Tichys Einblick
Wie erwartet: Treffen ohne Ergebnisse

Plattitüden und Selbstbetrug – Autogipfel endet im Nebel

Erwartungsgemäß vermied die Politik beim Autogipfel angesichts leerer Kassen Förderzusagen für E-Autos. Die Autobranche sprach gegen weitere Belastungen. Einigkeit herrschte, dass E-Autos billiger werden müssen, um das Ziel 15 Millionen zu erreichen – wer nicht gefragt wird, sind die Kunden.

IMAGO / Kirchner-Media

Laut Automobilwoche hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. November 2023 „die wichtigsten Protagonisten der Autoindustrie ins Kanzleramt geladen“. Die wichtigsten? Nicht ganz: BMW-Chef Oliver Zipse etwa war unabkömmlich und blieb zu Hause an der Isar. Ansonsten hatte Kanzler Scholz die Automobil-Runde im Kanzleramt, die er von seiner Vorgängerin Angela Merkel geerbt hatte, erheblich erweitert. Neben den CEOs von VW und Mercedes, Oliver Blume und Ola Källenius, waren auch die Zulieferer-Chefs Stefan Hartung von Bosch und Holger Klein von ZF laut Handelsblatt dabei, ebenso Tesla, das zwei Vertreter geschickt hatte.

Neben der Autoindustrie, den Gewerkschaften und den wichtigsten Ministerien waren nun auch Vertreter des Digitalverbands Bitkom, der Energie- und Wasserwirtschaft sowie Sachverständige geladen. Auf wissenschaftlicher Seite nahm unter anderem Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, am Gipfeltreffen teil. Noch wichtiger wäre es gewesen, wenn diejenigen, die Elektroautos kaufen sollen, aber dies nur ungern und offensichtlich nur unter finanzieller Staatsbeteiligung machen, also die Autokäufer selbst, mit am Tisch gesessen hätten. Das war aber nicht gewünscht.

Dieselprivilegien und Umweltboni

Die Positionen waren von Anfang an klar. Die Branche wollte darauf hinwirken, dass ihr angesichts der aktuellen Haushaltskrise keine weiteren Belastungen entstehen. Weitere Staatsgelder zu verlangen, sahen Branchenvertreter von vornherein als aussichtslos an, den jetzigen Förderrahmen zu bewahren als wichtigsten Punkt.

Der jetzt geltende Förderrahmen stützt das Geschäftsmodell der Autoindustrie, das auf den Verkauf von Verbrennern baut. Beispiel Dienstwagen: Bislang müssen Dienstwagennutzer ein Prozent des Bruttolistenpreises versteuern. Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, warnt vor einer Anpassung der Dienstwagenbesteuerung zum Nachteil von Verbrennern.

Automobil-Ökonom Bratzel schlug vor, vor allem über Dienstwagen mehr E-Autos zuzulassen. Dafür müsse es stärkere steuerliche Anreize geben. Der Ökonom nannte die Erhöhung des geldwerten Vorteils für batterieelektrische Fahrzeuge, der nicht versteuert werden muss, und gleichzeitig die Verschlechterung bei Verbrennern als Möglichkeit (Handelsblatt).

So wundert es nicht, dass als wichtiger Faktor beim Gipfeltreffen immer wieder der Umweltbonus genannt wurde, der staatliche Zuschuss beim Kauf eines E-Autos. Dieser sollte weiter aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden, den das Verfassungsgericht beanstandet hat. Wie es mit dem Umweltbonus nun weitergeht, konnten Kanzler Scholz und seine Minister beim Gipfel nicht aufklären.

Konkrete Gipfel-Ergebnisse blieben erwartungsgemäß aus, angesichts leerer Kassen vermied die Politik peinlichst finanzielle Förderzusagen für E-Autos. Das komparativ Kostspieligste an der Veranstaltung war der Zeitaufwand der hochrangingen Teilnehmer aus der Autoindustrie.

Angriff ist die beste Verteidigung

Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ stellte das Kanzleramt in geschickter Regie an den Beginn des mittäglichen Gipfelsturms einen geharnischten Report des Leiters des Center of Automotive Management (CAM) Stefan Bratzel über den Zustand der deutschen Autoindustrie – Hersteller wie Zulieferer – nebst industrieller sowie dienstleistungsmäßiger Entourage. „Eine Runde, vor der Stefan Bratzel kein Blatt vor den Mund nahm“ (Süddeutsche Zeitung).

Der Autoforscher stellte beherzt fest, was spätestens seit der IAA 2023 in München der Branche in den deutschen Fachmedien wiederholt vorgeworfen worden war. Die deutsche Autoindustrie sei in einer kritischen Übergangsphase. Vor allem bei den Innovationen hätten sich die Deutschen abhängen lassen. Chinesische Hersteller und Tesla seien aber nicht nur schneller und innovativer, sondern produzierten auch deutlich günstiger. „Wie brauchen eine neuen Angreifermentalität“, forderte Bratzel, denn angreifen müsse nur, wer … nicht in Führung liege (Süddeutsche Zeitung).

