Tichys Einblick
Krise im Wohnungsmarkt

Die Talfahrt ist in vollem Gange – Verbände widersprechen Bauministerin Geywitz

In diesem Jahr fehlen in Deutschland rund 800.000 Wohnungen. Das sind 100.000 mehr als noch im vorigen Jahr. Die Wohnungsnot verschärft sich, die Mieten steigen. Dagegen sieht Bundesbauministerin Geywitz den sozialen Wohnungsbau auf gutem Weg.

Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Bau und Wohnen, beim Wohnungsbau-Tag 2024 am 11. April 2024

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Vor dem 15. Wohnungsbautag am Donnerstag haben mehrere Verbände den Druck auf die Bundesregierung erhöht, mehr Anstrengungen bei der Bauförderung zu unternehmen. „Einige Politiker reden bereits von Signalen einer Belebung des Wohnungsbaus, dabei ist die Talfahrt noch im vollen Gang“, sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, der „Rheinischen Post“. Und weiter: „Die Genehmigungen und Baufertigstellungen gehen im dritten Jahr drastisch zurück, die Geschäftserwartungen sind auf einem historischen Tiefpunkt und der Preiskampf um neue Aufträge nimmt teils unwirtschaftliche Züge an.“

In Deutschland fehlen inzwischen 800.000 Wohnungen, 100.000 mehr als noch 2023, wie die Verbände mitteilten. Seit dem Jahr 2021 zeichne sich ein besorgniserregender Trend ab, so eine Studie, die im Rahmen des Wohnungsbautages veröffentlicht wurde. Das Volumen im Wohnungsbau ist rückläufig. Für 2024 wird ein deutliches Minus von 5,4 Prozent erwartet. Die Steuereinnahmen dürften mithin um fast 5 Milliarden niedriger ausfallen als im Vorjahr.

„Die Genehmigungen und Baufertigstellungen gehen im dritten Jahr drastisch zurück, die Geschäftserwartungen sind auf einem historischen Tiefpunkt und der Preiskampf um neue Aufträge nimmt teils unwirtschaftliche Züge an.“ Ein halbes Jahr nach dem Kanzlergipfel seien die beschlossenen Maßnahmen nach wie vor nicht umgesetzt, würden auf Landesebene verschleppt oder in der Bundespolitik blockiert, etwa die Novelle des Baugesetzbuches.

Wolfgang Schubert-Raab vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe sagte im Gespräch mit der Welt, die „Zinsen sind zu hoch, die Gesetze zu streng, die Fördertöpfe zu klein“. Darüber hinaus müsse man von den Mindeststandards beim Bau „zurückdürfen“. Und alles was zusätzlich gewünscht werde – gern, aber nicht immer der Goldstandard als verpflichtender, gesetzlicher Standard.

Bekanntlich gibt es im Baugewerbe zahlreiche Bauvorschriften. Für alles und jedes gibt es technische Vorschriften und DIN-Normen, die für den Wohnungsneubau alles komplexer, materialintensiver machen und für einen ständigen Preisanstieg sorgen. Rund 3700 Normen sind für das Bauen in Deutschland relevant. Für die aktuelle Misere sind auch die „Klima“-Vorschriften verantwortlich. Im Tohuwabohu des „Heizungsgesetzes“ wusste und weiß niemand mehr, was er noch darf oder nicht.

Kurzum: Die Wohnungsnot verschärft sich. Und die Mieten steigen. Berlin führt mit einer 20-prozentigen Steigerung bei Vermietungen von Neubauten, gefolgt von Stuttgart mit 14,6 und Köln mit 14,1 Prozent. Auch wenn die Nachfrage in den Metropolen selbst leicht zurückging, so stieg sie vor allem in ihrem Umland mit am meisten.

Nun sollen nach dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Können womöglich schon, aber ob sie auch wollen, wenn sie hier keine preiswerte Wohnung oder mehr als wahrscheinlich gar keine finden? Dabei sind doch quasi Millionen „Fachkräfte zugewandert“, die nur mehr als wahrscheinlich im sozialen Sicherungssystem zu Hause sind.

