Am kommenden Donnerstag, 5. Juli, steht im Europaparlament eine weichenstellende Abstimmung zum Thema Uploadfilter an. „Mehrere Politiker aus CDU, CSU, SPD und FDP, darunter auch die Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU), warnen in einem der F.A.Z. vorliegenden Brief an die deutschen Europaabgeordneten (hier zu lesen) vor den Gefahren für die Meinungsfreiheit.“, so in der FAZ am 29. Juni. Am gleichen Tag versucht die FDP, Christian Lindner, im Bundestag eine namentliche Abstimmung über das Urheberrecht im Internet zu erzwingen, und scheitert.
Internet – Ende?
Wir alle nutzen das Internet täglich: Zur Kommunikation mit Freunden und Geschäftspartnern, zur Informationsbeschaffung, als Ort der Gegenöffentlichkeit, zur Reiseplanung, zum Einkauf. Noch immer ist das Internet ein Hort der Pluralität, obwohl seine anarchische Verklärung durch die Netzaktivisten der Gründerphase längst der Ernüchterung gewichen ist, dass die technischen Möglichkeiten inzwischen marktbeherrschende Oligopole, aber auch zunehmend staatliche Regulierer von ihm haben Besitz ergreifen lassen.
Vorgehen der europäischen und deutschen Politik
Gerade die politische Linke, die lange von den Möglichkeiten der Gegenöffentlichkeit zum verordneten Mainstream im Netz schwärmte, reagiert heute im Verbund mit der Union geradezu allergisch auf die sozialen Netzwerke, wo sich der Protest gegen die Willkommenskultur des Jahres 2015 längst manifestiert hatte, ehe auch die etablierten Medien die Realität peu à peu zur Kenntnis nehmen mussten. Selbst im Jahr 2018 reflektiert das Netz die Vox Populi oft präziser als der etablierte Medientenor. Doch statt politisch auf die Wutbürger zu reagieren, beschloss der Deutsche Bundestag im Juni 2017 das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem private Anbieter wie Facebook oder YouTube zur Löschung von Postings mit Beleidigungen, Hass oder Volksverhetzung binnen 24 Stunden gezwungen werden. Private Firmen wurden damit quasi zu Organen der Rechtspflege und zensieren im Zweifelsfall in vorauseilendem Gehorsam auch nicht justiziable Beiträge. Ein ver-heerender rechtsstaatlicher Unsinn!
Die wirtschaftlichen Eingriffe der deutschen und EU-Politik in die Pluralität des Internets bedienen sich zweier Argumentationsstränge. Der eine Strang basiert auf dem Recht am geistigen Eigentum der Inhalte, auf die verlinkt wird. Es geht also um das Urheberrecht. Vor allem die Zeitungsverleger pochten auf die anteilige Refinanzierung der von ihren angestellten Journalisten erbrachten Inhalte, wenn Dritte auf deren Beiträge im Netz verlinken – ob es Suchmaschinen wie Google oder andere Akteure sind. In Deutschland hatte sich Kanzlerin Angela Merkel persönlich vor Jahren für dieses Leistungsschutzgesetz stark gemacht, das vor allem vom Axel Springer Verlag mit Merkel-Freundin Friede Springer und ihrem Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner vorangetrieben wurde. Obwohl nahezu alle Experten vor diesem Leistungsschutzrecht gewarnt hatten, wurde es im März 2013 im Bundestag mit fast allen Stimmen der damaligen Regierungskoalition aus Union und FDP beschlossen. Suchmaschinenanbieter und ähnliche Dienste sollten kostenpflichtige Lizenzverträge mit den deutschen Verlagen abschließen, wenn sie deren Inhalte mit kurzen Vorschau-texten zeigen wollten. Gemünzt war das vor allem auf Marktführer Google, der dafür zahlen sollte, in Google News Auszüge von Nachrichtenseiten anzeigen zu dürfen.
Leistungsschutzrecht soll die Kassen der Verlage füllen
Das Ergebnis dieser Springer-Merkel-Connection ist schnell erzählt. Statt der erhofften hohen Lizenzeinnahmen der deutschen Verleger gab es bis heute von Google keinen Cent. Die großen Verlage, darunter der Springer-Verlag, aber auch die FAZ-Gruppe, hatten schon vor Inkrafttreten des Gesetzes gegenüber Google auf Gebühren verzichtet, weil sie ansonsten ausgelistet worden wären. In Spanien, wo ein ähnliches Leistungsschutzrecht wie in Deutschland vom Parlament beschlossen worden war, verabschiedete sich Google News in der Folge vom dortigen Markt. Damit stürzten bei den Verlagen wegen der wegfallenden Verlinkung durch den Marktführer massiv die Clickraten und damit die Werbeumsätze ab. Statt den Marktführer Google zu treffen, schoss die deutsche und die spanische Politik mit dem Leistungsschutzgesetz ein wirkungsloses Eigentor.
