Tichys Einblick
Aus dem Elektro-Traum wird ein Albtraum

Neue CO2-Ausstoß-Grenzwerte sind nicht einzuhalten – Autoindustrie fordert Aufschub

Kein Auto-Hersteller ist in der Lage, die bevorstehende Verschärfung der EU-Klimavorgaben einzuhalten. Um den Strafzahlungen zu entgehen, müsste der Anteil von E-Autos erhöht werden. Solche Produktanpassungen scheitern jedoch an der Nachfrage und würden zu einem Verlust von Millionen Arbeitsplätzen führen.

IMAGO / aal.photo

Die europäische Automobilindustrie, vor allem die deutschen Hersteller, vor allem VW, wurden 2024 jäh aus ihren Elektroauto-Absatzträumen herausgerissen. Statt Wachstum kam Schrumpfung, der eingeplante Verkauf von Batterie-Elektroautos (BEV) fand nicht statt, im Gegenteil, der Absatz von E-Autos brach regelrecht zusammen:

Dieser Einbruch bei den BEV-Verkäufen hatte für die europäischen Massenhersteller, vor allem aber für die deutschen Autohersteller VW und Ford (Opel ist im französischen Stellantis-Konzern aufgegangen) fatale Folgen:

Vereinbart wurde für 2025 ein Grenzwert von rund 95 Gramm und für 2030 von utopischen rund 50 Gramm pro Kilometer und Fahrzeug. Derzeit liegt dieser Wert im Flottendurchschnitt der EU bei 115,1 Gramm CO2 pro Kilometer – gemessen anhand des sogenannten WLTP-Testverfahrens. Beim Überschreiten des CO2-Ziels drohen hohe Strafen. Für jedes Gramm über dem Ziel müssen pro verkauftes Fahrzeug 95 Euro Bußgeld entrichtet werden. Das läppert sich bei Millionen-Absatzzahlen zusammen …

Die Flotten-CO2-Emissionsgrenzwerte kann kein Autobauer einhalten

Die EU beabsichtigte mit dieser Regelung, die europäischen Autohersteller unter Druck zu setzen, in ihren Modell-Portfolios möglichst rasch möglichst viele Verbrenner-Autos durch Batterie-Elektroautos zu ersetzen. Und in den Markt zu drücken. – Das ging gründlich schief, der Markt wollte nicht.

Nach einem in Brüssel kursierenden internen Branchenpapier gibt es keine reinen Verbrennungsmotoren, die weniger als 95,6 g CO2/km ausstoßen. Auch kaum ein Hybrid  schaffe es, den Grenzwert einzuhalten. Da aber ein Durchschnittswert gebildet wird, können Hersteller beispielsweise durch die Zulassung von vielen Elektroautos theoretisch trotzdem unter dem Grenzwert bleiben (EU-Autoindustrie: Acht Fabriken dicht wegen CO2-Zielen ab 2025? | Automobilwoche.de).

Stand heute wird der Grenzwert von 95 Gramm CO2/km in 2025 von keinem europäischen Hersteller erreicht, alle müssen sie je nach Verfehlungsgrad hohe Strafen an die EU zahlen.

Unter den deutschen Herstellern schießt VW den Vogel ab: Analysten von Dataforce hatten vor kurzem für die Automobilwoche errechnet, dass allein Volkswagen beim aktuellen Stand seiner BEV- und Plug-in-Hybrid-Verkäufe auf Strafzahlungen von vier bis fünf Milliarden Euro käme. Auch Ford drohten saftige Bußgelder. Für die europäische Autoindustrie insgesamt beziffert ACEA Präsidenten Luca De Meo die Pönale auf insgesamt 15 Milliarden Euro (Renault-Chef de Meo: Herstellern drohen 15 Milliarden Euro Bußgeld | Automobilwoche.de)

Um die Sache anschaulicher zu machen: Laut Dataforce müsste beispielsweise beim Volkswagen-Konzern im kommenden Jahr jeder vierte Neuwagen elektrisch fahren (25 vH) – was illusorisch ist. 2023 lag der Anteil bei 13 vH, im ersten Halbjahr 2024 bei 10 vH (Welchen E-Auto-Anteil VW und Co. 2025 schaffen müssen | Automobilwoche.de). Ford müsste den Elektro-Anteil verfünffachen (2023: 4 vH; 1. Halbjahr 2024: 5 vH), bei BMW und Mercedes müsste der Anteil 2025 jeweils bei 24 vH liegen, erreicht hat Mercedes im ersten Halbjahr 2024 18 vH (2023:18 vH), BMW 19 vH (2023: 20vH); bei Stellantis liegt der 2025- Soll-Wert bei 18 vH, erreicht wurde im ersten Halbjahr 2024 9 vH (2023: 12 vH).