Welch harsche Vorwürfe an die Autobranche, und vor allem ihre führenden Köpfe, welch jäher Absturz von Blume, Källenius & Co. innerhalb von nur sechs Monaten. Denn noch im Juli 2023 hatte Stefan Bratzel bei der jährlichen Vergabe des AutomotiveINNOVATIONS Awards 2023 festgestellt: Volkswagen ist der innovativste Automobilkonzern der Welt / Vorjahressieger Mercedes-Benz landet auf Platz 2 und verteidigt die Pole-Position unter den Premiummarken.

Ranking bei Innovationsleistungen

Zum Allgemeingut gehört inzwischen die Erkenntnis, dass es maßgeblich von ihrer Innovationsfähigkeit abhängt, wie gut die Automobilindustrie die anstehende Transformation bewältigen wird. Doch wie innovativ sind die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer im globalen Kontext? Selbiges ermittelt das Center of Automotive Management (CAM) seit 2005 im Rahmen der AutomotiveINNOVATIONS-Studie (Studienleiter Stefan Bratzel).

Dafür nimmt das CAM herausragende Innovationsleistungen von Herstellern und Zulieferern weltweit genau unter die Lupe. Auf einer breiten Datenbasis von über 1.000 Innovationen jährlich zeichnet das CAM im Anschluss gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers Deutschland (PwC) die innovativsten Konzerne, Marken und Produkte der Automobilbranche aus – 2023 bereits zum zwölften Mal.

Immer schlugen sich bei diesem Innovationsranking die deutschen Autobauer exzellent und belegten wechselweise die ersten Plätze. Noch im Sommer 2021 stellte CAM-Leiter Bratzel fest: „Die deutschen Automobilhersteller schlagen sich aus Innovationssicht bislang sehr gut!“ Volkswagen fährt im internationalen Vergleich der Automobilhersteller mit den meisten technologischen Innovationen auf. Allerdings schafften es bereits damals drei chinesische Autokonzerne unter die zehn Bestplazierten des Innovationsrankings.


Für das Ranking analysierten die Autoexperten die technologischen Innovationen von 30 globalen Autoherstellern mit insgesamt rund 80 Automarken. 654 technologische Innovationen wurden einzeln erfasst und nach Kriterien wie Originalität und Kundennutzen bewertet.

Das Ergebnis 2021: Volkswagen erreicht mit insgesamt 67 Innovationen, darunter 24 Weltneuheiten, einen Indexwert von 149 und landete damit vor Daimler mit einem Indexwert von 133 auf dem ersten Platz. Bereits im Vorjahr hatten die Wolfsburger das Ranking angeführt. Den dritten Platz belegte Tesla mit einem Indexwert von 93. Volkswagen punktete insbesondere mit Innovationen im Bereich Elektromobilität und Benutzeroberfläche, wie Bratzel damals erläuterte.

Daimler beeindruckte mit den Neuerungen im Bereich Autonomes Fahren. Tesla verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr um drei Plätze, unter anderem wegen der hohen Ladeleistung und Reichweite seiner Modelle.


Das Bild hat sich der Grundtendenz nach im Sommer 2023 nicht geändert, mit der einzigen Ausnahme, dass nun Volkswagen von Stefan Bratzel wieder als innovativster Autokonzern der Welt mit dem InnovationsAward 2023 ausgezeichnet wurde. „Volkswagen konnte sich den Spitzenplatz zurückerobern, weil der Konzern viele Weltneuheiten in fast allen Technologiebereichen entwickelt hat, die überdurchschnittlich oft bereits in Serie verfügbar sind“ (Felix Kuhnert, Automotive Leader bei PwC Deutschland) – aber offenbar im E-Werk Zwickau am Band nicht so oft gebraucht werden.

Und vermutlich auch in Zukunft nicht gebraucht werden, denn, so PwC-Experte weiter: „Bemerkenswert ist …, dass sich in den Top-15 der innovationsstärksten Automobilhersteller mittlerweile sechs chinesische Unternehmen befinden. Die Aufholjagd der chinesischen Player in Sachen Innovationsstärke erhöht den Druck auf die bisherigen Spitzenreiter.“ Vorjahressieger Mercedes-Benz landet auf Platz 2 und verteidigt die Pole-Position unter den Premiummarken. Mit Geely steht erstmals ein chinesischer Konzern auf Rang 3 der innovativsten Autofirmen. Mit SAIC schafft es ein weiteres Unternehmen aus dem Reich der Mitte unter die High Performer; auf Rang fünf folgt Ford.

