Tichys Einblick
Energiewende-Barometer der DIHK

Industrie: Mehr als die Hälfte der großen Betriebe denkt an Abwanderung

Die Wirtschaft schrumpft und die Arbeitslosigkeit steigt. Für deutsche Journalisten kommt das „überraschend“. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer liefert die Gründe. Spoiler-Alarm: Es ist die Energiepolitik.

Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, spricht bei einem Pressegespräch zum «Energiewende-Barometer».

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Seit zwölf Jahren erhebt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) das Energiewende-Barometer. Unternehmer können für dieses Noten von plus 100 bis minus 100 zu der Frage verteilen, wie sie glauben, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien sich auf ihr Geschäft auswirkt. In den ersten Jahren gab es positive Noten, die Unternehmen hätten durchaus Chancen in der „Energiewende“ gesehen, sagt Achim Dercks. Er ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK. Die Unternehmer hätten gehofft, die Produkte der deutschen „Energiewende“ ins Ausland exportieren zu können. Mittlerweile seien ihre Erwartungen realistischer geworden.

Mit Minus 20 bewerten die Unternehmer aktuell die Auswirkung der „Energiewende“ auf ihr Geschäft. Im Vorjahr betrug der Wert noch Minus 27. Ein historisches Tief. Die leichte Verbesserung ist laut Dercks darauf zurückzuführen, dass die Preise einzelner Spots am Energiemarkt günstiger geworden seien. Für Dienstleister sei das eine ausreichende Verbesserung. Sie kauften ihren Strom letztlich auch nicht anders ein als private Haushalte.

Doch der Industrie genüge das nicht. Sie hat nichts von kurzfristigen niedrigeren Preisen. Vielmehr brauche die Industrie dauerhaft günstige Preise – und ein Konzept dahinter, das dafür sorge, dass diese niedrigeren Preise auch planbar seien. Ein solches Konzept würden die Unternehmer derzeit von der Ampel nicht bekommen und auch nicht erwarten. Neben den hohen Preisen und der zu starken bürokratischen Last ist daher die fehlende Planbarkeit einer der Hauptmängel, den die Unternehmer mit Blick auf die deutsche Wirtschaftspolitik angeben.

Mit Folgen. Mit Minus 34 bewertet die Industrie die „Energiewende“ deutlich schlechter als die Dienstleister. Und die Betriebe der Industrie denken über Abwanderung nach. Die Zahl der Unternehmer, die ihre Produktion hierzulande einschränken oder das Land gleich ganz verlassen wollen, ist laut DIHK seit 2022 gestiegen: von 16 über 31 auf jetzt 37 Prozent. In den Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern ist es noch schlimmer: 51 Prozent der Verantwortlichen denken über die Abwanderung nach. Vor zwei Jahren waren es noch 37 Prozent.

Zehn Punkte schlägt die DIHK vor, die verbessert werden müssten. Dazu gehören: Steuern und Abgaben auf Strom sollten für alle gesenkt werden. Der Netzausbau müsse beschleunigt, der Pakt für Beschleunigung schneller umgesetzt werden. Für den Import von Wasserstoff brauche es eine Strategie, die glaubwürdig sei und Invistitionen in neue Energie-Technik müssten gefördert werden – „aber richtig“, wie die DIHK betont. Manche Forderungen wie die Entbürokratisierung oder deutsches Fracking-Gas führt die Kammer gar nicht erst auf. Um sich auf das (eigentlich) Machbare zu fokussieren.

Dercks stellt das Energiewende-Barometer den Hauptstadt-Journalisten vor. Eine Journalistin verweist auf die Konzepte der Ampel und will von Dercks wissen, ob er nicht zu denen gehöre, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) „vielleicht doch zurecht“ Angstmacher nenne. Ein Journalist fragt, ob die Ampel die Steuern und Abgaben auf Strom nicht schon maximal gesenkt hätte. Eine weitere Journalistin will ihre Theorie bestätigt wissen, dass die Betriebe selbst an ihrer Misere schuld seien, weil sie einfach nicht rechtzeitig in „die Transformation“ investiert hätten. Und ein weiterer Journalist erinnert daran, dass ja wohl Putin an allem schuld sei.

Ist doch schon alles gut und wird durch die Konzepte der Ampel noch besser. Und die Steuern sind doch so niedrig, wie es geht, und wenn alles doch nicht ganz super ist, ist das ja die Schuld von Putin und den Unternehmern selbst. Wenn die deutschen Medien wieder „überrascht“ sind, weil die Wirtschaft stagniert oder schrumpft, sollte zumindest darüber niemand überrascht sein. Es sind diese Journalisten, die über eben diese Wirtschaft berichten.

Anzeige
Die mobile Version verlassen