Manchmal kann man als Beobachter der Automobilszene nur den Kopf schütteln! Und wird fatal an den APO-Slogan Ende der 60er erinnert, der da lautete:“ Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ Entsprechend scheint in der deutschen Autoindustrie zu gelten: Die Hersteller produzieren inzwischen wieder so viele Autos wie vor der Krise – und keiner freut sich!
- Da hat die deutsche Autoindustrie als Folge der Corona Pandemie und des weltweiten Lockdown bei allen wesentlichen Schlüsselzahlen wie Neuzulassungen, Produktion und Export, den schlimmsten Einbruch seit der Weltfinanzkrise in 2009 hinter sich und wird mit Milliardenbeträgen vom Staat gestützt.
- Da brachen Pkw-Produktion und -Eport im Frühjahr zeitweise um fast 100 Prozent, die heimischen Neuzulassungen um fast 70 Prozent ein.
- Da wurde von allen Beteiligten, vor allem in der notleidenden Zulieferindustrie, nicht sehnlichster als eine konjunkturelle Besserung der Lage gewünscht.
Und dann tritt diese Besserung pünktlich vor dem Weihnachtsfest endlich ein und das Wachstum beginnt mit kräftig positiven Zuwachsraten (wie in den TE-Branchenreports wiederholt angekündigt; Anmerk. d. Verf.) – und keiner in der Branche nimmt Notiz davon. Als ob man davor zurückschrecken würde, die Wohlfühl-Hängematte der staatlichen Fürsorge nun verlassen zu müssen.
Wie dem auch sei, der Verband der Automobilindustrie (VDA) jedenfalls ging in seiner monatlichen Berichterstattung auf dieses denkwürdige Ereignis nicht ein. Stattdessen ist der Monatsbericht Dezember betitelt: „Erneuerung der älteren Fahrzeuge stockt“. Verbandspräsidentin Hildegard Müller konzediert zwar, dass es in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Erholung gab, sorgt sich aber mehr darum, dass als Folge des Einbruchs „ …modernste Fahrzeuge in geringerer Zahl auf den Markt kommen, und daher ältere Wagen länger gefahren werden. Das ist nicht gut für die Klimabilanz.“ Womit sie natürlich Recht hat!
Automobilindustrie weiter auf Erholungskurs
Die Erholung der Autokonjunktur vom Sommer setzte sich im November weiter fort, wenngleich das Andauern der Corona-Krise die Stimmung am Markt und vor allem die Nachfrage aus dem Lager der Selbständigen und Kleinunternehmen weiter belastete. Dafür entwickelt sich die aufgestaute Nachfrage der Privaten auffallend positiv.
- Im November wurden in Deutschland lt. KBA 290.150 Pkw neu zugelassen, drei Prozent weniger als im Vorjahresmonat. In den ersten elf Monaten des laufenden Jahres erreichte der Inlandsmarkt ein Volumen von 2,6 Mio. Pkw (-22 Prozent). Im Gesamtjahr 2020 ist mit ca. 2,9 Millionen neuen Pkw mit einem deutlichen Rückgang gegenüber 2019 von 20 Prozent zu rechnen.
- Gegen den Markttrend nahm im November die Anzahl privater Zulassungen um +22,8 Prozent zu, ihr Anteil erhöhte sich weiter auf 39,4 Prozent. Die gewerblichen Zulassungen dagegen gingen um -14,7 Prozent zurück.
- Neuzulassungen mit alternativen Antrieben erfuhren im November eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vergleichsmonat 2019. Batterie Elektrofahrzeuge (BEV) legten mit 28.965 um +522,8 Prozent zu, Plug-In-Hybride (PHEV) verzeichneten mit 30.621 einen Zuwachs von +383,4, alle Hybride zusammen mit 71.904 Fahrzeugen ein Plus von +177,2 Prozent. Flüssig- und Erdgasfahrzeuge erzielten zusammen ein Plus von +51,9 Prozent, spielten aber mit einem Marktanteil von lediglich 0,5 vH praktisch keine Rolle.
- Tesla, die kalifornische Elektroauto-Marke, konnte im November 1680 E-Autos zulassen, +500,0 Prozent mehr als im November 2019 (!). Von Januar bis November konnte der automobile Neubürger aus Grünheide in Deutschland als führendem europäischen Markt für Elektroautos 13.149 Fahrzeuge verkaufen, 37,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Das heißt, der Anteil von Tesla am gesamten BEV-Markt beträgt lediglich 5,8 vH – deutlich weniger als in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Am Gesamtmarkt hat Tesla einen Anteil von 0,5 vH. Da bleibt viel Raum nach oben um die Kapazitäten von 500.000 Einheiten Jahresproduktion der Gigafactory in Grünheide, von Elon Musk kurz „Giga Berlin“ getauft, zu füllen.
