Tichys Einblick
Preisanstiege bis zu 15 Prozent

Inflation galoppiert – doch die Bundesregierung beschwichtigt

Die Lieferengpässe verschärfen sich und die Zentralbanken drucken massiv Geld. Und die Bundesregierung? Die erwartet keine „nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate“.

IMAGO / Steinach

Die Preise steigen weiter auf breiter Front. Laut dem Statistischen Bundesamt erhöhten sich die Verkaufspreise im Großhandel um 11,3 Prozent im Juli. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise stiegen um 6,8 Prozent im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auch die Endverbraucherpreise ziehen an – laut den offiziellen Angaben um 3,8 Prozent seit Juli 2020. Die Industrie will die Preise wegen extrem gestiegener Schiff-Frachtraten und hoher Rohstoffkosten anheben. Der Chef des Schraubenherstellers Würth kündigte etwa im Handelsblatt an, bis zu 15 Prozent aufschlagen zu wollen.

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Wer ein Auto kaufen möchte, muss laut einer Studie von Euler Hermes bald deutlich tiefer in die Tasche greifen. Die Autobauer seien wegen des Chipmangels und der hohen Autonachfrage in der Lage, erstmals seit 20 Jahren höhere Preise durchzusetzen. „3 bis 6 Prozent Preissteigerung sind europaweit deshalb aktuell drin, in Deutschland sogar zwischen 4 und über 10 Prozent – zumindest bis sich der Ausnahmezustand bei den Halbleitern wieder normalisiert. Dieser dürfte allerdings noch bis ins erste Halbjahr 2022 hinein andauern“, sagte der Deutschland-Chef Ron van het Hof. Der Gelackmeierte ist der Verbraucher, der bald 11.000 statt 10.000 Euro für einen Neuwagen hinblättern könnte.

Die Bundesregierung scheinen die Preisanstiege wenig bis gar nicht zu kümmern. Bislang hat kein Regierungsmitglied für ein Ende der ultralaxen Geldpolitik der EZB plädiert. Merkel und Co. wollen auch nicht von Lockdowns absehen, die die Lieferengpässe erst verursacht haben. Das Bundeswirtschaftsministerium redet den Ernst der Lage sogar klein. „Eine nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, heißt es im Monatsbericht. „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“

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Gunther Schnabl sieht das in einem Interview anders. Der Leipziger Ökonom hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Teuerungsrate längerfristig im Bereich von 3,8 Prozent bleiben wird. Die EZB habe „mit dem Anheben ihres Inflationsziels und dem Signal, dass sie noch länger in großem Umfang Anleihen kaufen wird, die Inflationserwartungen angehoben“, erklärt der Professor. Die Eurostaaten signalisierten zudem mit dem Aussetzen der Schuldenregeln, dass sie ihre Staatsschulden weiter erhöhen wollten. Außerdem deuteten sich Corona- und Klimaregulierungen an, die die Kosten der Unternehmen erhöhen dürften. Und zuletzt seien eben auch Lohn-Preis-Spiralen möglich, weil die Gewerkschaften angesichts der Inflation höhere Löhne fordern dürften.

Auch die Lieferengpässe könnten das Angebot weiter verknappen und die Preise nach oben treiben. „Zwar sind die Auftragsbücher der Unternehmen prall gefüllt“, sagt etwa der ifo-Forscher Timo Wollmershäuser. „Aber Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten stoppten eine Ausweitung der Produktion.“ Auch im dritten Quartal werde die Erholung „schwach“ bleiben, befürchtet das ifo-Institut in einer Mitteilung. In einer ifo-Umfrage vom Juli gaben zwei Drittel der Firmen an, dass ihnen Vorprodukte fehlten. Das war der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Im April waren es noch 45 Prozent gewesen.

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In den betroffenen Branchen rechnet nicht jeder mit einer raschen Entspannung. Etwa sagte der Infineon-Vorstandsvorsitzende Reinhard Ploss im FAZ-Interview, dass sich die Chipknappheit „bis 2023“ hinziehen könnte. Ein Stahlgroßhändler berichtet in einer Email an einen Kunden, die TE vorliegt, von Preisen auf einem „historischen Niveau“ und einer Versorgungslage, die „extrem angespannt“ sei. „Im Herbst erwartet man eine noch schärfere Situation“, schreibt er und stellt eine Erholung „nicht vor dem zweiten oder dritten Quartal 2022“ in den Raum.

Dazu kommt die Zombifizierung, die wie ein Damoklesschwert über der gesamten Wirtschaft hängt. Die Corona-Hilfen dürften viele Unternehmen am Leben erhalten, die nicht mehr rentabel sind (TE berichtete). Zwar mussten bereits zahlreiche Selbstständige aufgeben – laut der Tagesschau hat sich die Zahl der Freiberufler, die Grundsicherung beantragten, in der Corona-Krise versechsfacht. Aber auf Unternehmensseite dürfte weiter ein massiver Insolvenzstau vorliegen. Laut dem Statistischen Bundesamt beantragten im Mai knapp 26 Prozent weniger Firmen Insolvenz als im Vorjahresmonat.

Ohnehin erklären kritische Professoren, dass die offiziellen Inflationsraten die wahre Teuerung unterschätzen (TE berichtete). Zuletzt hat die EZB massiv Geld in die Märkte gepumpt. Die Geldmenge M1 – also Sichtguthaben und Bargeld – stieg zwar seit einem halben Jahr etwas langsamer, aber die Jahreswachstumsrate war im Juni weiter zweistellig mit 11,7 Prozent. Die konsolidierte Bilanzsumme der Zentralbank verdoppelte sich nahezu seit Beginn der Corona-Krise.


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