Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Marktwirtschaft lebt! Ist das Angebot knapp und die Nachfrage hoch, steigen die Preise. Das ist seit Jahr und Tag am deutschen Immobilienmarkt zu erleben, und jetzt eben auch in der Autoindustrie. Neu- und Gebrauchtwagenpreise sind auf breiter Front im Steigflug, Rabatte umgekehrt inzwischen im Sinkflug.
Maßgeblich dafür sind drei Faktoren:
- Chipmangel und Verteuerung von Rohstoffen und Zulieferteilen jeglicher Art
- Leere Händlerlager aufgrund Produktionsausfälle und Lieferengpässen bei den Herstellern
- Hohe aufgestaute Nachfrage nach allem, was neu oder gebraucht vier Räder hat, am liebsten mit Verbrenner.
Bereits im Frühjahr 2021 ging die coronabedingte Preisabstinenz der deutschen Autohersteller zu Ende. Den Anfang machte Daimler und wie schon aus den 70igern und 80iger Jahren bekannt, folgten kurz darauf die Branchenkollegen nach:
- Daimler startete als erster das automobile Preiskarussell. Für die Öffentlichkeit statistisch in Prozentzahlen nicht nachvollziehbar, erhöhte Mercedes-Benz bereits kurz nach der Jahreswende 2020/2021 die Grundpreise von zahlreichen Baumustern mit unterschiedlichen Größenordnungen und zu unterschiedlichen Zeiträumen, und das auch noch nach Modellreihen selektiv. Zum 19. Januar 2021 wurden die Preise für die E-Klasse Limousinen (u.a.), bzw. 01. Februar 2021 die Preise für die A- und B-Klasse (u.a.) angehoben; und zwar nahezu jeder Motorisierung um knapp 600 bis 1.200 Euro.
Von den Preiserhöhungen zunächst ausgeschlossen blieben C-Klasse Modelle sowie die neue S-Klasse. Hier sind Preisanhebungen zum späteren Zeitpunkt im Jahr 2021 zu erwarten.
- Auf Mercedes folgte der VW- Konzern, der ab Anfang März die Pkw – Preise um durchschnittlich 1,5 Prozent anhob; Volkswagen Nutzfahrzeuge legte Anfang Juli in der gleichen Größenordnung nach
- Schließlich folgte BMW, die Ende des ersten Quartals Preiserhöhungen um durchschnittlich 1,5 Prozent bekannt gaben.
- Die nächste Preisrunde läutete VW Ende Juli ein, seltsamerweise parallel zur Vorlage von Rekordzahlen für das erste Halbjahr bei Absatz und Ergebnis und hob die Prognose für die operative Rendite an. Wie die Automobilwoche meldete erhöht der VW-Konzern die Preise für seine Modelle ab 1. September deutlich. Vor allem bei VW Pkw legen die Preise kräftig zu.
Bei der Kernmarke VW Pkw legen die Preise um durchschnittlich 1,8 Prozent zu, mit durchschnittlich 1,5 Prozent ist der Zuschlag bei Seat und Cupra etwas geringer, dabei sind Hybridmodelle allerdings überproportional von der Preiserhöhung betroffen. Auch bei anderen Konzernmarken wie Audi sind Preiserhöhungen geplant.
Was längerfristig richtig ist, kann kurzfristig keine höheren Kapazitäten aus dem Hut zaubern, wohl aber höhere Gewinnmargen. Zum einen soll in China das Werk eines global bedeutenden Haupt-Speicher-Produzenten Ende 2020 dem Vernehmen nach abgebrannt sein – der Wiederaufbau dauert. Zum anderen haben aktuell zum Beispiel in Malaysia Corona-Quarantäneauflagen der Regierung die Belegschaften in den Chip-Fabriken fast zur Gänze eliminiert.
Während der Chipmangel bei den Autoherstellern zu stillgelegten Fabriken und zu geräumten Höfen bei den Autohändlern geführte, haben im Gleichschritt die 400 Milliarden Lockdown- Zwangsersparnis bei den deutschen Verbrauchern sowie niedrige Zinsen die Kauflaune erhöht. Geld war genügend da, damit konnte der Nachholbedarf – wie von Experten erwartet – voll wirksam werden. Entgegen dem Trend haben laut Händlerberichten Barzahlungen deutlich zugenommen.
Preisanhebungen auch, sowohl bei Neu- wie bei Gebrauchtwagen. Experten schätzen die Spielräume für zusätzliche Preisanhebungen durch die Hersteller sogar auf bis zu 10 Prozent ein.
Noch deutlicher zeichnet sich die Entwicklung bei Gebrauchtwagen ab: Laut Automobilwoche erreichten im Juli die durchschnittlichen Preise bei den beiden großen Onlinebörsen neue Höchststände. Nach Mobile.de kostete ein Gebrauchter im Juli 2021 10,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei AutoScout24 stiegen die Preise noch stärker und lagen im Juli mit durchschnittlich 22.941 Euro um fast 16 Prozent höher als vor einem Jahr.
Mit einer baldigen Entspannung an der Preisfront rechnet bei den Markt-Insidern keiner. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich der Ausnahmezustand bei den Halbleitern frühestens im ersten Halbjahr 2022 wieder normalisieren könnte. – Aber sicher ist das nicht.
„Längerfristige Prognosen sind wirklich sehr schwierig. Wenn eine Behörde wie in Malaysia einen Lockdown in manchen Werken anordnet, dann fehlen diese Teile von heute auf morgen. Das kann kein Lieferant vorhersehen und wir natürlich auch nicht. Wichtig ist, dass die Nachfrage nach den Fahrzeugen da ist. Irgendwann wird auch das Problem der Halbleiter gelöst sein.“ (Källenius im Interview mit der Automobilwoche)
Aber die Autoindustrie selbst sieht den Mangel gelassen, solange Preiserhöhungen nebst Kurzarbeitergeld zumindest teilweise für Produktions- und Absatzausfälle entschädigen.
Dazu zum Schluss nochmal Källenius: „Mit den Werkschließungen bei Halbleiterlieferanten in Malaysia und anderswo ist die Herausforderung nun noch größer geworden, sodass unser Absatz im dritten Quartal voraussichtlich spürbar unter dem zweiten Quartal liegen wird“ Der gebremste Absatz soll sich jedoch nicht in gleichem Maße auf die wirtschaftliche Situation des Konzerns auswirken. „Ich bin froh, dass wir unser Unternehmen in dieser Hinsicht schon deutlich flexibler und wetterfester gemacht haben. Hier agieren wir aus einer anderen Position als noch vor zwei oder drei Jahren“.