Tichys Einblick
Irreführung

Wie mit Bilanzbetrug das Elektroauto sauber gerechnet wird

Nur durch betrügerische Rechnungen lässt sich behaupten, dass Elektro-Autos „sauberer“ seien als Dieselautos. Tatsächlich sind die Emissionen des Dieselfahrzeugs zu jedem Zeitpunkt geringer als die Emissionen vergleichbarer Elektrofahrzeuge, rechnet Thomas Koch vor.

Schnellladesäule an der Buerschen Straße / Schillerstraße in Gladbeck

IMAGO / Funke Foto Services

Bereits vor rund 10 Jahren veröffentlichte der bekannte Ökonom Professor Hans-Werner Sinn seine Ausführungen „Energiewende ins Nichts“. Heute wissen wir, dass durch eine unvorstellbare Umsetzungsrigorosität, durch beispielloses Versagen von deutschen Eliten, durch ein Wegducken von Entscheidungsträgern, durch gewaltigen öffentlichen Druck, der durch Nichtregierungsorganisationen aufgebaut worden ist, und durch unglückliche Geschehnisse wie der Reaktorkatastrophe in Fukushima Rahmenbedingungen geschaffen wurden, die den Industriestandort Deutschland immer unattraktiver erscheinen lassen.

Neben der gescheiterten Energiewende mit Industriestrompreisen, die in Deutschland 2023 rund 5-mal höher als in China liegen, wurde parallel auch die Mobilitätswende mit ebenso unvorstellbarer Umsetzungsstärke vorangetrieben. Oberstes Ziel der letzten Jahre war das unbedingte Verbot des Verbrennungsmotors. Als Begründung hierfür wurde gebetsmühlenartig der CO2-Vorteil des Elektroautos angeführt. Der gebetsmühlenartig wiederholte Bilanzbetrug überzeugte die fachfremden und damit anfälligen Entscheidungsträger der Legislative mehrheitlich von diesem Mantra. Ein einfaches Beispiel erläutert die perfide Irreführung, die eine deutsche Technologieparadedisziplin beinahe zerstört hat.

Zukunft Elektroauto
„Es geht nicht um Umweltschutz oder CO2-Neutralität“
Ein Wanderer unternimmt einen Ausflug mit einer Länge von 6 Kilometern. Den ersten Kilometer wandert er in der Ebene. Den zweiten Kilometer steigt der Weg gleichmäßig 10 Meter an. Auf dem dritten Kilometer beträgt die Steigung gleichmäßig 20 Meter, auf dem vierten Kilometer 30 Meter, auf dem fünften 40 Meter und Kilometer 6 steigt der Weg 50 Meter an. Die Steigung wird also immer steiler. In Summe legt der Wanderer eine Höhendifferenz von 150 Metern zurück. Der Gradient beträgt im Mittel 25 Meter pro Kilometer, resultierend aus 150 Metern aus 6 Kilometern Wegstrecke.

Nach einer Brotzeit und einem Bier läuft der Wanderer nun den Weg 100 Meter zurück. Um wie viel Meter reduziert sich seine Höhe? Nimmt man den mittleren Gradienten von 25 Meter pro Kilometer, so müsste er nach 100 Metern des Rückwegs exakt 2,5 Meter an Höhe verloren haben. In der Realität verliert er aber 5 Höhenmeter, also doppelt zu viel. Der Unterschied zwischen durchschnittlicher Steigung (Mittelwert von 25m/km) und Grenzsteigung (Marginalwert von 50m/km) ist offensichtlich. Der Mittelwert (25m/km) allein gestattet keine mathematisch korrekte Lösung.

Dieses Beispiel lässt sich unmittelbar auf das deutsche Stromsystem übertragen. Die zurückgelegte Wegstrecke des Wanderers kann man mit der benötigten elektrischen Energie des deutschen Stromsystems vergleichen. Die Steigung des Wanderwegs ist vergleichbar mit dem CO2-Fußabdruck der benötigten Energieträger. Wäre beispielsweise der elektrische Energiebedarf im heutigen Deutschland auf vorindustriellem Niveau und somit extrem niedrig (zum Beispiel 1 kWh), so würden die sogenannten regenerativen Energien, beispielsweise abgebildet durch Wasserkraft, Photovoltaik, Windkraft eine äußert geringe Steigung von zum Beispiel 50 gCO2ä/kWh bedingen. Der Index ä beinhaltet äquivalente Emissionskomponenten wie CH4 oder N2O, die auf CO2 umgerechnet werden.