Upload-Filter als weitere Zensur
Wer glaubt, dass die Politik aus diesem fatalen Fehler gelernt hätte, der muss sich fassungslos die EU-Gesetzgebungsmaschinerie anschauen. In den aktuellen Verhandlungen über ein neues und einheitliches EU-Urheberrecht setzt sich mit dem CDU-Europaabgeordneten Axel Voss ausgerechnet ein Deutscher als zuständiger Berichterstatter für ein EU-weites Leistungsschutzrecht für Presseverleger sowie einen Upload-Filter ein, mit dem Plattformen schon beim Hochladen von Beiträgen automatisch prüfen müssten, ob Urheberrechte verletzt sind. Trotz massiver Kritik und einer noch laufenden Petition mit derzeit rund 450.000 Unterschriften stimmte der Rechtsausschuss des EU-Parlaments am 20. Juni 2018 diesem umstrittenen Entwurf des Abgeordneten Voss zu. Die zahlreichen Kritiker befürchten zu Recht, dass wir mit diesem EU-Gesetz Abschied nehmen müssen von der Informationsfreiheit und dem Netz, wie wir es kennen. Mit solchen Gesetzen wird das Internet zum Ort der Kontrolle und Zensur durch Privatunternehmen. Die endgültige Position des EU-Parlaments wurde voraussichtlich in den ersten Juli-Tagen abgestimmt, also nach Redaktionsschluss von Tichys Einblick. Erst danach starten die Verhandlungen mit dem Europäischen Rat, die dann in absehbarer Frist in einer europäischen Verordnung münden.
DSGVO: „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ führt zu Rechtsunsicherheit
Der zweite Argumentationsstrang ließ als Folge in den vergangenen Monaten unsere Mail-Postfächer volllaufen. Ein wahrer Mail-Tsunami brach über uns herein, der uns mit dem sperrigen Begriff der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vertraut machte. Dieses europäische Recht ersetzt seit dem 25. Mai das ehemalige nationale Bundesdatenschutzgesetz und auch Teile des Telemediengesetzes. Die DSGVO regelt den Umgang mit unseren personenbezogenen Daten, die in digitalisierter Form bei all unseren Netzkontakten von Providern, Firmen und Freiberuflern, Medien und anderen über uns erhoben und gespeichert werden. Das Anliegen, Herr seiner Daten zu sein und zu wissen, wer was und wozu verwendet, beruht auf dem Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes und führte einst zu einer wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Die Entscheidung datiert von 1983 und fiel im Kontext der damaligen staatlichen Volkszählung, die in Deutschland großen Widerstand provozierte. Gemessen am Wissensdurst des damals sein Volk zählenden Staates gewähren wir heute Google, Facebook und Co. in einem Ausmaß und freiwillig über uns Nutzer Informationen, die den damaligen Volkszählungsboykott als Sturm im Wasserglas erscheinen lässt.
Deshalb: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein umfassendes Grundrecht, für das es sich im digitalen Zeitalter zu streiten lohnt. Deshalb ist der Einsatz für mehr Datenschutz im Netz absolut berechtigt – auch und gerade im gesamten europäischen Raum. Doch gut gemeint, ist eben noch lange nicht gut gemacht. Schon die DSGVO trifft weniger die großen amerikanischen Oligopolisten im Netz als die mittelständischen und kleinen Akteure in Europa. Die schiere Marktmacht von Google und Co. macht den Nutzer zum ohnmächtigen Kunden, der sich entweder für die Plattform-Giganten entscheiden und dann nach dem Motto „Vogel friß` oder stirb`“ deren Datenschutzvorgaben akzeptieren muss. Oder der User muss sich aus der „All inclusive-Welt“ der Internet-Giganten verabschieden, verliert damit aber auch unzählige Kommunikationsstränge mit Freunden und Geschäftspartnern, die sich in deren Kosmos zuhauf bewegen. Aus den kleinen Netzen verabschiedet sich ein User leicht. Den großen Plattformen bleiben aber selbst Kritiker verbunden, weil sie den kostenlosen Mehrwert nicht missen wollen. Dass dieser Mehrwert auf dem umfassenden Profiling resultiert, dass die Oligopolisten aus der permanenten Erfassung und Auswertung aller individuellen Aktivitäten auf Smartphones, Laptops, Navigations- und Sprachassistenten erstellen, wird ausgeblendet.
Datenschutz: Fluch oder Segen?
