Tichys Einblick
Spitzenpersonal bei Polestar und Audi

Wanderzirkus – In der Autoindustrie rollt’s …

Wer lange in der Autoindustrie tätig war, kennt den Kalauer: „Rollen nicht die Räder, dann rollen die Köpfe!“ Jetzt ist es wieder passiert. Polestar und Audi haben quasi über Nacht ihre führenden Köpfe ausgetauscht.

Hildegard Wortmann war bis 1. September Vorstandsmitglied bei Audi, Aufnahme vom 19.04.2024

picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON

Erst die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen, dann am nächsten Tag der Krisen-Hammer bei Volkswagen: Das Gemeinwesen Deutschland wurde politisch wie wirtschaftlich in der ersten Septemberwoche 2024 kräftig durchgeschüttelt. Dabei ist mit Bezug auf die deutsche Autoindustrie in den Medien völlig in den Hintergrund getreten, was in normalen Zeiten im Vordergrund gestanden wäre: personelle Veränderungen in Spitzenpositionen der Autobranche.

Selbst auf die Gefahr hin, dass die Presse zu diesem Thema demnächst wieder über spektakuläre Veränderungen beim Autogiganten in Wolfsburg berichten muss, sei hier im Rückblick auf Personalvorgänge bei den Autoherstellern Volvo/Geely und Audi auf abrupte Wechsel auf Konzernebene hingewiesen, die tiefe Rückschlüsse auf die Haupt-Ursache des aktuellen Branchendramas zulassen: Elektromobilität – die Unvollendete!

Anmerkung: Im nachfolgenden Text sind die Ereignisse von und bei VW nicht berücksichtigt.

Hohe Verluste und miese Absatzzahlen in der Elektro-Sparte kann kein verantwortungsbewusster CEO oder AR-Vorsitzender eines Autokonzerns – Achtung: nicht verwechseln mit „verantwortlicher“ – sich zurechnen lassen, da müssen andere Verantwortliche her, und werden gesucht. Bei der chinesischen Elektromarke und Geely-Volvo-Tochter Polestar, ebenso wie bei der Volkswagen Premium-Tochter Audi hat man sie gefunden. Und über Nacht die führenden Köpfe – klingt weniger gruselig – „ausgetauscht“:

Anmerkung: Für Menschen mit schlechtem Gedächtnis sei zum Trost gesagt, dass sie sich die Namen nicht merken müssen, die Halbwertzeit in der Autobranche bei Führungspositionen hat sich gegenüber früher stark verkürzt – wer kennt noch den VW Interims-CEO Matthias Müller oder „Manger des Jahres“ Helmut Panke bei BMW; Gegenbeispiel: Urgestein Eberhard von Kuenheim, legendärer CEO von BMW (1970 bis 1993).

Bei beiden Autoherstellern lief es nicht rund, beide – sowohl das junge, „electric only“-Start-up aus China wie der alteingesessene „Herr der Ringe“ aus Ingolstadt – litten unter der gleichen „Elektro-Krankheit“: Aus rosigen Absatz-Blütenträumen zu Beginn wurden zunehmend Alpträume, wurden aus erhofften Gewinnen rapide wachsende Verluste.

Doch statt zum Werksarzt zu gehen, wandten sich die chinesischen Geely-Kapitaleigner lieber an Personalberater. Audi regelte den Wechsel konzernintern. Die Ergebnisse liegen jetzt vor. Und bestätigen einen zweiten Kalauer aus der deutschen Paradeindustrie: Zwischen Autoindustrie und Champions Leage im Fußball gibt es keine Unterschiede: Verdiente Spieler tauchen immer wieder auf, aber stets bei anderen Vereinen.

Den jüngsten Personalreigen eröffnete Ex-Opel-Chef Michael Lohscheller. Er ist Hobby-Sportler und hat laut Wikipedia bereits an über 100 Marathonläufen teilgenommen. Ausdauer und Zähigkeit ist Lohscheller also nicht fremd. Das brauchte er auch, denn sein beruflicher Werdegang setzte beide Eigenschaften voraus. Lohscheller ist gelernter „Finanzer“ und Controller, und begann seine Karriere 1992 als Controller und Finanzchef bei der Jungheinrich AG. Im Anschluss war er bei DaimlerChrysler Rail als Segment Controller tätig, wechselte dann 2001 als CFO zu Mitsubishi Motors, wo er zum CFO aufstieg.