Bundesbauministerin Geywitz sieht sozialen Wohnungsbau auf gutem Weg

Vor dem Wohnungsbau-Tag an diesem Donnerstag hat sich Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) zuversichtlich über die Branchenentwicklung gezeigt. „Im frei finanzierten Wohnungsbau dürfte im letzten Jahr in etwa so viel gebaut worden sein wie im Jahr davor“, sagte Geywitz der „Rheinischen Post“ (Donnerstagausgabe). „So gut wie alle Länder geben deutlich mehr als in der Vergangenheit in den Neubau von bezahlbarem Wohnen. Der soziale Wohnungsbau ist deshalb gegen den allgemeinen Trend gewachsen.“ – Nur ist allgemein bekannt, dass die Sozialwohnungen an die sogenannten Geflüchteten vermietet werden. Im Sommer vergangenen Jahres schrieb Boris Palmer in der Welt: „In der Stadt Tübingen, für die ich Verantwortung trage, sind alle seit 2015 im Saldo neu geschaffenen Sozialwohnungen mit Flüchtlingen belegt. …“ Das dürfte in anderen Kommunen ganz ähnlich aussehen.

„Am Bau würden sich schwierige und gute Phasen oft miteinander abwechseln“, so Geywitz weiter. „Es läuft nie konstant ab, sondern gibt immer wieder Aufwärts- und Abwärtsbewegungen.“ Nach echten Boom-Jahren sei durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Einbruch gefolgt.

Handwerksverband rechnet mit Fortdauern der Bauflaute

„Die Talsohle im Baugewerbe ist noch lange nicht durchschritten, vor allem nicht beim Wohnungsbau“, sagte Verbandspräsident Dittrich der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die kommenden Monate würden „verdammt hart“.

Damit widerspricht Dittrich Bauministerin Klara Geywitz (SPD) in der Einschätzung, es gehe in der Bauwirtschaft wieder bergauf. „Politik sollte noch stärkere Anreize fürs Bauen geben, auch um dramatische Folgen für die Gesamtwirtschaft abzuwenden“, so der Verbandspräsident vor dem Wohnbautag in Berlin. „Der Baubereich hat einen großen Anteil an der gesamten Wertschöpfung in diesem Land. Wenn es im Baubereich nicht wieder läuft, dann werden wir als Land insgesamt nicht aus der Rezession kommen.“ Nach wie vor sei die Zahl der Baugenehmigungen zu gering. Und das spüre natürlich auch das Handwerk.

Jeder Zehnte lebt in beengten Verhältnissen

Mehr als jeder Zehnte in Deutschland lebt in einer überfüllten Wohnung (11,3 Prozent). Das sind mehr als 9,5 Millionen Menschen und ist damit eine erneute Steigerung gegenüber den Jahren 2022 (11,2 Prozent), 2021 (10,6 Prozent) und 2020 (10,2 Prozent). Im vorigen Jahr war der Anteil der Betroffenen unter Kindern bis 18 Jahren (18,5 Prozent) fast sechsmal so hoch wie unter älteren Menschen über 65 Jahren (3,3 Prozent).

Besonders oft leben demnach Alleinerziehende und deren Kinder auf beengtem Wohnraum. Die Überbelegungsquote in Städten ist zudem deutlich höher als in ländlichen Gebieten. Die Behörde beruft sich dabei auf EU-Daten zu Einkommen und Lebensbedingungen. Die Zahl der Menschen mit beengtem Wohnraum in Deutschland steigt laut Statistischem Bundesamt seit mindestens 2007 kontinuierlich an.

Wohnungslosigkeit

Ein Aktionsplan des Bauministeriums weckt Zweifel, ob Deutschland die Wohnungslosigkeit bis 2030 beenden kann. Anfang März hatte das Ministerium von Klara Geywitz (SPD) einen Referentenentwurf vorgelegt.

In Deutschland waren im Verlauf des Jahres 2022 mehr als 600.000 Menschen betroffen, wie die jüngste Hochrechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) ergab. Als wohnungslos gilt, wer auf der Straße lebt, aber auch, wer etwa in einer kommunalen Unterkunft oder bei Bekannten unterkommt. Aus Sicht der BAG W sei der Aktionsplan „sehr vage“.

Das Bauministerium teilt auf Anfrage mit, der Aktionsplan bilde nicht „alle derzeit laufenden und künftig vereinbarten Maßnahmen“ gegen Wohnungslosigkeit ab. Das Vorhaben einer neuen Wohngemeinnützigkeit werde separat verfolgt. Kritik an Investitionen in den sozialen Wohnungsbau der Länder wies ein Sprecher zurück. Die Bundesmittel in Höhe von 18 Milliarden Euro bis 2027 würden zu einer „Renaissance“ führen. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden.

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