Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie warnt eindringlich vor Werksverlagerungen. „Die Situation ist dramatisch“, zitiert sie die Augsburger Allgemeinen. Deutschland könnte nach Ansicht der deutschen Automobilindustrie als Standort vor allem gegenüber den USA ins Hintertreffen geraten. „In unserer Branche werden derzeit Verlagerungsentscheidungen getroffen.“ Neun von zehn deutschen Autozulieferern hielten den Standort Deutschland nicht mehr für wettbewerbsfähig. Es drohe eine schleichende Erosion des Standortes Deutschland. Und da ist wieder dieses hässliche Wort: Deindustrialisierung.
Deutschland ist mit dem Problem nicht allein in Europa, steht aber als wichtigste Auto-Nation der EU besonders im Fokus. Auch von Renault-Vorstandschef Luca de Meo, Präsident der europäischen Autoindustrievereinigung Acea, kommen finstere Worte: „Wir stehen technologisch nicht mehr an der Spitze“, sagt er und fordert die Regierungschefs der EU dringend zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für die europäische Industrie auf. Aber zumindest in Brüssel und Berlin tut man derzeit eher das Gegenteil.
Das Gefährliche an der Deindustrialisierung ist: dieser Prozess geht schleichend voran, ohne öffentlichen Aufschrei, eine unterlassene Ersatzinvestition hier, eine nicht getätigte Erweiterungsinvestition hier, alles völlig unspektakulär. Allenfalls wenn ein Groß-Konzern wie Volkswagen oder BASF einen kompletten Werksneubau nicht mehr vor Ort sondern im Ausland errichten wollen, oder wenn Tesla seine Batteriefabrik Pläne in Grünheide total streicht, geht ein leises Stöhnen durch den Medienwald. Aber nicht wegen des Brandenburger Grundwassermangels, sondern wegen Joe Bidens US-Subventionsmilliarden, die Investoren scharenweise nach den USA locken. Und weil dort der Markt auch noch in 20 Jahren vorhanden ist und nicht behördlich ausgetrocknet wird.
Und immer ist die Unterlassung oder der Rückzug der Investitionen hier vor Ort verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, die entweder direkt hier völlig verloren gehen, oder in Zukunft für die nächste Generation fehlen. So gesehen ist der von BMW im ländlichen Niederbayern geplante Bau einer Gigafabrik für Batterien mit 1000 neuen Arbeitsplätzen eine nationale Großtat.
Die eindringliche Mahnung von VDA Präsidentin Müller macht deutlich, vor allem die deutsche Autoindustrie flaggt aus; und das schon seit langem, vor allem nach China. Inzwischen wird global nur noch jedes dritte Auto mit deutschem Markenzeichen in Deutschland gebaut, aber fast jedes zweite in China. Inzwischen werden in Deutschland weniger Autos gebaut als 1976.
Für die Automobilindustrie ist der wichtigste Grund für die Abwanderung nach China und den USA das drohende Verbrenner-Verbot ab 2035 nur in Europa. In der sicheren Erkenntnis, dass der Rest des Weltmarktes – etwa 70-80 Prozent – von solchen Verboten freibleiben wird, teils auch, weil in der südlichen Hemisphäre Automobile mit Verbrennermotoren unverzichtbar sind. Hinzu kommt, dass Naturkatstrophen und Winterstürme der Elektromobilität immer wieder im traurigen Notfall Grenzen setzen.
Doch auch die Zeit der einseitigen Vorliebe für das Wachstums-Dorado China geht zu Ende. Zum einen, weil der chinesische Wachstumsmotor allseits ersichtlich zu stottern beginnt, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Immobiliensektor und die ungünstige Entwicklung der Demographie schreiten rasch voran. Neuer Stern am deutschen (Auto-) Investorenhimmel sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Hier häufen sich in inzwischen die milliardenschweren Großprojekte deutscher Unternehmen, nicht nur aus der Autobranche aber vor allem von dort. Amerika ist dabei, „sich zu häuten“, in Deutschland wird „die Haut anders eingefärbt und enger gezogen“.
Mit einer wichtigen Rolle beim deutschen automobilen Standortverlust spielt die Regierung Joe Biden, die Unternehmen mit milliardenschweren Subventionen und Steuererleichterungen umwirbt, dem sogenannten Inflation Reduction Act (IRA). Mit rd. 370 Milliarden Dollar werden der Aufbau von klimafreundlichen Technologien oder die Anschaffung von klimafreundlichen Produkten wie Elektroautos gefördert. Voraussetzung allerdings ist: Es müssen US-Produkte verbaut oder die Produkte müssen in Amerika geschürft (Kobalt, Lithium etc.) und produziert (Batterien)worden sein.
Alle bisherigen Liefernetzwerke deutscher Unternehmen zwischen China und den USA sind damit unterbrochen. Das trifft vor allem die deutschen Autohersteller, die wie BMW, viele Autos aus China nach den USA exportiert haben, ca. 200.000 p.a.