Im Jahr 2004 wechselte Lohscheller als Leiter Konzernmarketing und Vertriebssteuerung zur  Volkswagen AG, wo er 2008 als CFO der Volkswagen Group of America nach USA wechselte.
2012 wechselte Lohscheller zur Adam Opel AG, wo er Mitglied des Vorstandes wurde. Im Juni 2017 stieg er zum Geschäftsführer des inzwischen von PSA Peugeot Citroen übernommen und in die Opel Automobile GmbH umgewandelten Autobauers auf. Es folgten eine brachiale, aber erfolgreiche Sanierung bei Opel, mit Massenentlassungen und Umstrukturierung nach den Vorgaben seines Stellantis-Chefs Carlos Tavares, sowie die Integration von Opel in den Stellantis-Konzern.

Nach getaner Arbeit gab Lohscheller am 1. September 2021 den Job auf, nachdem er zuvor bereits im Juli 2021 von der vietnamesischen Unternehmensgruppe Vingroup als Geschäftsführer für die globale Vermarktung der neugegründeten Automarke VinFast benannt worden war. Als absehbar aus dem „schnellen Gewinnen“ („win fast“) nichts wurde, beendete Lohscheller nach wenigen Monaten das Arbeitsverhältnis mit den Vietnamesen in Hanoi „aus persönlichen Gründen“. Und trat im Februar 2022 eine Stelle als Leiter der Motorensparte der US-Start-ups Nikola Corporation in Phoenix, Arizona an, die Brennstoffzellen-Elektro-Lkw bauen wollten, quasi das Pendant zum elektrischen Pkw Tesla. Ende 2022 wurde Lohscheller Chief Executive Officer dieses Unternehmens.

Bereits im August 2023 wurde bekannt, dass Lohscheller Nikola aus familiären Gründen wieder verlässt. Zurück in der Heimat – er wohnt in einem Bauernhaus in Winterswijk nahe der deutsch-niederländischen Grenze – wurde er im Februar 2024 zum Präsidenten des Verbandes der Internationalen Kraftfahrzeughersteller e.V. (VDIK) mit Wirkung zum 1. Juni 2024 gewählt. Doch noch während der Einarbeitungszeit kündigte er nach 89 Tagen in Berlin seinen Rücktritt an, um nun Anfang Oktober 2024 Thomas Ingenlath als CEO der Elektroautomarke Polestar in Göteborg abzulösen.

Immerhin bleibt Lohscheller in Europa. Und vielleicht nützt er – als erklärter Umweltschützer – die freie Zwischenzeit, um seinem ersten Buch, das er mit einer Frau Ulrike Louis über „Happy climate, happy life“ geschrieben hat, ein zweites, vielleicht mit Robert Habeck, folgen zu lassen. Titelvorschlag: „Kinderspiel mit Wärmepumpe“.

Polestar als ausschließlicher Hersteller von Batterieelektroautos hatte erhebliche Absatz- und Auslastungsprobleme

Der jungen Elektroautomarke Polestar geht es schlecht – unrunde Produktanläufe, lahme Nachfrage, Börsenprobleme. Polestar 2 verzeichnete 2023 in Deutschland laut Kraftfahrtbundesamt rund 6.300 und bis Ende Juli dieses Jahres rund 2.000 Zulassungen. Weltweit wurden 2023 54.000 Einheiten verkauft, geplant waren 60.000. Polestar 3 und 4 verspäteten sich erheblich. Das einzige, was wächst, sind die Verluste, der Absatz sinkt. Um besser als „europäische“ Submarke von Volvo wahrgenommen zu werden, ist die Polestar Hauptverwaltung in Göteborg angesiedelt, produziert werden Polestar-Modelle aber in China, in den USA und in Südkorea.

Anfang 2024 verfügte Ingenlath die Entlassung von 450 Beschäftigten, 15 vH der Belegschaft Volvo hat sich größtenteils aus dem Unternehmen zurückgezogen, Investoren sind misstrauisch – die Pleite von Fisker in Graz lässt grüßen!