Ergebnis: Die 2025er Flotten-CO2-Emissionsgrenzwerte sind von keinem Hersteller zu schaffen! Es sei denn, man stellt die Verbrenner-Produktion ein. – Selbst darüber wird nachgedacht. Dazu gleich mehr.

Anpassung, um Strafzahlungen zu vermeiden, führte zum Verlust von Millionen Jobs

Die absehbaren deftigen Strafzahlungen treffen die europäische Automobilindustrie in einer ohnehin angespannten finanziellen und strategischen Lage wegen hoher Verluste in den Elektro-Sparten und nicht minder hoher Unsicherheiten über den künftigen Kurs der Antriebstechnik. Dazu kursiert in Brüssel ein internes No-name-Papier aus der Branche, das die Automobilwoche in Grundzügen veröffentlicht hat (EU-Autoindustrie: Acht Fabriken dicht wegen CO2-Zielen ab 2025? | Automobilwoche.de).

Demnach ist kein Hersteller 2025 ff. in der Lage, die bevorstehende Verschärfung der EU-Klimavorgaben einzuhalten. Alle müssten dazu ihre BEV- und Hybrid-Anteile an ihren Flotten-Verkäufen teilweise drastisch nach oben und/oder ihre Verbrenner-Anteile drastisch nach unten drücken.

Die möglichen Verrenkungen/Gegenmaßnahmen der Hersteller zur Vermeidung oder Abmilderung der finanziellen Belastungen hätten weitreichende Konsequenzen. So wird in dem Papier vor dem Verlust von Millionen Jobs gewarnt … „Folglich wird die EU-Industrie mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe konfrontiert. … Wer den Strafen entgehen wolle, habe kaum eine andere Wahl, als die Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht.“ So wären die CO2-Flottenziele ab 2025 für alle Hersteller ohne Ausnahme nur mit drastischen Mitteln zu schaffen – wenn überhaupt.

In dem internen Dokument heißt es weiter, ein effizienter Verbrenner liege im Schnitt bei rund 120 Gramm CO2 pro Kilometer. Entsprechend müsste auf vier zugelassene Verbrenner ein Elektroauto zugelassen werden, um keine Strafe zahlen zu müssen. Der Anteil an zugelassenen Elektroautos stagniere aber und liege weit unter dem benötigten Niveau von 20 vH Marktanteil.

Daher könnten Strafzahlungen in Höhe von 13 Milliarden Euro allein für den Verkauf von Pkw bevorstehen. Hinzu kämen drei Milliarden Euro Strafe für leichte Nutzfahrzeuge wie Transporter. Diese haben zwar andere Grenzwerte, fallen aber ebenfalls unter das Gesetz. Für die ohnehin als Folge der hohen einseitigen Konzentration einzelner Hersteller auf Batterie-Elektromobilität (Mercedes CEO Ole Källenius: „electric only“) angeschlagene deutsche Autoindustrie ist das eine weitere Belastung.

Damit es nicht so weit kommt, wird in dem Papier vorgeschlagen, einen Notfallartikel zu nutzen, der schon bei Corona zum Einsatz kam. Nach der im Papier vertretenen Auffassung könne die EU-Kommission so die Einführung schärferer Vorgaben um zwei Jahre verschieben. – Eine Gnadenfrist also!

Auch die betroffenen Hersteller melden sich – allen voran VW, aber auch von BMW CEO Oliver Zipse und von Mercedes Chef Ole Källenius – laut zu Wort. Auch VW hat inzwischen errechnet, welche Milliarden Belastungen aus der CO2-Zielverfehlung dem Konzern zusätzlich drohen. Aufgeschreckt durch die Brisanz des Themas fordert selbst Ex-VW-Finanzvorstand und heutiger VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch eine Verschiebung der Grenzwerte, dezent unterstützt von AR-Mitglied Stefan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen. Ebenso drängt der deutsche Autoverband VDA darauf, dass früher als vorgesehen überprüft wird, ob die EU-Vorgaben machbar sind.

Am deutlichsten hat sich der CEO von Renault und aktueller Präsident des europäischen Dachverbandes ACEA, Luca De Meo, für eine Verschiebung der vereinbarten Emissions-Grenzwerte ausgesprochen. De Meo hatte bereits wenige Monate zuvor von sich reden gemacht, als er – analog zum Modell Airbus Industrie – eine europäische „Automobil-Union“ ins Gespräch brachte.