Je mehr nun die Menge an benötigter elektrischer Energie ansteigt, in Analogie zum Wanderweg der weiter fortgesetzt wird, desto mehr nimmt die Steigung zu. Das Zuschalten von Braunkohlekraftwerken bedingt schließlich eine Steigung von circa 1100 gCO2ä/kWh. Bei einem typischen deutschen Strombedarf von circa 600 TWh in Deutschland, also 600.000.000.000 kWh, sind fossile Kraftwerke fast komplett durchgängig im Einsatz. So wie bei der Wanderung die Gesamthöhe 150 Meter nach einer Wegstrecke von 6 Kilometern beträgt, ergibt sich im Klimaschutzgesetz für Deutschland eine Gesamthöhe von 257 Millionen Tonnen CO2ä im Jahr 2022 für den Sektor Energie. Dies entspricht einem Mittelwert von 427 gCO2ä/kWh. Vom Umweltbundesamt wird der vergleichbare Wert 434 gCO2ä/kWh angegeben.

Tichys Einblick Talk
So fährt die Autoindustrie ins Grab – Tichys Einblick Talk mit Thomas Koch
Für die korrekte Bilanzierung der anfallenden CO2-Emissionen eines elektrischen Verbrauchs ist nun die Frage entscheidend: „Wie groß ist der Emissionseinfluss, wenn man einen elektrischen Verbraucher weniger am Netz hat?“ Vergleichbar mit dem Rückweg der Wanderung bedeutet die Einsparung von 1 kWh elektrischer Energie eben nicht die Einsparung gemäß dem Mittelwert von 427g CO2ä. Dieser Wert ist genauso falsch wie die obige Höhendifferenzberechnung von 2,5 Meter pro 100 Meter zu Beginn des Rückwegs. Vielmehr beträgt die reduzierte CO2ä-Emission zum Beispiel 1100g, wenn die gesamte Zeit ein Braunkohlekraftwerk am Netz gewesen war und dieses bei Wegschalten eines Verbrauchers eben nicht mehr benötigt würde.

Die Diskrepanz von 427g zu 1100g ist beim deutschen Stromnetz mit Gas und Steinkohleanteilen in der Realität kleiner. Ein Faktor 2 ist in Deutschland eine gute Annäherung zwischen Mittelwert und realen Emissionen gemäß Marginalansatz. Eine physikalische Begründung für die Unterschlagung realer Emissionen beim Mittelwertansatz ist naheliegend: Wind und Sonne liefern unbeirrt ihren in Gänze nicht ausreichenden Beitrag, ziemlich unabhängig von der Anzahl der elektrischen Verbraucher. Bei einem Ausschalten eines Verbrauchers bläst der Wind nicht weniger und bei einem Zuschalten scheint die Sonne auch nicht heller.

Das Wort Bilanzbetrug ist deshalb zu wählen, da die real anfallenden CO2ä-Emissionen deutlich erhöht sind und über den CO2-Preis von der Gesellschaft bezahlt werden müssen. Ausgaben der Zukunft werden somit verschleiert.

Im Rahmen der neuesten VDI-Bilanzanalyse zu den CO2ä-Emissionen von verschiedenen Antriebskonzepten unter Berücksichtigung der Produktionsumfänge verursacht ein Dieselfahrzeug nach 200.000 Kilometern im Autobahnbetrieb eine Gesamtemission von 34,1 Tonnen CO2ä. Ein Batteriefahrzeug käme mit dem Mittelwertansatz, der die Realität falsch abbildet, auf viel zu niedrige 27,5 Tonnen CO2ä. Bei der Verwendung des mathematisch korrekten Marginalansatzes resultieren 40,8 Tonnen CO2ä!, wobei weitere günstige Annahmen wie Zielerreichung der gescheiterten Strategie „Klimaneutrales Deutschland 2045“, Vermeidung von überwiegendem Laden bei Nacht oder kein Einsatz der Fahrzeugheizung bei diesem Quervergleich einflossen.

Zu jedem Zeitpunkt des Fahrzeugbetriebes sind die Emissionen des Dieselfahrzeuges also geringer als die Emissionen vergleichbarer Elektrofahrzeuge.

Glücklicherweise mehren sich die Signale, dass die Politik den gigantischen Bilanzbetrug durchschaut hat. Es gibt eine Chance, dass nach der fehlgeleiteten Energiewende wenigstens die Mobilitätswende nicht vollkommen den Karren an die Wand fährt. Eine Alternative neben der reinen Elektromobilität muss ermöglicht werden, sonst ist jegliche Glaubwürdigkeit verloren und unsere Wettbewerbsfähigkeit vollends pulverisiert.

Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch ist seit 2013 Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und verantwortlich für die verbrennungsmotorischen Belange in den Bereichen Forschung, Lehre und Innovation.

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