Tichys Einblick
Folgen der ökologischen Klimapolitik

Mit Habeck in die Deindustrialisierung

Unter den Prämissen der ökologischen Klimapolitik hat ein großer Teil der Industrie keine Zukunft in Deutschland. Mit Subventionen und Propaganda soll dies möglichst lange verschleiert werden.

IMAGO/photothek

Deindustrialisierung sei, so Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nur ein „Schlagwort […], das in interessierten Kreisen zirkuliert“. Es werde „der Wirklichkeit und Dynamik überhaupt nicht gerecht“, denn „wir registrieren gerade große Investitionen in Deutschland“. Deutschland sei im Vergleich zu den USA und China nicht nur konkurrenzfähig, sondern sogar „megastark“.

Hohe Energiepreise für Erzeuger sieht Habeck in dieser Hinsicht dennoch als Problem. Anfang Mai hat sein Ministerium ein Arbeitspapier vorgelegt, demzufolge der Strompreis für energieintensive Industrien mit staatlichen Mitteln, vorläufig sind 30 Milliarden Euro vorgesehen, auf 6 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden sollte.

Tatsächlich liegen die Industriestrompreise in Deutschland im internationalen Vergleich auf einem Spitzenniveau. Energieintensive Unternehmen zahlen in Deutschland mehr als 8 Cent pro Kilowattstunde (kWh), in den USA und in China hingegen weniger als die Hälfte. Noch gravierender sind die Unterschiede für mittelgroße und durchschnittliche Industrieverbraucher (20 bis 2000 Megawattstunden pro Jahr). 2018 mussten diese Unternehmen in Deutschland einen Strompreis zwischen 15 und 17 Cent pro kWh hinnehmen – in Polen 11 Cent, in Ungarn 8 bis 10 Cent, in der Türkei und den USA nur etwa 6 Cent.

Abwärts mit der Industrie

Seit dem Beginn der ökologischen Klimapolitik vor mehr als zwei Jahrzehnten geht von steigenden Energiekosten eine schleichende Deindustrialisierung aus. Dies zeigt sich insbesondere in den energieintensiven Branchen. Im konjunkturellen Aufschwung kurz vor der Finanzkrise 2008 erreichte die Wertschöpfung der energieintensiven Industrien ihren bisherigen Höhepunkt. Seitdem geht es abwärts. Bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs war die Produktion bereits um zehn Prozent geschrumpft. Wegen der vorübergehend drastisch gestiegenen Energiepreise, vor allem für Gas und Strom, ist die Produktion seitdem um weitere knapp 20 Prozent eingebrochen und hat sich nicht wieder erholt. Ganz im Gegenteil geht es im Zuge der Rezession weiter deutlich abwärts. Die Unternehmen haben die Produktion zurückgefahren oder stillgelegt, und sind, wo dies aufgrund vorhandener Kapazitäten möglich war, auf andere Standorte im Ausland ausgewichen. Somit liegt das derzeitige Produktionsniveau etwa 30 Prozent niedriger als noch vor der Finanzkrise 2008.

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Die aus Produktionseinstellungen und Produktionsverlagerungen resultierenden Stilllegungen und Betriebsaufgaben sind für die Unternehmen einschneidend, da sie voll funktionsfähige und bisher profitable Anlagen betreffen. Dennoch dürfte vielen Unternehmen dieser Schritt relativ leichtgefallen sein, da sie sich strategisch längst auf steigende Energiekosten ausgerichtet haben. Die aktuelle Energiekrise erforderte oft nur eine zügige, wenn auch meist wirtschaftlich schmerzhafte, Umsetzung langfristiger Planungen. Denn seit Jahrzehnten desinvestieren die energieintensiven Unternehmen in Deutschland, so dass viele Anlagen längst oder zum großen Teil abgeschrieben sind. So war das Nettoanlagevermögen in der Baustoffindustrie von 2000 bis 2016 um knapp 39 Prozent gesunken, in der Papierindustrie um 31 Prozent, in der Metallerzeugung und -bearbeitung um 16,1 Prozent und in der Chemieindustrie um 12,4 Prozent. Dieser Negativtrend eines sinkenden Kapitalstocks hat sich seitdem fortgesetzt.