Nun setzt die Mutter Geely auf jene Erfahrungen in der Elektromobilität, die Michael Lohscheller beim vietnamesischen Hersteller VinFast und der US-Firma Nikola Motor trotz kurzer Verweildauer sammeln konnte. Ab 1. Oktober 2024 löst er in Göteborg, dem Firmensitz von Polestar, Thomas Ingenlath ab, zuvor seit 2012 Chefdesigner bei Volvo Cars und seit 2017 CEO bei der Jeely/Volvo Tochter Polestar. „Gutes Design alleine reicht nicht mehr“ (Führungswechsel bei Polestar: Gutes Design allein reicht nicht mehr – Golem.de)

Doch das Personal-Karussell drehte sich weiter. Nach zahlreichen Neubesetzungen im Mittelmanagement tauschte Polestar jetzt auch seinen CEO Thomas Ingenlath aus. Und mit ihm den bisherigen Design-Chef Maximilian Missoni, der Platz machen musste für Audi-Mann Philipp Römers, wo dieser an mehreren E-Tron-Modellen mitgewirkt hatte. Design ist ein wichtiges Thema bei Polestar. Es dient neben Nachhaltigkeit als wesentliches Differenzierungsmerkmal zu den Wettbewerbern. Ingenlath legte stets Wert darauf. Ihm verdankt die Marke den leuchtenden Polarstern, der sich im Glasdach des Polestar 2 reflektiert, oder den Ersatz der Heckscheibe durch eine Rückfahrkamera, als Beispiele. Das Ambientelicht nennt sich nach Uranus und Mars.

Nur am Rande als Ergänzung: Für europäische Kunden offensichtlich kein überzeugendes Kaufargument. Um das zu ändern, tauschte Polestar seinen obersten Kommunikationschef gleich mit aus gegen Ex-Diess-Pressechef Michael Manske, der von September 2024 als Head of Global Communications und PR die Außendarstellung von Polestar verantwortet. Und um den Verkauf in Schwung zu bringen, wurde der bisherige Polestar Vertriebsvorstand Mike Whittington durch Kristian Elvefors ersetzt, der zuvor die Geschäfte für Volvo in Großbritannien leitete.

Auch bei Audi drücken die „Elektro-Schuhe“ erheblich

Auch bei Audi kommt es zu Sommerende zu entscheidenden personellen Veränderungen. Kaum war die Aufregung über die abrupte Ablösung von Audi-CEO Markus Duesmann – vormals BMW Vertriebsvorstand – und Ersatz durch Neu-CEO Gernot Döllner, Vertrauter von VW-CEO Oliver Blume, abgeklungen, trifft es den nächsten promineneten BMW-Abkömmling, Audi-Vertriebsvorständin Hildegard Wortmann.

Audi-CEO Gernot Döllner baut seinen Vorstand um: Fast genau auf den Tag ein Jahr nach seinem Amtsantritt zum 1. September 2023 besetzt der Audi-Chef das Vertriebsressort neu. Vorständin Hildegard Wortmann wird das Unternehmen verlassen. (Hildegard Wortmann: Audis Vertriebsvorständin geht | Automobilwoche.de). Hildegard Wortmann, gleichermaßen attraktiv wie ehrgeizig, kam 2019 im Gefolge von Duesmann von BMW zu Audi. Ihr Führungsstil polarisierte stets – in Ingolstadt hat sie große Fans, aber offensichtlich auch noch mehr Feinde.

Wortmann begann ihre Laufbahn 1990 als Produktmanagerin beim Konsumgüterhersteller Unilever. 1995 wurde sie Direktorin im globalen Marketing von Calvin Klein Cosmetics (Wiesbaden). In 1998 wechselte Wortmann die Branche und fing beim Autohersteller BMW an, zunächst als Referentin im Zentralen Marketing des Konzerns. Von 2001 bis 2007 leitete sie das Marketing von Mini. Mit Methoden des Guerilla-Marketing verhalf sie Mini laut Wikipedia zu deutlich mehr Beachtung.

