Noch selten war das Geschäft der Auto-Prognostiker riskanter als im Sommer 2021. Kaum schien die Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2021 den Schrecken zu verlieren und hellte sich das weltwirtschaftliche Umfeld auch für die Autoindustrie auf, denn
- in Deutschland überschritt das Börsenbarometer Dax erstmals die 16.000 – Marke,
- die deutsche Autoindustrie verbuchte wieder so viele Aufträge wie vor der Corona-Pandemie, aus dem Ausland sogar mehr,
- das BIP-Wachstum in Deutschland beschleunigte sich im 2. Quartal 2021 wieder auf 2,0 % gegenüber dem Vorquartal,
- in den USA verabschiedete die Regierung Biden ein unvorstellbares Struktur-Investitionsprogramm von einer Billion US-Dollar,
- der IWf hebt die Wachstumsprognosen für alle Industriestaaten deutlich an, für die Weltwirtschaft insgesamt auf 5,8 Prozent (nach -3,3 Prozent in 2020), und bleibt auch für 2022 optimistisch ( + 4,4 Prozent),
schon kam völlig unerwartet der nächste Schicksalsschlag für die Branche in Form von Materialmangel und entsprechenden Produktions- und Lieferengpässen.
Ende 2020 setzte, zunächst wegen hoher Vorräte fast unbemerkt, weltweit zunehmend ein Halbleitermangel ein, der durch den Ausfall chinesischer Lieferanten begonnen hatte. Speicherchips werden in sämtlichen elektronischen Geräten eingesetzt, seit Vernetzung, Infotainment, Elektromobilität und Roboterisierung an der Tagesordnung sind verstärkt natürlich in der Autoindustrie in Prozessen und Produkten.
Produktionsausfälle durch Materialmangel – für alle Generationen seit den Baby-Boomern ist das eine völlig neue Erfahrung.
Der Mangel an Halbleiter-Chips frisst sich seit Frühjahr 2021 langsam aber sicher durch die gesamte Wertschöpfungs-und Absatzkette, füllt Halden mit unfertigen Autos oder legt Fabriken still. Und soll nach Expertenschätzungen auch noch 2022 anhalten.
Aktuelle Marktlage
Aufgrund unzureichender Marktversorgung wegen des anhaltenden Mangels an Halbleitern sind alle großen Absatzmärkte der Welt außer den USA mit Einbußen gegenüber dem Vorjahr in die zweite Jahreshälfte 2021 gestartet (Tabelle 1). In Westeuropa (EU14, EFTA & UK) fielen die Neuzulassungen im Juli um ein Viertel, am übelsten hat es das Vereinigte Königreich erwischt. Der chinesische Markt verzeichnete den dritten Rückgang in Folge. Japan musste erstmals in diesem Jahr ein Minus verbuchen. Der US-Markt konnte hingegen seinen Wachstumspfad im Juli fortsetzen.
- Der westeuropäische Pkw-Markt musste im Juli mit 868.200 Einheiten (-25 Prozent) ein deutliches Minus hinnehmen. Damit blieben die Neuzulassungen erstmals seit 2013 in einem Juli wieder unterhalb der Millionenschwelle.
- Die fünf größten europäischen Einzelmärkte wiesen im Juli allesamt zweistellige Rückgänge auf (Tabelle 2):
- Italien: -19 Prozent;
- Der deutsche Markt gab um ein Viertel (-25 Prozent) nach;
- Vereinigtes Königreich:-29 Prozent,
- Spanien: -29 Prozent und
- Frankreich: -35 Prozent reduzierten sich die Neuzulassungen um jeweils rund ein Drittel.
Dank der starken Zuwächse im Frühjahr 2021 fällt die Bilanz für den europäischen Markt bislang noch positiv aus: per Juli 2021 : 6,7 Mio. Neuzulassungen ( + 17 Prozent).
- In den USA wurden im Juli auf dem Vehicle-Markt (Pkw und Light Trucks) 1,3 Mio. Neufahrzeuge (+4 Prozent) verkauft. Seit Jahresbeginn ist der Markt damit um ein Viertel (+25 Prozent), auf knapp 9,6 Mio. Fahrzeuge, gewachsen. Davon entfielen mehr als drei Viertel des Gesamtmarktes auf das Light-Truck-Segment: dort erhöhte sich der Absatz um 27 Prozent ( Pkw-Segment + 18 Prozent).
