Tichys Einblick

Machtkampf bei VW: Vorstandschef Diess im Kreuzfeuer der Kritik

Der Vorstandschef des größten deutschen Autokonzerns ist intern angeschlagen wegen seiner forcierten .Ausrichtung auf Elektromobilität. Die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat wirft ihm schwere Versäumnisse bei der Produktion des Golf und des neuen E-Autos ID.3 vor.

Herbert Diess, VW-Vorstandsvorsitzender

imago images / Henning Scheffen

Pünktlich kurz vor der Aufsichtsratssitzung von Volkswagen leisteten die Heckschützen im Konzern ganze Arbeit. Ihr Ziel: Der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess. Die Vielzahl der Pfeile, die auf ihn abgeschossen wurden, zeigt, wie angespannt die Stimmung im Konzern ist und wie kritisch die Lage. Zuletzt wusste die Bild Zeitung aus „zuverlässiger Quelle“ zu berichten, Betriebsratschef Bernd Osterloh und der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann planten im Aufsichtsrat einen Putsch gegen Diess, was die beiden mächtigen Gewerkschafter postwendend dementierten und ins Reich der Fantasie verwiesen. Davor hatte das Manager Magazin berichtet, das VW-Aufsichtsratspräsidium habe einen Vorstoß des Vorstandschefs mit der Forderung einer Vertragsverlängerung bis zum Jahr 2025 abgelehnt. Das Blatt berichtete, Diess habe sein Ansinnen damit begründet, der Einstellung des Verfahrens vor dem Landgericht Braunscheig wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation nur zugestimmt zu haben, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Und das, obwohl er unschuldig sei und im Verfahren freigesprochen werden würde. Dadurch habe er aber einen Reputationsschaden erlitten, der ihm erschweren könnte, später – nach seiner Zeit bei VW – Aufsichtsratsmandate zu bekommen. Als Entschädigung stünde ihm somit ein neuer Vertrag zu. Das sahen selbst seine Protektoren im Aufsichtsrat, die Herren Wolfgang Porsche und Hans Michael Piëch anders.

Diese Brüskierung des ehrgeizigen und von keinerlei Selbstzweifeln geplagten Diess hat sicher vor allem mit den überbordenden Problemen im Konzern zu tun, die sich unter seiner Ägide aufgestaut haben. Seiner allzu forschen Taktzahl beim Umbau des Autobauers in ein Softwarunternehmen mit angeschlossener Blechbiegerei wird mit zunehmender Vehemenz angelastet, dass sich Pleiten, Pech und Pannen wie beim Produktionsanlauf des Golf 8 sowie beim Prestigeprojekt ID.3, dem Hoffnungsträger der E-Mobilität im Konzern, häufen.

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Der Golf darf zurzeit nicht ausgeliefert werden, weil unter anderem der automatische Notruf nicht funktioniert – von zahlreichen Qualitätsproblemen bei der Produktion gar nicht erst zu reden. Laut Business Insider seien an einem Beispieltag im März weniger als 40 Prozent der Golf-8-Exemplare ohne Fehler fertiggestellt worden. Und die etlichen Tausend ID.3-Modelle, die derzeit in Zwickau auf Halde stehen, warten noch immer auf eine funktionstüchtige Software. Die ursprünglichen Anforderungen an das zum Tesla-Jäger hochgejazzte E-Auto können nicht annähernd erfüllt werden. Deshalb soll das Fahrzeug ab Sommer mit abgespeckten elektronischen Features ausgeliefert werden. Dass VW schon im kommenden Jahr 100 000 Exemplare wird verkaufen können, wie von Diess zunächst vollmundig angekündigt, ist wohl schon jetzt Makulatur.

Bei all diesen schlechten Nachrichten ausgerechnet während der Corona-Krise hat sich der VW-Chef offenbar zur Vorwärtsstrategie entschlossen. Wie das Manager Magazin gerade rechtzeitig vor der Aufsichtsratssitzung berichtete, plant Diess eine neue Offensive gegen Elektroauto-Marktführer Tesla. Für 2025 sei ein „Tesla-Fighter“ geplant. Das Hamburger Blatt zitiert Unternehmenskreise, wonach die Konzern- und Markenvorstände in einem Workshop „Mission T“ die Grundzüge des neuen Modells festgelegt hätten. Geleiteit werden soll der Projekt von Audi-Chef Markus Duesmann, der wie Diess früher bei BMW gearbeitet hat. Der neue Aufbruch in die Elektromobilität wurde von der Einsicht erzwungen, dass die derzeitigen Elektromodelle des Konzerns mit Tesla nicht mithalten können. Insbesondere brauche der Tesla-Fighter eine neue Elektronikarchitektur.

Ein neuer Aufbruch scheint bitter nötig. Die Stimmung im Unternehmen ist auf einem Tiefpunkt, wie ein Brandbrief von IG-Metall-Vertretern der inländischen VW-Werke an Aufsichtsrat und Vorstand des VW-Konzerns beweist. Wie der „Spiegel“ online berichtet, beklagen die Gewerkschaftsfunktionäre einen „Verlust des Ansehens unseres Unternehmens“, verursacht durch negative Presseberichte, die der Vorstand zu verantworten habe. Mittlerweile sei ein Zustand erreicht, „in dem sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen für ihren Arbeitgeber schämen und ihn teilweise sogar verleugnen“.

Direkt an Konzernchef Diess gerichtet, erklären die Gewerkschafter laut Spiegel: „Sie tragen die Verantwortung für diese aktuelle Situation, die uns nicht mehr ruhig schlafen lässt.“ Schlaftabletten helfen dagegen nicht. Diess muss nun nicht nur Pläne schmieden und Strategien verkünden, sondern bei der Umsetzung selbst zupacken statt zu delegieren. Ausgerechnet die Corona-Krise verschafft ihm dafür etwas Zeit.

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