Tichys Einblick
Haushalt und Konjunkturprognose

Marcel Fratzscher beschwört den Aufschwung – die Ampel folgt ihm in die Irre

Das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft kommt für viele Journalisten „überraschend“. Auch die Politiker der Ampel gehen weiter von Wachstum aus. Ihre Verweigerung gegenüber der Realität hat Folgen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher, Berlin, 21.03.2024

Nach dem Häuptling war der Regenmacher der wichtigste Mann der Indianer. Wenn die Felder zu vertrocknen drohten, beschwor er die Götter. In einem spirituellen Akt versuchte er den Regen herbeizuregnen. Der Regenmacher von Häuptling Vergesslich ist Marcel Fratzscher. Offiziell der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Für deutsche Journalisten ein „Top-Ökonom“. Und für welche, die sich einen klaren Blick auf die Wirtschaft wünschen – statt Ampel-Beschwörung – ein Mann mit einer wirklich unglücklichen Serie an verpatzten Vorhersagen. Auf X gehen einige Nutzer so weit, ihn den „perfekten Kontraindikator“ zu nennen. Das heißt: Wenn Fratzscher Regen vorhersagt, sollte man lieber mal die Gießkanne parat halten.

Für die, die Fratzscher Top-Ökonom nennen, ist es eine gute Nachricht, wenn sein Institut für dieses Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent für dieses Jahr vorhersagt, und für nächstes Jahr gleich eins von 1,3 Prozent. Für die, die in Fratzscher den „perfekten Kontraindikator“ sehen, heißt das, die deutsche Wirtschaft geht nun endgültig die Bachgass‘ runter. Wer behält recht? Bevor die Europameisterschaft losging, sagte Fratzschers Institut voraus, dass diese die Konsumlust der Deutschen stimulieren würde. Als das Turnier lief, meldeten die Brauereien, dass der Bierkonsum einbricht. Mitten im Sommer. 1:0 für Team Kontraindikator.

Nun liegt die Bilanz des Statistischen Bundesamtes zum zweiten Quartal vor. In dem auch die besagte Europameisterschaft stattfand. Nüchterne Zahlen statt esoterischem Regentanz. Die Zahlen sind eindeutig: Jeweils um 0,1 Prozent ging das Bruttoinlandprodukt kalenderbereinigt zurück – im Vergleich zum ersten Quartal 2024 wie im Vergleich zum zweiten Quartal 2023. Die deutsche Wirtschaft schrumpft, obwohl die Bevölkerungszahl als Folge der Einwanderung steigt. Das heißt: Die Deutschen werden ärmer. Das Team Fratzscher geht mit einem 0:5 in die Kabine.

„Leiche Deutschland“
Der einstige Wirtschaftsmotor im Abschwung – Bloomberg: „Scholz scheitert“
Blöd nur. Die Ampel gehört zum Team Fratzscher. Wenn ihr Marcel sagt, starke Sozialleistungen brächten die Wirtschaft nach vorne, dann haut Kanzler Olaf Scholz (SPD) das Bürgergeld raus, als gäbe es kein Morgen mehr. Wenn der „Top-Ökonom“ von der deutschen Energiewirtschaft Ähnliches behauptet, dann lässt der zuständige Minister Robert Habeck (Grüne) die Gasleitungen aus der Erde reißen. Und wenn der „Top-Ökonom“ Wachstum vorhersagt, übernimmt Finanzminister Christian Lindner (FDP) diese Zahlen in seinen Haushalt.

Sechs Milliarden Euro Einnahmen stehen in Lindners Entwurf für den Haushalt 2025. Diese möchte der Finanzminister durch Wachstum einnehmen, das auf Beschlüssen der Ampel beruhen soll. Für diese Beschlüsse gibt es größtenteils noch keine Entwürfe, keine Abstimmung in den Fraktionen und keine (notwendige) Mehrheit in der Länderkammer Bundesrat. Trotzdem weiß Lindner bereits, dass er daran sechs Milliarden Euro verdienen wird. Würde der FDP-Chef im Unterhemd um die Siegessäule tanzen und „Heiaheiaheiahee“ skandieren, würde das seine Finanzpolitik auch nicht mehr wesentlich unseriöser machen.

Die „deutsche Wirtschaft schrumpft (sinkt) überraschend“. Zumindest überraschend für den Tagesspiegel, NTV, den BR, Finanz und Wirtschaft, die Rheinische Post oder den Spiegel. Zwar entlassen die einen Betriebe ihre Mitarbeiter zu Tausenden; die anderen schließen, weil sie keinen Nachfolger finden. Die Arbeitslosigkeit steigt, obwohl es angeblich an Arbeitskräften mangelt. Die Bürokratie ufert aus. EU und Ampel erschlagen Unternehmer mit Regulierungswut. Und trotzdem kommt für deutsche Journalisten das Schrumpfen „überraschend“. Für einen Top-Ökonomen vom Schlage Fratzschers sind sie ein dankbares Publikum. Eigentlich kann er nur vor diesem Publikum ein „Top-Ökonom“ sein.

Das Team Kontraindikator behält recht, kann sich aber nichts dafür kaufen. Das Team Fratzscher glaubt an den Aufschwung, für den nicht mehr zu tun sei, als dass Regenmacher Marcel um genug Mikrofone herumtanzt. Heiaheieheiahee. In der Folge bleiben die strukturellen Probleme. Und damit hält auch die Talfahrt der deutschen Wirtschaft an. Überraschend kommt das nur noch für deutsche Journalisten und andere Anhänger der Ampel.

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