Tichys Einblick
Pleitewelle

Insolvenz-Debatte: Wirtschaftsministerium schiebt „Sondereffekte“ vor

Im ersten Halbjahr 2023 stiegen die beantragten Unternehmensinsolvenzen um 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das Wirtschaftsministerium beteuert, dass es die „besondere Situation“ im Auge behalten wolle. Es würde sich jedoch um keine Insolvenzwelle, sondern um „Sondereffekte“ handeln, die noch aus der Corona-Zeit resultieren.

Räumungsverkauf wegen Geschäftsschließung (Symbolbild)

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Nach Hallhuber, Reno und Co.: Nächste bekannte Modekette beginnt Insolvenz-Verfahren, schreibt der Münchner Merkur. Nachdem Hallhuber, Peek & Cloppenburg sowie Galeria insolvent gegangen sind, kommt noch eine weitere bekannte Marke hinzu. Für Peter Hahn, Modeanbieter für Damen, beginnt ein Schutzschirmverfahren.

Zahl der Start-up-Insolvenzen steigt auf Rekordhoch, berichtet das Handelsblatt. Experten rechnen mit einer steigenden Zahl an Pleiten. In Deutschland sind bis Anfang Oktober schon mehr Start-ups pleitegegangen als im gesamten vergangenen Jahr. Bekannter Fahrrad-Onlineshop ist pleite, meldet t-online.

Die Berichte über einzelne Firmenpleiten ließen sich beliebig fortsetzen. Die nackten Zahlen sind interessanter. Mitte Oktober meldete das Statistische Bundesamt einen Anstieg von Unternehmensinsolvenzen im September um 19,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Schon im August 2023 hatte sie um 13,8 Prozent gegenüber August 2022 zugenommen. Im Juli haben die Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 1.586 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Das waren 37,4 Prozent mehr als im Juli 2022, also um mehr als ein Drittel. Dazu kommt: Im ersten Halbjahr 2023 stiegen die beantragten Unternehmensinsolvenzen um 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dass sich der negative Trend der Firmenpleiten auch im zweiten Halbjahr 2023 fortsetzen wird, liegt auf der Hand.

Europas (noch) größte Volkswirtschaft steht nach einer Prognose der Bundesbank bereits mit einem Bein in einer neuen Rezession. Doch das ficht unser Wirtschaftsministerium nicht weiter an. Es beteuert, dass man die „besondere Situation“ im Auge behalten sollte. Es würde sich jedoch nicht um eine Insolvenzwelle, sondern um „Sondereffekte“ handeln, die noch aus der Corona-Zeit resultieren, wie die Berliner Zeitung schreibt.

Das Wirtschaftsministerium ist, was Insolvenzen betrifft, folgender Ansicht: „Aufgrund der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie umfassender staatlicher Stützungsmaßnahmen in der Corona-Zeit gab es bis Mitte 2022 sehr niedrige Insolvenzzahlen; mit dem Auslaufen dieser staatlichen Maßnahmen stiegen die Zahlen.“

Und so ist das Ministerium der Meinung, dieser „Sondereffekt“ dürfe bei der Bewertung der aktuellen Zahlen nicht vernachlässigt werden. Die aktuell „schwierige konjunkturelle Lage“ wirke sich zudem ganz unterschiedlich auf die Branchen aus, sodass dies genau und individuell beobachtet werden müsse. Durchschnittlich schuldeten die insolventen Unternehmen ihren Gläubigern fast 1,8 Millionen Euro.

Die vermutlichen Forderungen der Gläubiger aus den angezeigten Unternehmensinsolvenzen legen de facto unverkennbar zu: Laut den Amtsgerichten betrugen sie im Sommer etwa 6,7 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor lagen diese Verbindlichkeiten noch bei 3,9 Milliarden Euro.

Dabei sind es die Energiekosten, die zahlreiche Unternehmen in Insolvenzgefahr bringen. Noch im Jahr 2022 prognostizierte das Wirtschaftsministerium: „Die anstehende Insolvenzwelle wird moderat ausfallen“ Den Begriff „Insolvenzwelle“ will das Wirtschaftsministerium aktuell jedoch nicht verwenden.

Womöglich verhält es sich ja – wie allseits bekannt so: Bestimmte Branchen und Firmen würden erst mal einfach aufhören zu produzieren, wie etwa die Bäckereien – aber es müsse nicht automatisch „eine klassische Insolvenzwelle geben“, wenn die Betriebe über Monate hinweg keine Umsätze erzielten.

Auch bei Krankenhäusern in Deutschland steigt inzwischen die Insolvenzwelle. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft berichtete von Insolvenzanträgen von 26 Trägern mit insgesamt 34 Krankenhäusern allein im letzten Jahr. Bundesweit sind in diesem Jahr schon 40 Kliniken insolvent – mit stark steigender Tendenz (Stand 11.09.2023).

Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind jedenfalls nicht ersprießlich, wenn man die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt. Das BIP stagnierte im zweiten Quartal dieses Jahres, und es wird erwartet, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr schrumpfen wird. Entweder um 0,4 Prozent nach Habecks Prognose oder um 0,5 Prozent nach dem Internationalen Währungsfonds.

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