Die niedrigen Investitionen senken die Betriebskosten, so dass die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders hohen Energiekosten bis zu einem gewissen Punkt ausgeglichen werden können. Die Unternehmen, so der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, fahren auf Verschleiß, indem sie zwar noch Geld in den Erhalt bestehender Anlagen stecken, aber neue Investitionen seien rar. Diese betriebswirtschaftliche Strategie kippt, sobald die eingesparten Investitionskosten nicht mehr ausreichen, um die höheren Energiekosten zu kompensieren.

Im verarbeitenden Gewerbe, das die energieintensiven Industrien einschließt, stieg die Produktion vom konjunkturellen Höhepunkt 2008 bis zum nächsten Höchststand 2018 nur noch um fünf Prozent. Infolge der 2019 einsetzenden Industrierezession und der anschließenden Corona-Krise ging dieser Produktionszuwachs bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs vollständig verloren.

Inzwischen liegt die Industrieproduktion deutlich unter dem Niveau von 2008 und sie schrumpft weiter, obwohl die Belastungen durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg weitgehend überwunden sind. Zyklische Krisen sind nun nicht mehr von einem Wachstumstrend überlagert, der in Jahrzehnten zwar immer schwächer wurde. inzwischen geht die Industrieproduktion während Krisen vielmehr so stark zurück, dass sie nur noch sehr schleppend – oder nicht einmal – wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Auf Sand gebaut

Mit einem energiepolitischen Seiltanz wird seit den Anfängen der ökologischen Klimapolitik vor mehr als 20 Jahren versucht, deren zwangsläufige Belastungen der Industrie auf ein erträgliches Maß herunter zu subventionieren. Das ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Die zur ökologischen Transformation bis hin zur angestrebten Klimaneutralität anfallenden Kosten sind so gigantisch, dass es auf Dauer nicht gelingen kann, die Industrie ganz oder teilweise davon auszunehmen, denn auf sie entfällt knapp ein Drittel des Endenergieverbrauchs in Deutschland.

Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW)
Studie: Deutschland wird bei Investitionen abgehängt
Die ökologischen Prämissen der Klimapolitik bestehen in einer möglichst drastischen Senkung des Energieverbrauchs, so dass der verbleibende Bedarf vollständig mit Hilfe erneuerbaren Energien – in Deutschland in erster Linie Wind- und Sonnenenergie – gedeckt werden kann. Die Förderbank KfW schätzt, dass dazu noch etwa 5 Billionen Euro, das entspricht jährlich etwa 250 Milliarden, in einen neuen Kapitalstock investiert werden müssen, um in Deutschland die Transformation zur Klimaneutralität zu schaffen.

Zu diesen erheblichen Investitionskosten kommen jedoch kontinuierlich steigende Energiepreise hinzu, die sich unter den ökologischen Prämissen und nach erfolgter Transformation auf einem wesentlich höheren Niveau als heute bewegen werden. Denn im besten Fall, so Ifo-Präsident Clemens Fuest, führt die geplante klimaneutrale Transformation der Wirtschaft dazu, dass der alte Kapitalstock einfach durch einen neuen ersetzt werde. Zusätzliche, günstigere Energieerzeugungskapazitäten würden jedoch nicht entstehen.

Anders als Scholz prognostiziert er daher für die nächsten Jahrzehnte „eher Schweiß und Tränen als großen Boom“. Im ungünstigeren Fall – den Fuest nur impliziert, der jedoch dem Lauf der Dinge entspricht – ist dieser klimaneutrale Kapitalstock deutlich unproduktiver als der auf hohe Produktivität getrimmte, bisherige Kapitalstock. Es kommt daher nicht einfach nur zu einem extrem teuren Austausch des Kapitalstocks, sondern auch zu dauerhaft wesentlich höheren Energiepreisen.

Deindustrialisierung verschleiern

Das ist auch Habeck bewusst, dessen Ministerium unmissverständlich schreibt, dass die „für die Dekarbonisierung der Industrie notwendige Modifizierung von Produktionsverfahren […] nicht nur mit erheblichem Investitionsaufwand [einhergeht], sondern auch mit stark erhöhten Betriebskosten. Sie entstehen vor allem durch den Einsatz von grünem Strom bzw. grünem Wasserstoff.“