Was politisch unter dem Verbraucherschutz-Label „Datenschutz“ in Brüssel oder in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten ausgedacht wird, führt in der Praxis eher zum Gegenteil. Daten sind die Grundlage einer zukunftsfähigen Wirtschaft. Wer die Hürden für die Verarbeitung dieser Daten zu hoch ansetzt, verwehrt der europäischen Wirtschaft Zugang zum wichtigsten Rohstoff der digitalen Welt – zum Schaden der Unternehmen, der Arbeitnehmer und Verbraucher. Sehr anschaulich lässt sich das belegen, wenn man sich die Börsenwert-Verschiebung der zehn weltweit wichtigsten Unternehmen im Zehnjahrs-Vergleich betrachtet. Noch Mitte des letzten Jahrzehnts dominierten Industrieunternehmen mit 64 Prozent Anteil am Börsenwert, dann kam die Finanzbranche mit 26 Prozent und zuletzt die Technologiebranche mit 10 Prozent. Heute hat sich das Verhältnis nahezu umgekehrt: Technologieunternehmen dominieren mit rund 60 Prozent vor den Industrieunternehmen mit 25 Prozent und der Finanzbranche mit rund 15 Prozent. Die zehn größten Unternehmen der Welt, gemessen am Börsenwert, stammen aus den USA. Konzernnamen wie Apple, Google, Amazon und Facebook stehen stellvertretend für diese Dominanz.
ePrivacy Verordnung – das Ende einer süßen Versuchung namens Cookie
Doch statt Wege aus diesem kapitalen Technologie-Abseits Europas zu ermöglichen, wird in Brüssel an einer ePrivacy-Verordnung gebastelt, die neue Hürden für die Datenverarbeitung aufbaut und über die in Kraft getretene DSGVO hinausgeht. Ursprünglich sollte diese Verordnung parallel zur Datenschutzgrundverordnung am 25. Mai dieses Jahres in Kraft treten. Doch das Verfahren hat sich verzögert. Im Augenblick ist nicht einmal sicher, ob das Gesetzgebungsverfahren noch im laufenden Jahr oder gar in dieser Amtsperiode des europäischen Gesetzgebers abgeschlossen werden kann. Nicht alles an dieser geplanten Verordnung ist natürlich von Übel. Gut ist etwa die geplante Einführung des Marktortprinzips analog zur Regelung in der DSGVO. Die Geltung der Verordnung für alle Endnutzer in der EU, unabhängig vom Standort oder dem Sitz des Datenverarbeiters, wäre ein wichtiger Schritt zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für europäische und nichteuropäische Unternehmen. Dass künftig auch für die Over-the-Top-Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Facebook, Messenger oder Skype der gleiche Rechtsrahmen gelten soll wie für klassische Telekommunikationsanbieter, ist zu begrüßen.
Die Fallstricke der geplanten ePrivacy-Verordnung liegen in seinem umfassenden Anwendungsbereich. Es ist kaum ein digitales Geschäftsfeld denkbar, das nicht von dieser Verordnung betroffen wäre. Praktisch alle App-Entwickler, die ihre Produkte auf dem europäischen Markt anbieten möchten, wären tangiert. Gerade die starke Zunahme der europäischen App-Economy wurde von der Möglichkeit getragen, das jeweilige Produkt mithilfe persönlicher Nutzungsdaten analysieren, verbessern, bewerben und damit finanzieren zu können. Die ePrivacy-Verordnung will das Platzieren von Cookies in den meisten Fällen an die explizite Einwilligung des Nutzers knüpfen. Cookies sind Identifizierungscodes, die Websites und Apps auf dem Endgerät des Nutzers abspeichern. Beim erneuten Aufsuchen der Seite er-kennt der Webserver den Nutzer, kann beispielsweise Formulareinträge automatisch vervollständigen, standortbezogene Daten – vom Wetter bis zur Restaurantsuche im Umkreis -, aber auch zielgerichtete Werbung liefern. Ohne Cookies verschlechtert sich die Funktionalität der digitalen Angebote und vor allem deren Finanzierung. Weil der ePrivacy-Entwurf die Erlaubnis zur Cookie-Zulassung in die zentrale Einstellung des Internet-Browser verlagert, steht zu befürchten, dass selbst Nutzer, die im konkreten Fall das auf Cookies basierende Angebot schätzen und nutzen möchten, bei einer allgemeinen Entscheidung keine Cookies zulassen würden. Besonders betroffen von dieser Regelung ist die europäische Werbeindustrie und die Verlage.
Brachenintern wird schon von einem Ende der europäischen Digitalwirtschaft gesprochen, sollte diese Verordnung ohne grundsätzliche Änderungen ange-nommen werden. Dieser massive Eingriff würde zur Folge haben, dass sich zukünftige Werbegelder in einem Duopol von Facebook und Google konzentrieren und wäre damit eine substanzielle Schwächung der europäischen Digitalwirtschaft.
Fazit:
Die politische Regulierung des Internets schränkt die Informationsfreiheit ein, weil das Leistungsschutzrecht nur Springer & Co., nicht den mittelständischen Verlagen dient.
Statt „Datenschutz“ ernten die Nutzer vor allem eine Stärkung der Internet-Oligopole. Neue Anbieter werden am Markteintritt gehindert.
Die Digital-Ökonomie in Europa wird geschwächt. Amerika und China dominierten erst recht das Netz.