Tichys Einblick
"Blutbad" am Gelben Fluss

Ruinöser Wettbewerb auf dem chinesischen Markt für Elektroautos

Vom Jahr der Schlange, das in China für Weisheit und Schönheit steht, ist zumindest auf dem Automobilmarkt weit und breit nichts zu spüren. Für viele E-Autohersteller wird der „Gelbe Fluss“ zum „Fluss ohne Wiederkehr“. Die ausländischen Hersteller stehen ebenfalls unter Druck, so auch Volkswagen.

picture alliance / Photoshot

In China herrscht zu Jahresbeginn 2025 laut Neuer Zürcher Zeitung (NZZ) ein ruinöser Preis-Wettbewerb unter den Anbietern von „dramatischem Ausmaß“. Eine Marktbereinigung unter den chinesischen Autoherstellern, die NZZ spricht von „Blutbad“, ist im Jahr 2025 vorprogrammiert, viele werden vom Markt verschwinden.

Und weil Pessimisten unter den Autoexperten eine ähnliche Entwicklung auch in Deutschland, hier aber, anders als China, vor allem unter den Zulieferern vorhersehen, sei nachfolgend kurz auf einige mögliche Gemeinsamkeiten, aber auch auf Unterschiede hingewiesen.

Die Lage der E-Auto-Bauer im Reich der Mitte ist dramatisch. Laut NZZ hat der Weltmarktführer bei Elektroautos BYD Ende November an seine Zulieferbetriebe eine Mail verschickt, die für einen landesweiten Aufschrei sorgte. Darin fordert der Elektroauto-Riese seine Zulieferer dazu auf, die Preise für ihre Komponenten im Jahr 2025 um 10 Prozent zu senken, weil, so BYD, der Markt für Elektroautos 2025 in seine „finale Schlacht“ eintrete. Und dies, obwohl BYD in China mit 30 Prozent Marktanteil den E-Markt dominiert und zudem auch noch Gewinne schreibt.

Die Mail des Autoherstellers fand vermutlich mithilfe eines Zulieferers den Weg in die chinesischen Medien. Zwar versuchte BYD zurückzurudern, die Zahl von 10 Prozent sei lediglich eine Richtmarke, über die verhandelt werden könne. In welche Richtung, ließ man aber offen. Vor allem die Zulieferer waren empört, einige sprachen sogar von „geschäftlicher Ethik und menschlicher Natur“ (NZZ), dem die BYD-Forderung widerspreche. Wie konnte es zu solchen dramatischen Zuständen am chinesischen Markt für Elektroautos kommen?

Nach Expertenschätzungen ist die Anzahl der Automobilhersteller von ehemals über 400 inzwischen auf ca. 80 geschrumpft. Und alle bauen nur noch E-Autos, keine reinen Verbrenner mehr. Mit etwa 120 Marken und beispiellosen Rabattschlachten kämpfen sie um die Gunst der rund 20 Millionen Kunden.

BYD, Marktführer bei Elektroautos, senkte die Preise im laufenden Jahr mehrfach, Li Auto, einer der am schnellsten wachsenden Hersteller, reduzierte seine Preise letztmals im November, ebenso Tesla, nachdem der US-Hersteller seine Preise Anfang 2024 bereits um 2000 Dollar gesenkt hatte.
Hintergrund für diese Rabattpolitik ist die niedrige Auslastung der Automobilindustrie, die laut NZZ derzeit 70 Prozent beträgt, aber bei mindestens 80 Prozent liegen müsste, wollte man halbwegs wirtschaftlich arbeiten. Bemerkenswert: Von den zahlreichen E-Auto-Startups in China ist denn auch keines profitabel, auch die Kooperations-Rettungsanker von Stellantis und VW – Leapmotor und Xpeng – nicht. Lediglich BYD macht Gewinne.

Die Chinesen lernen schnell. Ähnlich wie die deutschen Autohersteller, versuchen viele chinesische Autobauer beim Einkauf zu sparen und setzen ihre Zulieferer unter Druck. Häufig ist die Zielmarke zwar gleich hoch wie die von BYD: 10 Prozent. Das „Blutbad“ auf Ebene der Autohersteller wird dadurch in China – anders als in Deutschland – aber nicht verhindert, sondern lediglich im großen Stile auch auf die Zuliefererebene weiter gewälzt. Ohne dass es die Hersteller rettet.

Anders als in Deutschland möglich, versuchen die chinesischen Zulieferer die Kosten bisweilen mit fragwürdigen Methoden zu senken, indem sie minderwertige Materialien verwenden oder ihre Qualitätskontrollen abschaffen, um die Kosten zu drücken.

