Tichys Einblick
Thesen für 2022 und später

Long Covid: Die Zukunft der Autoindustrie nach der Pandemie

Die Pandemie und die Chipkrise werden enden, die Kostenvorteile für die Hersteller bleiben. Bei den Autokonzernen hat das große Aufräumen begonnen. Dazu gehört auch eine gewisse De-Globalisierung der Fertigung.

IMAGO / Panthermedia

Gäbe es in der Autoindustrie ein „Wort des Jahres“, so müsste man für 2021 sogar zwei benennen, die zudem gegensätzlicher nicht sein könnten. Doch beide treffen zu:

Chipkrise und Rekordergebnis.

Eine solche Konstellation hat es bisher in der deutschen Autoindustrie noch nie gegeben. Noch nie zuvor hat außerdem BMW – 1959 bankrott und beinahe von Daimler geschluckt und ausradiert – wie in 2021 weltweit mehr Nobel-Autos verkauft als das ewige Vorbild Mercedes-Benz; das nur am Rande erwähnt.

Sieg der Vernunft in Wolfsburg
Wie VW sich still von der reinen Elektrostrategie verabschiedet
Ein Blick zurück verdeutlicht die Anomalität in der Branche. Zwar steckte schon mehrmals in den letzten 50 Jahren diese nationale Schlüsselindustrie in einer tiefen Krise, wurde totgesagt. So Anfang der 70er als Folge der ersten Ölkrise, als sich Ankerinvestor Friedrich Karl Flick und die Deutsche Bank als Hausbank  der ersten Stunde in Erwartung des Niedergangs der Autoindustrie aus dem Daimler Benz Konzern völlig zurückzogen. An ihre Stelle traten dann Investoren aus dem ölreichen Morgenland, die es besser wussten. 

In den 1980ern rollten dann die Japaner (auch) den Weltautomobilmarkt auf, was Toyota & CO in den USA dann besonders glückte; seit 2021 ist das amerikanische Urgestein GM sogar nicht mehr die nationale Nr. 1. sondern Toyota.

Danach tauchten die Koreaner und erste Sendboten aus China auf dem Weltmarkt auf. Der Wettbewerb wurde zunehmend schärfer, die Anzahl der westlichen Automobilhersteller schrumpfte seit 1960 von knapp 70 auf aktuell unter 10.

Klimapolitik als Inflations-Booster
Wie aus der Preissteigerung eine echte Inflation wird
Neue Nahrung erhielten die notorischen Branchen-Untergangspropheten dann ab der ersten Dekade der 2000er mit dem Auftauchen des Elektroautos von Tesla. Damit läutete dessen Erfinder, das Innovations-Genie Elon Musk dem Umweltzeitgeist vorauseilend das Zeitalter der Elektromobilität und des Autonomen Fahrens ein. Beides gibt bis heute die technische Richtung in der Weltautoindustrie vor, und ließ quasi über Nacht die Helden des Verbrennerautos alt aussehen. Die Resonanz bei Analysten, Politikern und vor allem in den Medien in Deutschland war groß: „Zu langsam, zu träge, zu wenig innovativ…“ (Helmut Kluger in der Automobilwoche), allgemein war der Tenor, die deutschen Autobauer würden ihre Zukunft verschlafen. 

Weit gefehlt! Der weise Präsident von Toyota, Akio Toyoda, brachte es auf den Punkt: „Es ist wichtiger, sich schnell an die Änderungen der Zukunft anzupassen, als zu versuchen, die Zukunft vorherzusagen.“

Automobil-Report International Nr. 11/21
Das triste Ende des Autojahres 2021
Und genau so haben unisono alle deutschen Autohersteller reagiert, an der Spitze der Volkswagenkonzern unter CEO Herbert Diess, mit dem Bau oder Umbau ganzer Werke zur Produktion einer völlig neuen Palette von zunächst noch nicht einmal entwickelten Serien von Elektroautos. Gefolgt von den Nobelmarken BMW mit einer neuen elektrifizierten iX SUV Baureihe. Die Hochleistungsversion des BMW iXM60 mit 455 kW vermag den 2,5-Tonner in 3,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 bringen. Sowie Mercedes-Benz mit der EQ Baureihe und einer Design Studie seines jüngsten deutschen Elektrosprosses EQXX. Der EQXX verspricht als Highend-Elektro-Fahrzeug von Mercedes jeden Tesla in allen Leistungsdaten in den Schatten zu stellen – wenn er denn in Serie geht. Er soll über eine Reichweite von 1000 Kilometer verfügen, angetrieben von einer Batterie eines Kleinwagens mit 100 kWh. Doch da ist Vorsicht geboten: Ex-Daimler-CEO Dieter Zetsche hatte auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas 2015 schon einmal ein Zukunftsstudie vorgestellt den Mercedes F105, ein völlig autonom fahrendes (T)Raum Fahrzeug mit gegenüberliegen Sitzen. Von diesem Auto war später nie mehr etwas zu hören.

