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Bald in der ganzen EU?

Kurzarbeit hat Hochkonjunktur und wird zum Exportartikel

Die Bundesregierung ermöglicht Kurzarbeitern Nebenverdienste in systemrelevanten Branchen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will mit einem EU-Plan für Kurzarbeitergeld nach deutschem Vorbild und gemeinsamen Schulden EU-weit Arbeitsplätze sichern. 

imago images / foto2press

Die deutsche Wirtschaft bricht massiv ein und reißt den Arbeitsmarkt mit. Für den Monat April rechnet die Bundesagentur für Arbeit (BA) nach den Worten ihres Chefs Detlef Scheele mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl um 150.000 bis 200.000. Das könnte allerdings eine sehr optimistische Schätzung sein. Mitte April wird man es genauer wissen.

Die staatlich abgefederte Kurzarbeit jedenfalls, das wichtigste Mittel der deutschen Arbeitspolitik, um schnelle Entlassungswellen zu verhindern, hat schon Hochkonjunktur. Zum 31. März haben 470.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Wie viele Beschäftigte davon insgesamt betroffen seien, lasse sich noch nicht seriös sagen, erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. In der großen Finanzkrise 2008/2009 waren in der Spitze bis zu 1,44 Millionen Bürger auf Kurzarbeit angewiesen. Scheele geht davon aus, dass es diesmal noch deutlich mehr sein werden.

Wie die BA am Donnerstag bekannt gab, tritt nun bis Ende Oktober auch eine Sonderregelung in Kraft: Wer „eine Beschäftigung in einem systemrelevanten Bereich aufnimmt, muss sich das dabei verdiente Entgelt nicht auf das Kurzarbeitergeld anrechnen lassen.“ Dabei darf das Gesamteinkommen aus noch gezahltem Arbeitseinkommen, dem Kurzarbeitergeld sowie dem Hinzuverdienst das normale Nettoeinkommen aber nicht übersteigen. Die BA will damit zwei Ziele gleichzeitig erreichen: Den Betroffenen ermöglichen, Einkommenseinbußen zu dämpfen und gleichzeitig Anreize schaffen, eine zeitlich begrenzte Nebentätigkeit in „systemrelevanten Wirtschaftszweigen“ aufzunehmen: „Insbesondere Betriebe im Lebensmittelhandel und der Landwirtschaft benötigen dringend Arbeitskräfte. Durch die getroffene Sonderregelung können Menschen in Kurzarbeit systemrelevante Wirtschaftszweige unterstützen“, heißt es in einer Pressemitteilung der BA. Dazu gehören zum Beispiel: „medizinische Versorgung, die Versorgung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit Lebensmitteln, die Versorgung mit unmittelbar lebenserhaltenden Medizinprodukten und Geräten, Apotheken, der Güterverkehr (z. B. für die Verteilung von Lebensmitteln an den Groß- und Einzelhandel), der Lebensmittelhandel (z. B. Verkauf oder Auffüllen von Regalen), die Lebensmittelherstellung (auch Landwirtschaft) sowie Lieferdienste zur Verteilung von Lebensmitteln.“

Von der Leyen will europäische Kurzarbeit

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Nun meldet sich auch die EU-Kommission – von der Bayerns Ministerpräsident Markus Söder unlängst schnippisch meinte, es sei „merkwürdig still in Brüssel“ – zum Thema Kurzarbeit zu Wort: „Die EU-Kommission will mit einem neuen Kurzarbeiter-Modell nach deutschem Vorbild europaweit Arbeitsplätze in der Corona-Krise sichern. ‚Die Unternehmen zahlen ihren Mitarbeitern Löhne und Gehälter, auch wenn sie im Moment kein Geld verdienen. Europa kommt ihnen jetzt mit einer neuen Initiative zu Hilfe‘, sagt Kommissionschefin Ursula von der Leyen in einer Videobotschaft. So solle Italien, Spanien und allen anderen schwer betroffenen Ländern mit Hilfe der Solidarität der anderen Mitgliedstaaten geholfen werden“. Die Namensgebung ist jedenfalls schon eingängig, sie lautet „SURE“. 

