Tichys Einblick
Strukturkrise

Industrie-Arbeitsplätze: Deutschland im Sinkflug

Die Meldungen über Werkschließungen und Unternehmensverlagerungen häufen sich. Es trifft auch Traditionsstandorte und bekannte Marken. Dahinter stehen nicht nur vorübergehend konjunkturelle, sondern tiefgreifende Schwächen des Industriestandorts.

© Lukas Schulze/Getty Images

Grevenbroich. 700 Arbeitsplätze streicht der Aluminiumhersteller Hydro in seinem Werk in Grevenbroich. Im Walzbereich, dort, wo Aluminium zu Blechen und dünnen Folien ausgewalzt wird, baut einer der größten Aluminiumhersteller der Welt über 700 Arbeitsplätze ab. Vermutlich eine Folge des Umbaus des Unternehmensvorstandes. Dort sitzt jetzt Hilde Merete Aasheim an der Spitze, die mit dem Ziel angetreten ist, die Rentabilität zu steigern.

In 40 Ländern beschäftigt die norwegische Unternehmensgruppe Hydro rund 35.000 Mitarbeiter. Vor knapp 20 Jahren kaufte Hydro den führenden deutschen Aluminiumhersteller VAW auf, die meisten Aluminiumhütten hierzulande machten als Folge der mit der Energiewende verbundenen Verteuerung der Stromkosten dicht. Denn mit 40 Prozent Anteil für Energie an den gesamten Produktionskosten ist die Aluminiumproduktion extrem energieintensiv. Die Geschäfte von Hydro selbst laufen mit einem Ergebnis von 918 Millionen € vor Zinsen und Steuern gut. Aluminium wird ein immer wichtigerer Werkstoff, doch Deutschland spielt nicht die erste Geige.
Die Gewerkschaftler sind jedenfalls laut. Betriebsratsvorsitzender Heinz Höhner: »Viele Kollegen haben Existenzängste. Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen.« Vielleicht hätte er mit seiner IG-Metall eher gegen den Energiewendewahnsinn kämpfen sollen, der die Strompreise exorbitant steigen lässt und zudem die Stromversorgung des Aluminiumherstellers unsicher macht. Denn der musste in diesem Jahr schon mehrfach seine Produktion kurzfristig unterbrechen, weil zu wenig Strom in Deutschlands Netzen vorhanden war.

Hörselberg-Hainich im Wartburgkreis. 154 Mitarbeiter verlieren zum Jahresende ihre Arbeitsplätze bei Autotest Eisenach GmbH. Der Autozulieferer fertigt in Werken in Thüringen und Baden-Württemberg sowie in Südtirol und in Bratislava in der Slowakei Kunststoffteile für die Automobilbranche. Porsche, Audi, BMW und Lamborghini gehören immerhin zum Kundenkreis. Doch die Autohersteller bestellen immer weniger hochwertige Kunststoffteile, daher wird der Automobilzulieferer sein Werk zum Jahresende schließen. Den Nachfragerückgang konnte das Unternehmen nicht ausgleichen. Das bedeutet: 154 Mitarbeiter von insgesamt 480 Mitarbeitern in allen Werken müssen gehen.

Geislingen an der Steige. Bei WMF in Baden-Württemberg soll die traditionelle Produktion von Küchengeschirr und Töpfen abgebaut und ins europäische Ausland verlegt werden. Denn die französische Investmentgruppe SEB, einer der weltweit führenden Hersteller von Elektrokleingeräten und Haushaltswaren, plant, die Kochgeschirrproduktion von Geislingen abzuziehen. In Geislingen löste diese Nachricht einen mittleren Schock aus. Der Betriebsrat des WMF-Werkes in Geislingen gibt sich kämpferisch und mobilisiert die Beschäftigten.
Wenn etwas für Made in Germany steht, dann das Kochgeschirr aus rostfreiem Edelstahl von der württembergischen Metallwarenfabrik WMF. Seit 1853 produziert die Firma Metallwaren; auch Autoerfinder Gottlieb Daimler arbeitete dort drei Jahre als Konstrukteur, bevor er sich Motoren und Autos widmete.