Beide Nobelmarken präsentierten ihre „E-Babies“ jüngst auf der CES. Spötter vermuten hinter der Ortswahl die Dokumentation, dass Elektromobilität angesichts der risikoreichen Rahmenbedingungen immer noch etwas von Glücksspiel an sich hat. Denn absehbar ist, dass es in wenigen Jahren an allem Wesentlichen fehlen wird: wichtigen Rohstoffen, „grünem“ Strom und Tankstellen dafür, in Deutschland sogar an Strom generell.

Alle deutschen Hersteller haben also in Sachen Antriebsergänzung ihre Elektro-Hausaufgaben gemacht. Und haben mit dem Ausweis von Rekordergebnissen aus dem Verkauf von Verbrennerautos selbst im Jahr der Doppelkrise von Pandemie und Chipmangel bewiesen, dass sie für die Zukunft, sprich 2022 und danach gerüstet sind. Sie beherrschen beide Antriebstechnologien…

Vor dieser zwiespältigen Vergangenheit hält Pandoras Zukunftsbüchse für die deutsche Autoindustrie in 2022 und den Folgejahren Gutes wie schwierige Herausforderungen bereit.

Zunächst zu den positiven Erwartungen und Fortwirkungen der Corona Krise in und auf die Autoindustrie:

Im Vertrieb stellt man auf Agentursysteme um, sämtliche Hersteller bereinigen ihre Modellpaletten vielfach klammheimlich um margenschwache Modelle. Das große Aufräumen hat allenthalben begonnen, und die Betriebsräte machen mit.

Inflation ist staatlich gewollt
EZB-Direktorin Schnabel bestätigt "Greenflation" wegen staatlich überhöhter Energiepreise
Daneben steigt auch die Akzeptanz in der Bevölkerung für elektronische Bezahlprozesse. Die Bereitschaft elektronikafiner Neuwagenkäufer zur Zubuchung von Auto-Dienstleistungen, z.B zusätzliche Batteriekapazität während der Fahrt oder besondere Unterhaltungs-Gimmicks, erhöht die Offerten der Hersteller. Und bei weiter steigenden Stauperioden auch das Umsatzpotenzial. Ziel ist es, das Auto zum fahrenden Büro zu machen, dem steigenden Rentneranzahl unter den Autofahrern zum Trotz.  

Alles in allem ist positiv zu vermerken: 

Das Auto wird bleiben
Deutsche Verkehrspolitik: Umverteilung von Arm nach Grün
Aber keine Rose ohne Dornen, es gibt auch Schattenseiten. Verbunden mit großem Anpassungsdruck und negativen Folgelasten für die gesamte Branche, Hersteller wie Zulieferer der gesamten Wertschöpfungskette; bis hin zum Bäcker um die Ecke, der kleinere Semmeln backen oder zur VW-eigenen Kantinen-Currywurst, die etwas kleiner ausfallen oder in geringerer Stückzahl hergestellt werden muss. 

Absehbar kommt es in den nächsten Jahren zu Kostensteigerungen bei allen Prozessen der automobilen (industriellen) Leistungserstellung. Diese werden verursacht durch:

Zieht man einen Schlussstrich unter Pros und Cons so kann man sagen, dass es absehbar nichts gibt, was in den letzten 70 Jahren der deutschen Autoindustrie nicht schon einmal begegnet wäre. Und mit dem sie – als Branche, nicht als einzelnes Unternehmen – erfolgreich fertig geworden wäre.

Die Vorzeichen, dass das auch in den nächsten Jahren so bleiben wird, stehen nicht ungünstig – trotz allem.

Anzeige
Die mobile Version verlassen