Zur Finanzierung von „SURE“, dem EU-Plan für Kurzarbeitergeld, äußerte sich von der Leyen nicht. Wem genau neben „Italien, Spanien und anderen schwer betroffenen Staaten mit Hilfe der Solidarität der anderen Mitgliedstaaten geholfen werden“ soll, erfahren wir wohl in dieser Woche. Nach Informationen der FAZ will von der Leyen bis zu 100 Milliarden Euro für Kurzarbeit bereitstellen. Das Geld dafür würde die Kommission aufnehmen. Grundlage dafür wären Garantien der Mitgliedstaaten. Sie würden also abhängig von der Höhe ihrer Wirtschaftsleistung haften, Deutschland somit etwa für ein Viertel der Gesamtsumme. Da wären dann also letztlich doch so etwas ähnliches wie „Corona-Bonds“. Und wenn sie nicht so heißen, dürfte das der Bundesregierung, die sich bislang noch gegen diese sperrt, die Zustimmung erleichtern.

Aber zurück nach Deutschland. Schon Mitte März hieß es bei der BA: „Es geht durch die Decke“. Und das ist nicht übertrieben, wie eine kleine, exemplarische Liste zeigt: 

Kurzarbeit führt bei den Mitarbeitern zu deutlichen Einkommensverlusten. Denn Kurzarbeitergeld beläuft sich auf nur 60 Prozent des Nettolohns. Hat der Arbeitnehmer ein Kind, werden 67 Prozent der Nettodifferenz seines Lohnes erstattet. 

Das ist die gesetzliche Regel – durch Ausnahmen wird sie örtlich für die Betroffenen noch abgemildert. Die Kommunen als Arbeitgeber wollen zum Beispiel für ihre Beschäftigten das Kurzarbeitergeld aufstocken. Je nach Entgeltgruppe sollen diese 90 oder 95 Prozent ihres bisherigen Nettoentgelts bekommen, teilten Verdi und der Beamtenbund am Mittwoch mit. Das sehe eine Verständigung mit den kommunalen Arbeitgebern vor. 

Verdi fordert jedoch auch Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent für eine weitere Gruppe Arbeitnehmer. Denn: Das Kurzarbeitergeld von 60 bzw. 67 Prozent des Einkommens könnte „hunderttausende Einzelhandelsbeschäftigte in existenzbedrohende Notlagen“ stürzen. Derzeit laufen in NRW Bemühungen für eine erste tarifvertragliche Lösung als Pilotvereinbarung, wie die Fachzeitschrift  Textilwirtschaft berichtet. Das Beispiel könnte Schule machen. 

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Schwer dürften es dagegen die Beschäftigten im Niedriglohnsektor haben. „Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Weil gerade Beschäftigte mit geringem Einkommen bei einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent nicht lange über die Runden kämen, schlägt er eine „generelle Aufstockung des Kurzarbeitergeldes“ vor. Er verwies auf eine neu getroffene Vereinbarung von Gewerkschaften und Arbeitgebern in Österreich, wo das Kurzarbeitergeld gestaffelt nach Einkommenshöhe gezahlt wird, bis hin zu 90 Prozent des Nettogehalts für Beschäftigte, die brutto weniger als 1.700 Euro verdienen“, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. 

Mit der nun eingeführten Aufhebung der Zuverdienstverbote für Kurzarbeiter, geht die Bundesregierung nun aber wohl einen anderen Weg: Kurzarbeiter sollen sich ihre Einkommensverluste selbst ausgleichen.

Auch der Kaufhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof, der seine Läden schließen musste, hat bereits weite Teile der Belegschaft Kurzarbeitergeld beantragt. Aber das reicht nicht. Galeria Karstadt Kaufhof hat eine so genannte Schutzschirminsolvenz beantragt. In die Krise geratene Unternehmen schützt dieses Verfahren für drei Monate vor dem Zugriff der Gläubiger, ohne dass sie bereits Insolvenz anmelden müssen. Das Hilfsprogramm der Bundesregierung war für die angeschlagene Kaufhaus-kette nicht schnell genug. Karstadt-Chef Miguel Müllenbach sagte der WirtschaftsWoche über die Gespräche mit der Hausbank – über die die staatlichen Kredite der KfW abgewickelt werden müssen – nicht schnell genug vorangeschritten seien. „Dieser Prozess ist sehr bürokratisch, kostet wertvolle Zeit, ist mit zusätzlichen Hürden verbunden – und hat deshalb einen ungewissen Ausgang“.

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