Verband fordert Aufschub der von der EU geplanten Emissionsziele

De Meo befürchtet für Europas Autobauer angesichts der neuen CO2-Flottengrenzen ab 2025 angesichts der schwachen Elektro-Nachfrage Geldbußen von bis zu 15 Milliarden Euro. „Wenn die Elektrofahrzeuge auf dem heutigen Niveau bleiben, muss die europäische Industrie nach unseren Berechnungen möglicherweise 15 Milliarden Euro an Strafen zahlen oder aber sie muss die Produktion von mehr als 2,5 Millionen Fahrzeugen aufgeben“, so der Renault-Chef in einem Interview mit dem französischen Rundfunksender France Inter (Renault-Chef de Meo: Herstellern drohen 15 Milliarden Euro Bußgeld | Automobilwoche.de).

Der Branchenverband ACEA schlägt vor, dass die EU im Zuge einer Notverordnung ihre für 2025 geplanten Emissionsziele verschieben soll. Für Außenstehende völlig unerwartet lehnte – ganz aktuell – Stellantis-Chef Carlos Tavares den präsidialen ACEA Vorschlag seines französischen Wettbewerbers De Meo in Gänze ab. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP sagte Tavares: „Es wäre surreal, die Regeln jetzt zu ändern … Jeder kennt die Regeln schon lange und hatte Zeit, sich darauf vorzubereiten. Jetzt ist es an der Zeit, das Rennen zu beginnen“ (Stellantis: Keine Verschiebung der CO2-Zielen der EU | Automobilwoche.de). – Zur Freundschaft mit VW-CEO Oliver Blume dürften solche Äußerungen nicht beitragen! Am Rande: Stellantis gehört dem ACEA nicht an, Tesla ebenfalls nicht.

Diese Aussagen des quirligen Portugiesen überraschen. Denn Stellantis würde das Rennen mit Sicherheit nicht von Pool-Position starten können. Der BEV-Anteil des französischen Multi-Kulti-Konzerns am Absatz lag im ersten Halbjahr 2024 bei 9,3 vH, er müsste sich in 2025 auf 18,0 vH verdoppeln; gleichzeitig müsste der Verbrenner-Anteil (Benziner) um rund 10 Prozentpunkt von 69,3 vH in 2024 auf 59,7 vH in 2025 sinken. Auch am Rande erwähnt: Die Produktion des preiswerten kleinen Fiat 500e musste mangels Absatz vor kurzem gedrosselt werden.

Unerwartete Unterstützung erhält die Zielwerte-Verschiebungs-Front auch vom deutschen Automobilhandel. Hier werden als Folge verzweifelter Versuche der Auto-Hersteller, ihre E-Auto Halden zu räumen und 2025 mehr BEVs und Hybride via Handel um jeden Preis in den Markt zu drücken, heftige Preis- und Rabattschlachten. „Preisschlachten wie noch nie“, so die Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung zum Thema (Süddeutsche Zeitung, 14/15.September 2024, Nr. 213). Und die Automobilwoche titelt: „Handel fürchtet ruinösen Preiskampf“ (Automobilwoche, Ausgabe 19, 2.September 2024).

Laut Thomas Peckruhn, Vizepräsident des Zentralverbandes des Kfz-Gewerbes (ZDK). müsse beispielsweise die Marke Skoda, um Strafzahlungen an die EU in Höhe von 434 Millionen Euro in 2025 zu vermeiden, ihre E-Verkäufe in Deutschland mehr als verdoppeln. „Weil die Nachfrage nach E-Autos niedrig ist, werden wir die Elektro-Verkaufsziel der Hersteller nur erreichen, indem wir über den Preis verkaufen … Wir werden Preisschlachten sehen wie noch nie“ (Zitat Süddeutsche Zeitung). Alles zu Lasten der Margen und Gewinne.

Schon bisher zeigen Rabatte in der Größenordnung bis zu 7000 Euro, zum Beispiel beim neuen Elektro-Smart oder beim TeslaModel Y die Richtung an. Und das alles in der Hoffnung, die Automobilkunden reagierten auf den Preissturz bei E-Autos und steigen auf dieselben um. Selbst der VDA äußert die Hoffnung, weiter sinkende BEV-Gebrauchtwagenpreise könnten die Nachfrage nach E-Autos beflügeln. Die Flottenbetreiber sehen das angesichts des drastischen Verfalls der Restwerte ganz anders.

Alle Versuche, den Strafzahlungen zu entgehen, scheitern am Markt

Die Frage ist: Wie kann die Autoindustrie den Brüsseler Strafzahlungen entgehen? Antwort: Überhaupt nicht! Alle Versuche dazu sind entweder skurril oder scheitern am Markt.

