Tichys Einblick
Neue Vorgaben ähneln einem Extremszenario

IW-Ökonomen über Klimaschutznovelle der Bundesregierung: „Es fehlt ein durchdachter Plan“

Die Bundesregierung verschärft das Klimaschutzgesetz viel schneller und härter als das Verfassungsgericht verlangt. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln kritisiert dies scharf. Das Motiv der Regierenden ist vermutlich rein wahl-opportunistisch.

Sitzung des Bundeskabinetts am 5. Mai 2021

IMAGO / Reiner Zensen

Die naheliegende Erklärung dafür, dass die Bundesregierung in seltener Einigkeit und völlig unnötiger Eile das Klimaschutzgesetz verschärft, wird von den Akteuren nie erwähnt. Ganz offensichtlich glauben die regierenden Sozial- und Christdemokraten, dass sie den Grünen im anstehenden Bundestagswahlkampf nicht die Blöße geben dürfen, nicht auch wirklich alles für den Klimaschutz zu tun. Es ist wohl nicht wirklich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sie treibt, sondern Annalena Baerbock und Luisa Neubauer (nicht nur „Fridays for Future“, sondern auch Grünen-Mitglied), beziehungsweise all die noch zu erwartenden Talkshow-Auftritte der beiden.

Die Bundesverfassungsrichter lassen dem Gesetzgeber eigentlich noch bis 2022 Zeit, die angepeilte CO2-Reduktion für die Jahre nach 2030 konkreter zu regeln. Außerdem übererfüllt der Entwurf der Regierenden die Vorgabe des Gerichts. In ihm sind nicht nur wie im Urteil verlangt, konkretere Emissionsrestriktionen ab 2031 vorgesehen: Die Null-Emission soll sogar schon 2045 erreicht werden, also fünf Jahre schneller als im Rest der EU. Das Urteil verlangt aber keineswegs, dass Deutschland kurzfristig und über den europäischen Regelrahmen hinaus neue Ziele festlege. Es fordert auch nicht, den Zeitpunkt des Erreichens der CO2-Emissionsfreiheit noch früher zu setzen.

Offensichtlich geht es also der Bundesregierung darum, Klimaschutzmusterschüler zu werden: Sie will die eigenen Unternehmen und Bürgern dazu verpflichten, sich schneller einzuschränken als Wettbewerber in Europa und dem Rest der Welt – im Glauben, dass die Bürger genau diese Selbsteinschränkung wünschen. Man muss sich das Ausmaß der Vorgaben klar machen: Die deutschen Treibhausgasemissionen sind seit der Wiedervereinigung um rund 40 Prozent gesunken, nun sollen die verbleibenden Emissionen innerhalb der nächsten 25 Jahre komplett wegfallen.

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Aus der Wirtschaft, also Unternehmen und Konzernen ist daran erstaunlich wenig Kritik zu hören. Man fürchtet womöglich das Damokles-Schwert des Klimasünder-Rufes in der Öffentlichkeit mehr als die handfesten Auflagen für die eigene Produktion – die können viele Unternehmen dann schließlich ins weniger klimaschutzübereifrige Ausland verlegen. So muss das Arbeitgeber-nahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) die ungeliebte Aufgabe der Kassandra übernehmen. Hubertus Brandt und Thilo Schäfer vom IW machen in einem aktuellen Beitrag deutlich, dass die Bundesregierung in ihren letzten Monaten im Amt verwirklicht, was man noch vor kurzem für ein „Extremszenario“ gehalten hat:

„Die neuen Vorgaben ähneln einem Extremszenario, das vor zwei Jahren in einer Umweltbundesamt-Studie vorgestellt wurde. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 – nicht schon 2045 – konnte auch darin nur unter einschneidenden Voraussetzungen erreicht werden. Dazu gehörte vor allem der Verzicht auf Wirtschaftswachstum ab 2030, die Aufgabe des deutschen Exportmodells und ein spürbarer Produktionsrückgang in wichtigen Grundstoffbranchen. Aber auch Privatleute müssten sich einschränken, beispielsweise bei Fernreisen oder durch kleinere Wohnungen – von den Folgen eines Wachstumsstopps für den eigenen Geldbeutel und die Finanzierungsmöglichkeiten des sozialen Ausgleichs ganz zu schweigen. Die zentrale Herausforderung liegt darin, dieses Szenario zu vermeiden und Klimaschutz mit zunehmendem Wohlstand zusammenzubringen.“

Die IW-Autoren kritisieren als Ökonomen vor allem, dass „ein durchdachter Plan“ fehle, der nicht nur die Bundestagswahl im September im Blick hat. Das neue Gesetz wird Deutschland nicht nur auf einen deutschen Sonderweg gegenüber den anderen EU-Ländern führen sondern auch auf einen ordnungspolitischen Holzweg: „Die verschärften Ziele verkennen, dass die deutschen Industrie- und Energieunternehmen ohnehin am europäischen Emissionshandel teilnehmen. Die jährlich sinkende Obergrenze sorgt dafür, dass zuerst Emissionen reduziert werden, wo es am günstigsten möglich ist. Ein zusätzliches nationales Reduktionsziel ist inkonsistent und sorgt auf diese Weise für zusätzliche Kosten, weil entweder zu viel und damit zu teuer vermieden wird – oder zu wenig, damit blieben günstige Vermeidungskostenpotenziale ungenutzt.“

Was empfehlen Brandt und Schäfer stattdessen? Genehmigungsverfahren beschleunigen, Infrastrukturprojekte umsetzen und Investitionen tätigen (vermutlich ist damit die Organisation der „Energiewende“ gemeint). „Denn nur so können Unternehmen und private Haushalte Emissionen vermeiden. Zudem fehlen verlässliche Anreize für die erforderliche Transformation von Produktionsverfahren, Mobilität, dem Heizen von Gebäuden und der Landwirtschaft. Nur mit erfolgreichen klimafreundlichen Geschäftsmodellen, technologischen Innovationen und attraktiven Perspektiven für eine treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebensweise kann Klimaschutz in Deutschland gelingen und zum nachahmenswerten Modell werden.“

Das sind wahrlich keine großen neuen Erkenntnisse. Dass sich eines der renommiertesten Wirtschaftsforschungsinstitute genötigt sieht, den Regierenden solche Selbstverständlichkeiten mitzuteilen, macht umso deutlicher, wie groß die Risiken sind, die vom klimapolitischen Übereifer in Deutschland ausgehen. „Ambitionierte Klimaziele sind kein Selbstzweck – auf den Weg dorthin kommt es an.“ Auch diese Banalität der IW-Autoren ist leider in Deutschland offenbar nicht selbstverständlich.

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