Ab 2010 leitete sie das Produktmanagement aller Modellreihen. 2016 wurde sie als erste Frau mit der Gesamtleitung der Marke BMW betraut, bis sie 2018/19 nach Singapur versetzt wurde, um dort den BMW Vertrieb in der Wachstumsregion Asien-Pazifik – für viele ein Rückschritt in ihrer Karriere.
2019 machte Wortmann einen Karrierersprung, wechselte zu Audi und wurde als erste Frau in den Vorstand von Audi berufen. Sie übernahm den Bereich Vertrieb und Marketing. Zusätzlich zur Position bei Audi rückte Wortmann im Februar 2022 in den Vorstand des Mutterkonzerns Volkswagen auf. Ihr Amtsantritt führte zur medialen Anerkennung als eine der mächtigsten deutschen Managerinnen.

Im August 2022 wurde der Vorstand des Volkswagen-Konzerns umstrukturiert und verkleinert. Seitdem war Wortmann Mitglied der Erweiterten Konzernleitung. Sie hatte bis Ende August 2024 weiterhin die Gesamtverantwortung für den Vertrieb im Konzern. Zum 1. September 2024 verließ sie den VW-Konzern, gerade noch rechtzeitig, bevor CEO Oliver Blume die Krisenbombe platzen ließ.
Wortmann habe sich mit Audi auf eine einvernehmliche Vertragsauflösung geeinigt, berichtete die „Heilbronner Stimme“. Unter Vertriebsleitung von Hildegard Wortmann hatte Audi 2023 1,9 Millionen Fahrzeuge an den Kunden gebracht, der bisherige Höchststand bei Audi. Die Automobilwoche zeichnete die Top-Managerin dafür im Mai 2024 als „Managerin des Jahres“ aus.

Und jetzt das Aus. In diesem Jahr drückten massive Probleme in der Lieferkette und ein genereller Nachfrageeinbruch bei der Elektromobilität auf die Vertriebszahlen. Wortmann konnte den aktuellen Niedergang der Marke nicht verhindern. In den ersten sieben Monaten 2024 sank der Audi-Absatz in Europa um 7,5 Prozent, in Deutschland um 15,1 Prozent, verlor die Marke 1 Prozentpunkt Marktanteil (auf 7,2 vH in Deutschland, auf 5,1 vH in Europa). Auch die Einführung des Agenturmodells für Elektromodelle bei Audi erfolgte in diesem Jahr unter Wortmanns Verantwortung.

Nicht sicher Wortmann zuzuordnen ist die Idee, den Audi-Modellen in China das Markenzeichen der Vier Ringe nehmen – wäre aber Guerilla-Marketing in höchster Vollendung. Der Nachfolger von Hildegard Wortmann heißt Marco Schubert, ist ein Vertrauter von CEO Blume und kommt von Porsche.

Auch Marco Schubert, bis jetzt Top-Mann im Porsche-Europa-Vertrieb, hat einen langen Karriereweg hinter sich, vor allem durch den VW-Konzern und hier auch vor allem bei Audi selber, wo er in vielen Funktionen tätig war, zeitweise auch bei Skoda. Von 2019 bis 2021 war Ex-Vertriebschefin Wortmann seine Vorgesetzte, bis er zu Porsche wechselte, um dort das Europageschäft zu übernehmen. Jetzt kehrt er nach Ingolstadt zurück und beerbt seine ehemalige Chefin.

Marco Schubert, Markenzeichen: stets lächelnd, wird ein „Großartiger Sinn für Humor“ nachgesagt (Marco Schubert: Porträt von Audis designiertem Vertriebschef | Automobilwoche.de) Den wird Schubert bei Audi angesichts der strategischen Fehlentscheidungen seiner Vorgänger einseitig in Richtung Elektro-Mobilität, auch brauchen. Für den VW Konzern war Audi neben Porsche immer die Cash-Cow, die die Verluste der Marke VW ausbügeln musste. Da heißt es mit Ernst zupacken.

Humor wird Sanierer und Kostensenker (siehe Opel) Michael Lohscheller nicht nachgesagt. Lohscheller ist ein „Mann der Zahlen“. Da die Polestar-Probleme aber weniger bei den Produktionskosten in den chinesischen Fabriken und bei den amerikanischen und koreanischen Auftragsfertigern zu verorten sind, als vielmehr im mangelnden Absatz beim Produkt „electric only“ , steht Lohscheller noch ein langer Weg in unbekanntem und steinigem Gelände bevor. – Eine wahrhaft neue Aufgabe für den wendigen Marathonläufer.

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