Im Kreis der Premiummarken landet Vorjahressieger Mercedes-Benz wieder erneut mit weitem Abstand auf Platz 1. Die Stuttgarter Marke belegt durchgehend seit 2018 den ersten Rang in dieser Kategorie. Auf Platz zwei folgt BMW und auf dem dritten Platz Tesla. „Klarer Schwerpunkt von Mercedes-Benz ist 2022 der Elektroantrieb mit vielen Verbrauchs- und Reichweitenrekorden in den jeweiligen Segmenten. Aber auch hier wird die Strategie der chinesischen Hersteller deutlich, den etablierten Marken nicht nur im Volumen-, sondern auch im Premiumbereich Konkurrenz zu machen. Unter den Top-10 befinden sich fünf chinesische Marken mit Premium-Anspruch.“ (Stefan Bratzel).

Einigkeit darin, dass E-Autos billiger werden müssen

Fakt ist, dass beim Autogipfel im Kanzleramt Bundesregierung und Industrie einen Schulterschluss beim Ausbau der Elektromobilität gesucht, aber nicht gefunden haben. Der Sprecher der Bundesregierung teilte nach dem Treffen im Kanzleramt am Montag zwar mit: „Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass mit Blick auf den Hochlauf der Elektromobilität, aber auch die digitale Transformation, eine erfolgreiche Zukunft automobiler Wertschöpfung in Deutschland nur gemeinsam erreicht werden kann.“ Das war aber auch die einzige Einigkeit.

Im Mittelpunkt des Gesprächs hat die Frage gestanden, wie das Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis 2030 in Deutschland erreicht und die Verbreitung von vollelektrischen Pkw langfristig gestärkt werden kann (Automobilwoche). Die Teilnehmer der Runde seien sich einig gewesen, dass die Anschaffungskosten von elektrischen Pkw gesenkt werden müssten, um das Ziel von 15 Millionen E-Autos zu erreichen, so der Regierungssprecher. Die Politik fordert von der Industrie billigere und massentaugliche Elektroautos. Auch die Modellbreite müsse erhöht werden.

Über mögliche neue Fördermaßnahmen des Staates wurde allerdings nichts bekannt – angesichts leerer Staatskassen kein Wunder. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) begrüßte später das klare Bekenntnis der Automobilindustrie, auch selbst (!) in Ladeinfrastruktur zu investieren – dies sei beim Autogipfel bekräftigt worden. Die Transformation könne nur gemeinsam gelingen. Umgekehrt fordert die Autoindustrie von der Politik Mantra-mäßig bessere Rahmenbedingungen für die Elektromobilität. „Das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen E-Autos in Deutschland im Jahr 2030 ist sehr ambitioniert“, so VDA-Präsidentin Hildegard Müller zurückhaltend.

Allein die deutschen Hersteller werden bis zum Jahr 2030 deutlich mehr als 15 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge produzieren. „In welchen Märkten diese Fahrzeuge abgesetzt werden, hängt von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab“, ergänzte Müller. Wie stark der Wettbewerb zwischen den Absatzmärkten ist, zeige sich am Exportanteil von in Deutschland produzierten BEV-Modellen. Dieser betrage 77 Prozent. Weltweit böten die deutschen Hersteller aktuell etwa 130 E-Modelle in allen Segmenten an. Möglicher Engpass sei nicht das Angebot an Modellen, sondern es komme auf die drei Säulen 1) Infrastruktur, 2) eine Politik, die auf Anreize setze, sowie 3) die entsprechenden Nutzungskosten inklusive Strompreis an.

Mit Blick auf den ausgeprägten internationalen Standortwettbewerb müsse die Ampel engagierter und entschlossener als bisher den Abschluss von Energiepartnerschaften sowie Handels- und Rohstoffabkommen vorantreiben, um den Industriestandort Deutschland nachhaltig zu stärken. Vor allem die Zielsetzung der Bundesregierung, bis 2030 15 Millionen Fahrzeuge mit Batterieantrieb (BEV) auf deutschen Straßen unterwegs sein zu lassen, wurde heftig kritisiert. Zwischen der aktuellen Ausgangsbasis mit rund 1,5 Millionen BEV klafft da eine Lücke von 13,5 Millionen E-Autos. Diese wäre innerhalb von 7 Jahren zu schließen, was ein jährliches Zulassungs- und Produktionsvolumen (ohne Verschrottung, ohne Import) von rund 2 Millionen BEV p.a. bedeuten würde. Ohne Importe und Exporte gerechnet, wäre das viermal mehr als die Branche heute herstellt. Ein Rückbau von Produktionskapazitäten wie bei VW in Zwickau passt dazu überhaupt nicht.

Mit diesen gegenseitigen Forderungen, auf die Antworten angesichts der fatalen Haushaltslöcher ausblieben, ging man zufrieden auseinander. Ein neuer Autogipfel wurde nicht in Aussicht gestellt.

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