Das interne Brüssel-Papier selber nennt als – wohl eher skurrile – Möglichkeit, die Produktion und den Verkauf von mehr als zwei Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren einfach einzustellen, den Verbrenner-Markt als Quelle allen Übels auf diese Weise auszutrocknen. Das entspricht der Schließung von acht Fabriken! Damit verbunden wäre der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen. Nach Branchenangaben arbeiten im europäischen Automobilsektor allein in der Herstellung knapp drei Millionen Menschen. Rechnet man alle Tätigkeiten aus dem Umfeld der Autobranche wie etwa den Verkauf von Fahrzeugen hinzu, sind es laut ACEA rund 13 Millionen Beschäftigte.

Auch Momente für Hoffnungen auf einen bevorstehenden Elektroauto-Boom in 2025 sind weit und breit nicht zu sehen, eher bei Verbrennern. Nach allem, was seriöse Studien über die Bedürfnisse und künftigen Kaufabsichten von Automobilkäufern in Deutschland herausgefunden haben, vergrößern Preis-Rabattschlachten bei Herstellern und Handel nur die Verluste der Branche, nicht deren Absatz. Und führen bei Kunden zu noch größerer Zurückhaltung, „weil’s morgen vielleicht noch billiger ist!“ Fast sicher zu erwarten ist vielmehr, dass alle Hersteller ihr Angebot an billigen Verbrenner-Alternativen weiter ausdünnen und verknappen. Um so Platz zu schaffen, die Preise für ihre verbliebenen Verbrennermodelle umso kräftiger anzuheben, und so die Kunden mehr und mehr in die oberen Preissegmente zu treiben.

Im Endergebnis bedeutet das, dass der Elektroautoabsatz zwar nicht steigt, das Marktvolumen bei Verbrennern aber sinkt, der Automobilmarkt bei Neuzulassungen in toto strukturell schrumpft und gleichzeitig das Durchschnittsalter des Automobil-Altbestands in Deutschland deutlich ansteigt:
Bereits heute liegt das jährliche Neuzulassungsvolumen am deutschen Markt im Durchschnitt der letzten Jahre trotz wachsender Bevölkerung um fast einen Million Autos p.a. niedriger als vor der Corona-Krise 2019.

Ursache: Autos sind zu teuer geworden. Laut Statista ist das durchschnittliche Neuwagen-Preisniveau bei Pkw in Deutschland bereits 2023 um 1800 Euro binnen Jahresfrist gestiegen und erreichte mit 44.630 Euro einen neuen Rekordstand. Zum Vergleich: 2017 lag das Preisniveau bei Neuwagen erst bei rund 30.000 Euro. Offensichtlich geht den Konsumenten langsam, aber sicher die finanzielle Puste aus. Ein Teil der Nachfrage in den preissensiblen unteren Marktsegmenten blieb dabei zwangsläufig auf der Strecke, jedes dritte neue Auto ist inzwischen ein SUV. Und nicht sicher ist, ob die Autohersteller im Hochpreissegment am Stück so viel mehr verdienen, wie sie im unteren Volumensegment durch Angebotskappung verlieren.

Die traditionelle Marktpyramide mit breitem Sockel wird so auf Dauer verschlankt und auf den Kopf gestellt. Was die Automobilwoche treffend zu der Schlussfolgerung bringt, dass als Konsequenz der Brüsseler Emissionsvorschriften in der europäischen Autoindustrie künftig „Eine Modellpolitik im Bannstrahl Brüssels“ betrieben wird (Automobilwoche, Ausgabe 19, 2. September 2024).

Das Ergebnis aus all dem ist für die Autoindustrie niederschmetternd, sie läuft unausweichlich in eine Ertragsklemme: Sie hat die Wahl zwischen Pech und Schwefel! Ohne Verschiebung oder Anpassung der EU-CO2-Grenzwertziele muss sie hohe Strafzahlungen leisten. Versucht sie zur Verlust-Milderung stattdessen möglichst viele BEV und Hybride mit hohen Rabatten in den Markt zu drücken, macht sie zusätzliche Verluste, weil der Markt die plötzliche Fülle an BEVs und Hybriden nicht aufnimmt, die Preise weiter verfallen. Wenn aber die Hersteller zur Verlust-Kompensation ihre Verbrenner weiter stark verteuern, wird auch der Markt weiter schrumpfen.

Das Ergebnis ist vorhersehbar: Massen-Automobilität für Jedermann war gestern, Exklusiv-Mobilität höherer Einkommensschichten ist morgen und in Zukunft. Womit grüne Klima-Ideologen und erbitterte Gegner des Individualverkehrs zufrieden sein können: Geschafft!

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