Längst bekommen auch ausländische Zulieferer den gnadenlosen Preiskampf zu spüren. Der prominente Zulieferer Webasto, seit 2001 erfolgreich und profitabel in China mit Heizsystemen und Schiebe- und Panoramadächern mit insgesamt neun Fabriken tätig, verzeichnete im vergangenen Jahr erstmals einen Umsatzrückgang. Im Jahr 2024 mussten zwei Fabriken schließen, 500 Mitarbeiter verloren ihre Jobs.

Was für China und die chinesische Autoindustrie neu ist, ist für die westlichen Autohersteller quasi ein „alter Hut“. In der Triade ist seit Beginn der 60er Jahre im letzten Jahrtausend die Anzahl selbständiger Automobilunternehmen inzwischen auf unter 10 gefallen, Neuzutritte wie Tesla nicht mitgerechnet.

Man muss kein Prophet sein, um ein weiteres Sterben unter den Autoherstellern in China für 2025 vorherzusagen. Die Marktbereinigung ist in vollem Gange. Und hält an: Die Firma Ji Yue, ein Joint Venture zwischen dem Autohersteller Geely und dem Internetkonzern Baidu, fertigte seit August 2023 Elektroautos. Doch bis heute hat das Unternehmen nur 14.000 Autos ausgeliefert. Seit der Gründung im Jahr 2021 hat die Firma knapp 1,4 Milliarden Dollar Verluste angehäuft. Vor wenigen Tagen gab der Hersteller das Aus bekannt.

Auch die ausländischen Hersteller, die den chinesischen Markt jahrzehntelang dominierten, stehen unter Druck. Konzerne aus dem Westen und Japan haben zu spät gemerkt, dass die chinesische Kundschaft mit Vorlieben für Bling-Bling und bunte Interieurs etc. zwar im vergangenen Jahr insgesamt rund 25 Millionen Autos gekauft hat, dabei aber um das Verbrenner- wie Elektro-Angebot ausländischer Anbieter immer öfter einen Bogen macht. Seit 2022 verkauften chinesische Hersteller mehr Pkw als die Konkurrenten aus dem Ausland.

Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren beschleunigen. In der Folge dürften deshalb auch Hersteller aus dem Ausland vom chinesischen Markt verschwinden. Mitsubishi hat sich bereits aus China zurückgezogen. General Motors gab vor wenigen Wochen bekannt, dass es auf seinem Joint Venture mit dem chinesischen Hersteller SAIC eine Wertberichtigung in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar vornehmen muss. Außerdem fielen in China Restrukturierungskosten in Höhe von 2,7 Milliarden Dollar an, teilte das Unternehmen mit. Ob das auf die Dauer toleriert wird, ist fraglich. Ford Europa liefert eine Blaupause.

Auch Volkswagen, zu Glanzzeiten jahrzehntelang der marktbeherrschende Anbieter in China, prüft den Umfang seines Engagements mit insgesamt 39 eigenen Fabriken. Die Frage ist nicht, ob geschlossen wird, sondern welche Werke und wie viele. Laut NZZ würden Produktionskapazitäten für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren Schritt für Schritt reduziert. Denn vor allem die chinesischen Elektroautobauer drängten VW wie auch die anderen deutschen Marken immer weiter ins Abseits – ein Grund, warum der gesamte VW-Konzern in der Krise steckt. Nicht überleben wird nach Angaben aus Konzernkreisen ein Werk in Nanjing bei Shanghai. Mit der Veräußerung seines Werks in der Uiguren-Provinz schließt der Konzern zudem eine politischere Baustelle seines China-Geschäfts – es bleiben aber noch zahlreiche andere.

Was den ausländischen Automobilherstellern in China derzeit widerfährt, ist keine vorrübergehende Marktdelle, sondern ein Dammbruch. Laut NZZ hat Paul Gong, Autoanalyst der UBS in Hongkong, errechnet, dass in China Gewinne ausländischer Autohersteller in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Dollar zur Disposition stünden.

VW ist da voll dabei. Jahrzehntelang verdiente der VW-Konzern mit der Stammmarke Volkswagen, Audi und zuletzt zunehmend Porsche in China einen Großteil seiner Unternehmensgewinne. Damit ist vorerst Schluss! Zwar ist VW CEO Oliver Blume mit einem Kraftakt dabei, den VW-Konzern in China total neu und selbständig aufzustellen, rasche Erfolge daraus sind aber frühestens im Jahr 2026 zu erwarten – wenn alles gut geht.

Auch wenn der Exodus deutscher Autohersteller auf die zahlreichen Zulieferer beschränkt bleiben wird, bleiben einbrechende Gewinne und Absatzvolumen als Folge des „Blutbades am Gelben Fluss“ nicht ohne Rückwirkung auf Beschäftigung und Wohlstand am Wirtschaftsstandort Deutschland. Die neue Regierung startet mit schwerem Problemrucksack.

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