- In China ging der Pkw-Absatz den dritten Monat in Folge zurück. Mit 1,5 Mio. Neufahrzeugen lag der Absatz dort um rund 7 Prozent niedriger als im Juli des Vorjahres, der nachholbedingt besonders gut ausgefallen war (Basiseffekt). Aber auch in China bereiten fehlende Halbleiter Produktionsprobleme. Im Jahresverlauf weist der Markt allerdings weiterhin ein deutliches Plus von 21 Prozent auf (11,3 Mio. Pkw).
- Auch Japan verzeichnete im Juli den ersten Zulassungsrückgang in diesem Jahr. Mit 309.500 Einheiten wurden 6 Prozent weniger Neufahrzeuge verkauft als im Vorjahresmonat. Im Jahresverlauf liegt der japanische Markt mit 2,4 Mio. Pkw 9 Prozent über dem Vorjahresniveau.
- Auf dem indischen Pkw-Markt wurden im Juli 264.400 Fahrzeuge abgesetzt (+ 45 Prozent) etwas mehr als in Deutschland.. Seit Jahresbeginn ist der Absatz um 83 Prozent auf 1,8 Mio. Fahrzeuge angestiegen.
- Der brasilianische Light-Vehicle-Markt ist im Juli um 1 Prozent auf 162.200 Neufahrzeuge geschrumpft. Es war der erste Rückgang im Monatsvergleich seit Februar. In den ersten sieben Monaten wurden in Brasilien 1,2 Mio. Fahrzeuge zugelassen, gut ein Viertel mehr als im Vorjahreszeitraum (+26 Prozent).
Sonderfall Vereinigtes Königreich (Quelle: Automobilwoche):
Die britische Autoindustrie verzeichnete den schlechtesten Juli seit 1956:
Die Autoproduktion ging um mehr als ein Drittel steil nach unten. Damit ist die Automobilproduktion in UK erstmals seit Februar wieder deutlich zurückgegangen, die Hersteller produzierten im Juli 37,6 Prozent weniger Fahrzeuge als im gleichen Monat des Vorjahres wie der Verband Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) mitteilte. Der vergangene Monat war damit der schlechteste Juli seit dem Jahr 1956. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat die Autoproduktion 2021 in England allerdings bislang um rund 18 Prozent zugenommen, liegt allerdings mit einem Minus von knapp 29 Prozent noch immer weit unter dem Niveau von 2019, also vor der Pandemie.
Grund für den Rückgang ist vor allem der anhaltende Chip-Mangel, der Autohersteller weltweit belastet. Hinzu kam im Juli, dass in Großbritannien Tausende „gepingt“, also nach Kontakten zu Corona-Infizierten in Quarantäne geschickt wurden. Die Hersteller in England litten also zusätzlich unter deutlichem Personalmangel.
„Diese Zahlen spiegeln die extrem harten Bedingungen wieder, denen britische Autohersteller sich gegenüber sehen“, sagte der SMMT-Chef Mike Hawes. zufolge. Eine rasche Änderung sei nicht in Sicht. „Während der Einfluss der „Pingdemic“ abnehmen wird, weil sich die Quarantäneregeln geändert haben, gibt es bei dem weltweiten Mangel an Chips wenig Aussichten auf Erholung.“
Rund ein Viertel (26 Prozent) aller im Juli produzierten Autos waren entweder Elektro- oder Hybridfahrzeuge – das wiederum entspricht dem Verband zufolge einem bisherigen Höchststand.
Ausblick
Experten rechnen für 2021 in der deutschen Autoindustrie mit Produktionseinbußen von bis zu 20 Prozent. Bezogen auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt könnte lt. Banken-Berechnungen durch die Produktionsausfälle ein Verlust von 35 Milliarden Euro oder einem Prozentpunkt Wachstumsverlust entstehen.
In der Weltautomobilindustrie wird 2021 aufgrund des Halbleitermangels mit einem Produktionsausfall in Höhe von über 5 Millionen PKWs gerechnet, könnten nur 75 Millionen statt 80 Millionen Autos verkauft werden.
Umweltschützern dürfte diese Entwicklung nicht ungelegen kommen.