Die Fabrik ist ebenso übrigens wie Krupp in Essen Symbol für soliden Umgang der Firma mit ihren Mitarbeitern. Schon sehr früh gründete WMF eine Betriebskrankenkasse mit überdurchschnittlichen Leistungen für ihre Mitarbeiter. Ein Wohlfahrtsverein und eine Betriebssparkasse wurden eingerichtet und übrigens eine sogenannte Fischhalle in Geislingen aufgebaut, in der Fisch zum Selbstkostenpreis an die Mitarbeiter abgegeben wurden. Heute ist dort der Fabrikverkauf des Unternehmens angesiedelt.

Die französische Investmentgruppe SEB ist jetzt der Haupteigner an WMF und will die Produktion von Kochgeschirr ins europäische Ausland verlegen. Die Gruppe plant, das Geschäft mit Kaffeeautomaten in Geislingen auszubauen.
Die Arbeitnehmer der WMF protestieren seit einigen Wochen jeden Montag vor dem Werk in Geislingen an der Steige (Kreis Göppingen) auf der Straße. Sie marschieren in ihrer Mittagspause einmal um das Werksgelände, auf dem Rücken das Motto »Mondays for Jobs«.

Wetzlar. 80 Arbeitsplätze streicht der traditionsreiche Kamerahersteller Leica an seinem Hauptsitz im hessischen Wetzlar. Leica beschäftigt weltweit 1800 Mitarbeiter und steht vor der nächsten Revolution in der Kamera- und Optikindustrie. Dabei spielen weniger die klassischen feinmechanischen und optischen Künste eine Rolle, sondern mehr die Fähigkeiten, mit raffinierter neuer Software Bilder zu realisieren, als »Computational Imaging« bezeichnet. Leica baut dafür ein Kompetenzzentrum im Silicon Valley auf. Die »Digitalisierung«, von der Politik gern im Munde geführt, wenn etwas fortschrittlich klingen soll, findet woanders statt.

Duisburg. Das traditionelle Duisburger Familienunternehmen Haniel wird komplett umgebaut. Dabei fallen 60 der 180 Arbeitsplätze in Duisburg weg.

Vorstandschef Thomas Schmidt sagte gegenüber dem Handelsblatt: »Wir wollen die Holding ganz neu ausrichten. Wir haben die drei „Ps“ im Fokus. Damit brauchen wir neue Kompetenzen in Themenfeldern wie Gesundheit, Klimawandel oder zukunftsweisende Technologien. Und wir wollen künftig unsere Beteiligungen als strategische Architekten aktiv führen.«

Neutraubling. Bis zu 400 Arbeitsplätze sollen bei dem Hersteller von Getränkeabfüllanlagen Krones wegfallen. Auf einer Betriebsversammlung gab dies der Vorstandsvorsitzende Christoph Klenk bekannt. In einer Pressemitteilung hiess es: »Die hohen Personal- und Materialkosten beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit von Krones. Ein Einstellungsstopp alleine genügt nicht.«
Betroffen werden nicht nur Leiharbeiter, sondern auch Mitarbeiter von Krones selbst sein. Die Zahl von 400 Arbeitsplätze sieht im Verhältnis zu den 6717 Angestellten in Neutraubling indes nicht so dramatisch aus.

In Debrecen in Ungarn baut Krones ein neues Zweigwerk auf. Denn im Grunde genommen ist der Hersteller in einem guten Marktsegment aktiv. Die Weltbevölkerung steigt, es müssen mehr Getränke transportiert werden und dafür werden Flaschen benötigt. Doch die Diskussion über Plastikflaschen hat den Hersteller heftig getroffen. Die PET Flaschen, die ein hervorragendes Verhältnis von Gewicht und Kapazität bieten, werden zumindest hierzulande als das böse Plastik niedergemacht.

Doch in vielen Ländern tragen sie zur Versorgungssicherheit der Kunden bei. Krones hat eine Anlage mit eigenem Recyclingsystem »MetaPure« für PET Flaschen entwickelt. Der Verkaufserfolg ist eher bescheiden: Weltweit wurden 13 Anlagen verkauft. Weltweit sieht man das mit dem bösen Plastik eher anders als hier in Deutschland.

Das Gemeinsame an den verlorenen Arbeitsplätze: Sie sind gut bezahlt, sozialversicherungspflichtig, erfordern qualifiziertes Personal. An ihre Stelle treten Jobs beim Paketdienst oder als freiberuflicher E-Roller-Auflader – für de facto weniger als 5 € die Stunde. Das ist Fortschritt Marke Öko.

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