laufender Rate, wird das dritte Quartal bereits wieder im Zeichen des Wachstumspfads stehen, der sich nach 2021 hin weiter fortsetzen wird.
Aus den Autozyklen der letzten Jahrzehnte wissen wir, dass die Automobil-Nachfrage im Zyklus stets als erste Nachfragekomponente frühzeitig einbrach und die allgemeine Rezession anführte, dann aber ebenso früh in die Erholungsphase startete. Und, ganz wichtig, je nach Schwere des vorherigen Rezessionsverlaufs sogar sehr steil.
Szenario W
Das W-Zyklus-Szenario ist das unspektakulärste, aber am häufigsten in der Nachkriegszeit eingetreten: Der Abschwung ist steil und kurz, dann folgt eine ebenso steile, fiskal- und geldpolitisch angeschobene Erholung, die aber dann, nachdem der erste Nachholbedarf der Wirtschaft gedeckt ist, zunächst wieder abflaut. Anschließend setzt meist ein Quartal später der normale „natürliche“, sich selbsttragende Aufschwung ff. ein.
Das W-Szenario ist als Art „Wassertropfen-Variante“ ein Zwischending und wird als Double Dip Rezession bezeichnet. Das wesentliche hier: Es gibt eine schnelle und kräftige Erholung, aber sich dann aber wieder endogen deutlich abschwächt. Also nicht wenn es – im konkreten Fall 2020 – zu einem erneuten Lockdown im Herbst wegen eines Wiederaufflammens der Pandemie käme; das wäre ein anderer Fall.
Aber kaum haben die Konjunkturpessimisten sich bestätigt gesehen – analog Frühjahr 2010 – setzt endogen aus dem Wirtschaftsablauf selbst heraus der zweite, dann nachhaltige Aufschwungs ein.
Dafür waren in der Vergangenheit immer die natürlichen Wachstumskräfte verantwortlich, woher sie auch immer gekommen sind. Bezogen auf die Autoindustrie könnten die Wachstumsimpulse aus dem ökologischen Umbau der Weltautomobilflotte (1,5 Milliarden Autos) auf mehr elektrische Antriebe kommen, sei es auf Batteriebasis oder sei es auf Basis Wasserstoff und synthetische Treibstoffe.
Szenario U
In diesem Fall droht eine längere Krisen-Wanderung durch da „Tal der Rezessions-Tränen“, bevor es zu einer nur langsam an Fahrt gewinnenden Erholung kommt – und zwar nicht vor 2022. Die Rezesssionskurve hätte dann die Form eines U.
Die wesentlichsten Ursachen dafür könnten langwährende Schock-Belastungen durch die Epidemie sein. Eine weitere Ursache: Strukturelle Wirtschaftsprobleme im und am westlichen Wirtschaftssystem, die zeitverzögert als längerfristige Folge des Shutdown-Schocks zu Tage treten. Zum Beispiel wegen plötzlich aufbrechender gesellschaftlicher Konflikte (arm gegen reich) oder weil die Rettungspakete nicht wie gewünscht greifen. Oder dass sich selbst verstärkende Kräfte die Rezession in Gang halten: Firmen gehen reihenweise insolvent, immer mehr Menschen werden entlassen, dadurch sinken Einkommen und Konsum immer weiter, neue Branchen werden erfasst, neue Entlassungen folgen und so weiter.
Der Aufschwung käme zwar irgendwann, wie im Amerika des New Deals von Roosevelt der dreißiger Jahre, aber er käme zu spät. Die Autoindustrie würde global erheblich schrumpfen, die schwächeren Anbieter würden kollabieren. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario ist nicht besonders hoch, aber denkbar ist es im ungünstigsten Fall, vor allem, wenn geopolitische Konfliktherde wie zwischen China und den USA etc, dazu kommen.
Szenario L
Der Buchstabe L symbolisiert das Worst-Case-Szenario: Bei einem L-Verlauf der Rezession bliebe die Erholung aus und die Weltwirtschaft würde sich in einer langanhaltenden Depression befinden. Das kapitalistische Wirtschaftssystem wäre praktisch am Ende, endogene Selbstheilungskräfte gäbe es nicht, der Staat müsste dauerhaft in die Bresche springen, Karl Marx wäre bestätigt.
Dieses Horror-Szenario ist wenig wahrscheinlich. Zwar lässt sich auch eine Depression nie völlig ausschließen, Stand heute. Aber da müsste wirklich sehr viel zusammenkommen, quasi alles schieflaufen, damit es eintritt. Im Gegenteil: Die Wirtschaftspolitik in allen Ländern beweist mit ihren Konjunkturprogrammen, dass man die Lektion aus 1929 gelernt hat, überall ist die „Bazooka“ im Einsatz. Alle Regierungen haben schnell und mit gewaltigen Rettungspaketen reagiert, die Notenbanken handelten unisono undogmatisch und beherzt. Letztlich ist nicht das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem selber die Ursache der Krise, auch wenn manche Zeitgenossen, auch Ökonomen, das so sehen. Nimmt der Belastungsfaktor Corona als Ursache der Krise ab, steht einer raschen Erholung eigentlich nichts mehr im Wege. Aufgestaute Bedarfe bei den Investitionen und beim Konsum gibt es genug, im öffentlichen Bereich gibt es unendliche Ausgabenpotenziale, wären denn die Mittel verfügbar.
Ergebnis
Soweit die konjunkturtheoretische Alphabet-Nomenklatur der möglichen Erholung. Welche Entwicklung sich durchsetzen wird und welches dieser Szenarien eintrifft, lässt sich derzeit seriös nur vermuten, nicht eindeutig sagen.
Gewichtet man alle positiven wie negativen Einflußfaktoren und folgt seinem langjährigen Bauchgefühl, so wird der beginnende Aufschwung eine Mischung aus V und W Entwicklung sein. Konjunkturpakete und Nachholbedarfe auf breiter Front tun ihre Wirkung: Es kommt zu einem relativ steilen Aufschwung. Dieser hält zwei Quartale an, verlangsamt sich, bricht aber nicht ab, sondern setzt sich in 2021 weiter fort, zunächst verhalten, dann mit Unterstützung des Exports und endogen aus sich selber heraus zunehmend kräftiger. Das BIP Wachstum bleibt 2020 negativ, wird aber 2021 wieder deutlich positiv, reicht aber erst 2022 wieder an das Vor-Corona Niveau heran.
Für die Automobil-Konjunktur hellt sich bei diesem Szenario der Horizont auf: Im dritten Quartal kommt die Wende nach oben, die sich im vierten Quartal steil fortsetzt. Getragen vom Verbrenner. Ende 2021 dürfte die Branche beim Inlandsabsatz dann wieder Anschluss an das Vor-Corona Niveau gewonnen haben.