- Den größten Anteil an den Neuzulassungen im November hatten weiterhin mit 40,4 vH die Benziner, auch wenn deren Neuzulassungsvolumen gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um -32,3 Prozent zurückging, gefolgt von den Diesel-Pkw, deren Anteil nach einem Minus von -25,2 Prozent 24,3 vH betrug. Memo: Vor zwei Jahren war der Anteil noch doppelt so hoch.
Die Pkw-Produktion konnte im November mit 449.900 Einheiten erstmals in diesem Jahr mit einem Plus von 7 Prozent aufwarten, wenn auch unterstützt durch einen zusätzlichen Arbeitstag. Allerdings lag die Pkw-Inlandsfertigung im bisherigen Jahresverlauf (Januar – November) mit 3,2 Mio. Einheiten noch deutlich unter dem Vorjahreswert (-26 Prozent). Im Gesamtjahr wird sie mit rund 3,5 Millionen (-25 Prozent) auf den niedrigsten Stand seit 45 Jahren gesunken sein.
Die Produktion von Elektro-Pkw hat sich in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres – trotz der Anlaufschwierigkeiten des ID.3 bei VW – auf knapp 250.000 verdoppelt. Und die Dynamik nimmt zu: Allein im September verdreifachte sich die Inlandsproduktion von E-Autos auf den neuen Höchstwert von über 62.200 Elektro-Pkw. Das heißt, dass gegenwärtig bereits jeder sechste in Deutschland hergestellte Pkw einen Elektroantrieb hat. Dieser Trend wird sich nach Auffassung des VDA fortsetzen.
Ebenfalls von der Öffentlichkeit kaum bemerkt hat sich 2020 in der deutschen Autoindustrie ein Beschäftigungswunder abgespielt. Trotz des Produktionseinbruchs von 25 Prozent waren im September 2020 genau 803.575 Mitarbeiter beschäftigt, kaum weniger als ein Jahr zuvor (833.405). Hierin spiegelt sich der große Erfolg der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung – Stichwort: Kurzarbeit.
Wie nicht anders zu erwarten entwickelte sich der Pkw-Export ähnlich wie die Produktion. Im November wurden 340.000 Pkw aus Deutschland exportiert (+ 11 Prozent), im bisherigen Jahresverlauf (Januar – November) waren es allerdings nur 2,4 Mio. (-26 Prozent). Der Export dürfte im Gesamtjahr 2020 mit 2,6 Mio. Pkw um 25 Prozent unter dem Vorjahreswert liegen.
Prognosen sind immer schwierig, aber die anhaltende Corona Pandemie und die unübersichtliche Lockdown-Ausgangslage machen Prognosen über die Marktentwicklung 2021 besonders schwierig. Unsicher ist vor allem, wann der Impfstoff in welchen Mengen kommt und wie er wirkt, und wie die Reaktion der Konsumenten und Investoren darauf ist.
VDA-Präsidentin Müller vertritt folgende vorsichtig zuversichtliche Auffassung: „Auf dem Pkw-Inlandsmarkt erwarten wir im kommenden Jahr ein Wachstum von 9 Prozent auf 3,1 Mio. Neuzulassungen. Damit ist das Vor-Krisenniveau (3,5 Mio.; Anmerk. d.Verf.) allerdings noch in weiter Ferne. Auch die Pkw-Produktion und das Exportgeschäft dürften sich im kommenden Jahr erholen. Wir rechnen mit einer Produktion von 4,2 Mio. Pkw im Jahr 2021 in Deutschland. Dies bedeutet einen Anstieg um 20 Prozent gegenüber 2020, aber die dramatischen Rückgänge werden damit noch längst nicht ausgeglichen …. Der Export dürfte im kommenden Jahr ebenso steigen wie die Produktion: Auch hier wird ein Plus von 20 Prozent auf 3,1 Mio. Pkw erwartet.“
Dieser Sicht schließen wir uns an, dem ist nichts hinzuzufügen. Außer der auf langjähriger Erfahrung gegründeten Hoffnung des Automobilökonomen, dass alles besser kommen kann als heute absehbar. Denn aufgestauter Bedarf ist da! Hat sich einmal die Meinung in der Gesellschaft durchgesetzt, mit dem Impfstoff sei eine absehbare Rückkehr zu normalen Zeiten gesichert, kann die Markterholung auch stürmischer ausfallen als heute vorstellbar. Die Erfahrungen mit ähnlichen Schocks in den letzten 50 Jahren lassen solche Vorstellungen zu.