Fakt, leider kein Fake, ist: die deutsche Autoindustrie will verstärkt in den USA investieren. Präsident Joe Biden fördert über den Inflation Reduction Act die US-Industrie mit Milliarden Dollar.
Verlierer sind Europa und vor allem der Automobilstandort Deutschland. BMW, VW, Bosch, Schäffler, Linde und viel andere mehr sind inzwischen mit Milliarden-Investitionen im Süden der USA, in Mexiko und Kanada unterwegs. Teils wegen der Fördermittel, teils wegen des Marktes der Zukunft. Wegen der milliardenschweren US-Subventionen planen immer mehr deutsche Konzerne, auch Chemie und Autozulieferer verstärkte Investitionen in den Vereinigten Staaten. Zuletzt hatte der deutsche Autozulieferer Schaeffler bekannt gegeben, stärker in den USA investieren zu wollen. Bosch investiert ebenfalls dort eine viertel Milliarde US-Dollar, neben einer Milliarde in China.
Volkswagen überdenkt angesichts der massiven US-Subventionen für klimaschonende Investitionen seine Pläne zum Bau einer Batteriezellfabrik in Osteuropa. Statt des Baus eines Werkes an den möglichen Standorten Tschechien, Ungarn, Polen oder Slowakei räumt VW nun Nordamerika Priorität ein, da der Konzern hier bis zu zehn Milliarden Euro an US-Fördermitteln erhalten kann. Inzwischen ist die Entscheidung gefallen, VW hat vor kurzem verkündet, sein nächstes Batteriezellenwerk in Toronto Kanada zu bauen.
Aktionäre können das nur begrüßen, erhalten sie doch auf diese Weise wenigstens einen kleinen Teil der Gelder zurück, die ihr Unternehmen im Zuge des Diesel-Strafverfahrens als Buße an die USA zahlen musste.
Nachfolgend als Info eine kleine Auswahl konkreter Projekte:
- VW wird keine neuen Elektrofabriken in Europa bauen, sondern die bestehenden transformieren, so laut Aussage von VW-Finanzvorstand Arno Antlitz. Das Prestigeprojekt „Trinity“ ist stillgelegt. Neu gebaut wird woanders, nämlich im Süden der USA
- VW baut in Columbia (South Carolina) eine neue Fabrik für ein neues Elektroauto Marke Scout, zwei Milliarden US-Dollars, 4000 Arbeitsplätze
- BMW macht 2023 mit einer Investition von 1,7 Milliarden US-Dollar sein Stammwerk in Spartanburg (South Carolina) als ein weiteres wichtiges Mitglied seines Produktionsnetzwerks fit für den Bau von Elektroautos.
- Zulieferer Schäffler will ebenfalls mehr in den USA aufbauen, wegen der dort besseren Chancen als in Europa
- Tesla hat sein Batterieprojekt in Grünheide storniert und baut die neue Batteriefabrik mit Bidens Fördermittel in Austin (Texas)
- Tesla will mit Milliarden-Investitionen ein neues Autowerk für ein neues Model 2 in Nord-Mexiko errichten, billiger als 40.000 Dollar, Beginn 2025
Aber es ist ja nicht nur die Autoindustrie, die den Produktionsstandort USA plötzlich wiederentdeckt hat. Und es sind nicht nur die Bidenschen Förder-Milliarden, die deutsche Unbternehmen ins Ausland locken. Inzwischen sind Investitionen in Großprojekte außerhalb von Deutschland in den USA – in China schon seit langem – für die deutsche Wirtschaft schon wieder selbstverständlich geworden. Das war viele Jahre nicht so, jetzt ist der Exodus voll in Gange:
- Siemens baut in der Kleinstadt Lexington im US-Bundesstaat North Carolina ein neues Werk zum Bau von Bahnwaggons
- Linde investiert in Texas 1,8 Millarden $ in neue Anlagen für Wasserstoff und Stickstoff
Als Zusammenfassung kann folgende Aussage diene:
Ein Teil des Verlusts werde bereits und könnte in Zukunft noch mehr durch Batteriefertigung, Dienstleistungen im Bereich Software oder digitale Geschäftsmodelle aufgefangen werden, so der Wissenschaftler.
Das wird bei weitem nicht reichen, Zwar ist die Anzahl der Beschäftigten im IT-Bereich seit 2013 um knapp 49 Prozent gestiegen, allerdings das von sehr niedrigem Niveau aus. Volumenverluste in Fertigung und Monatge von Verbrnnerautos können durch Beschäftigung in IT-Bereichen und Batterieproduktion, die weitgehend vollautomatisiert abläuft, bei weitem nicht kompensiert werden.
Der deutschen Autoindustrie steht ein drastischer Beschäftigtenabbau ins Haus. Ford hat den Anfang gemacht, andere werden folgen.