Große Transformation der Stahlindustrie
Klimaschutzverträge: Das Geld anderer Leute
Um jedoch diese langfristig schwerlich vermeidbaren Folgen der ökologischen Klimapolitik möglichst zu verschleiern, werden gigantische Subventionen mobilisiert. Für die Umstellung erster Hochöfen der Stahlkonzerne Salzgitter und Thyssenkrupp auf Wasserstofftechnologie haben Bund und Länder bereits 3 Milliarden Euro an Investitionshilfen zugesagt. Habecks Ministerium strickt gerade an sogenannten Differenzverträgen, mit denen die Produktionskosten beim Einsatz grüner Energie auf ein Niveau gesenkt werden sollen, das die Unternehmen wettbewerbsfähig hält. Vorerst ist ein mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag für die kommenden 15 Jahre vorgesehen, um energieintensive Unternehmen in die Wettbewerbsfähigkeit hinein zu subventionieren.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm, eine „Wirtschaftsweise“ aus dem Sachverständigenrat, hält dies für einen schweren Fehler. „Nicht wettbewerbsfähige Firmen per Industriestrompreis aufrechtzuerhalten, gefährdet Deutschlands Zukunftsfähigkeit“, da nicht auf Unternehmen gesetzt werde, die auch bei hohen Strom- und Energiepreisen in Deutschland wettbewerbsfähig sind, sagt sie. Die Stromsubvention halte Unternehmen am Leben, die im globalen Wettbewerb keine Chance hätten und später sowieso aufgeben müssten. Noch deutlicher wurde nun der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick: „Der Industriestrompreis ist ein Fehler. Wir sollten das Geld nicht in die energieintensive Industrie stecken, sie wird auf Dauer ohnehin verschwinden“, sagte Schularick der Rheinischen Post. Was auch immer diese beiden Ökonomen von der Energiepolitik halten mögen, sie sprechen jedenfalls die langfristigen Konsequenzen der ökologischen Klimapolitik offen aus.

Propaganda aus Politik und Wirtschaft

Die Deindustrialisierung in Deutschland ist in vollem Gang. Bisher gelingt es jedoch recht erfolgreich, dies zu verschleiern, indem dem vielen schlechten Geld, das die unter ökologischen Prämissen forcierte Transformation bisher gekostet hat, immer mehr gutes Geld hinterhergeworfen wird. Wir erleben nicht etwa eine Übergangsphase, in der – wie Habeck behauptet – ein „mittelfristiger Brückenstrompreis“ herbeisubventioniert werden muss, bis dann billigste erneuerbare Energie bereitsteht, die nach durchgestandener Transformation für sagenhaft niedrige Strompreis sorgt.

Rückzug in die eigene Blase
Robert Habeck steht in der Tradition der Reaktionäre des 19. Jahrhunderts
Das propagieren auch die Industrieverbände, wie etwa der VCI. Der geplante Industriestrompreis von vier bis sechs Cent sei „alternativlos“, so dessen Hauptgeschäftsführer Große Entrup, und zwar nicht als „Dauerlösung, sondern als Brücke in die Zukunft, bis genügend grüne Energie zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen“ zur Verfügung stehe. Auf einer Veranstaltung des BDI hatte Bundeskanzler Scholz kürzlich erklärt, dass der Staat diese verlässliche Brücke baue, damit die Unternehmen auf Klimaneutralität setzen könnten, „auch dann, wenn die neuen Verfahren und Technologien nicht unmittelbar rentabel sind“. Da er die Energiewende jedoch „vom Ende her“ denke, stehe sein „Ziel, […] ein Industriestrompreis von vier Cent“.

Das alles ist billige Propaganda, die mitsamt gigantischen Subventionen letztlich darauf abzielt, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen, damit sie die gigantischen und dauerhaften Belastungen durch steigende Energiepreise und Investitionen, die sie letztlich tragen müssen, nicht erkennen. Obendrein sollen sie den zwangsläufigen Verlust relativ gut bezahlter Industriearbeitsplätze möglichst lange nicht durchschauen.

Die anstehenden Wohlstandsverluste der erwerbstätigen Massen werden dazu führen, dass dieser Klimapolitik früher oder später die Puste ausgeht. Aber dann könnte es für viele Industriebereiche zu spät sein. Um diesen Schrecken ohne Ende zu vermeiden, dürfen – ähnlich wie von Grimm und Schularick (aus womöglich ganz anderer Motivation heraus) gefordert – die Folgen dieser Klimapolitik nicht wegsubventioniert werden. Dann wären diese wohlstandsvernichtenden Folgen zügig erkennbar und es könnte ein Ende mit Schrecken geben.


Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

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